Weihnachtserzählungen - 308 Seiten. Charles Dickens

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Название Weihnachtserzählungen - 308 Seiten
Автор произведения Charles Dickens
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742762993



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allmählich ruhiger wurden und ich sah, wie die hübsche Kleine

       freudig und rasch und eifrig mit ihrer Mutter sprach in denselben

       Zeichen, die ich diese zuerst gelehrt hatte, da rollten mir die

       glücklichen und doch mitleidvollen Tränen über das Gesicht.

       glücklichen und doch mitleidvollen Tränen über das Gesicht.

       28

       Mrs. Lirripers Fremdenpension

       29

       Erstes Kapitel

       Wie Mrs. Lirriper das Geschäft führte

       Daß sich jemand mit Zimmervermieten abplagen wollte, wenn es

       nicht eine alleinstehende Frau ist, die für ihren Lebensunterhalt

       sorgen muß, das ist mir gänzlich unverständlich, meine Liebe;

       entschuldigen Sie die Freiheit, aber die Anrede kommt mir ganz

       natürlich über die Lippen, wenn ich in meinem kleinen

       Wohnzimmer mein Herz allen denen öffnen möchte, denen ich

       trauen kann. Ich wäre dem Himmel ewig dankbar, wenn das die

       ganze Menschheit wäre, aber leider ist das nicht der Fall, denn

       Sie brauchen bloß einen Zettel »Zimmer zu vermieten« im

       Fenster haben und Ihre Uhr auf dem Kaminsims liegen zu lassen,

       und schon ist sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wenn

       Sie sich bloß eine Sekunde lang umwenden. Aber auch die

       Zugehörigkeit zu Ihrem eigenen Geschlecht ist noch lange keine

       Garantie, wie ich am Beispiel der Zuckerzange gesehen habe,

       denn jene Dame (und hübsch sah sie aus) ließ mich nach einem

       Glas Wasser laufen, unter dem Vorwand, sie käme demnächst

       nieder, was sich auch als richtig erwies, aber sie kam zur

       Polizeiwache nieder.

       Nummer einundachtzig Norfolk Street, Strand, auf halbem Weg

       zwischen der City und dem St.-James-Park und nur fünf Minuten

       von den besuchtesten öffentlichen Vergnügungsstätten entfernt –

       von den besuchtesten öffentlichen Vergnügungsstätten entfernt –

       das ist meine Adresse. Ich wohne in diesem Haus schon seit

       langen Jahren zur Miete, wie das Grundsteuerbuch bezeugen

       kann; und ich wünschte, mein Hauswirt wüßte diese Tatsache

       ebenso zu würdigen wie ich selbst, aber nein, nicht für ein halbes

       Pfund Neuanstrich, und wenn es ihm ans Leben ginge; nicht

       einen neuen Ziegel aufs Dach, meine Liebe, und wenn Sie auf

       den Knien vor ihm lägen.

       Sie werden noch niemals Nummer einundachtzig Norfolk Street,

       Strand, in Bradshaws Kursbuch gefunden haben, meine Liebe,

       und so Gott will, werden Sie es auch niemals darin finden. Es

       gibt zwar Leute, die keine Selbsterniedrigung darin sehen, ihren

       Namen so zu verunehren, und sie gehen sogar bis zu einem Bild

       von ihrem Haus, das dem Original jedoch ganz unähnlich ist, mit

       einem Klecks in jedem Fenster und einer vierspännigen Kutsche

       vor der Tür. Aber was Miß Wozenham weiter unten auf der

       anderen Seite der Straße recht ist, ist mir noch lange nicht billig,

       da Miß Wozenham ihre Anschauungen hat und ich die

       meinigen. Obwohl es ja darauf ankommt, wie Sie es vor Ihrem

       Gewissen zu verantworten gedenken, wenn es bis zum

       systematischen Unterbieten kommt – wie es unter Eid vor

       Gericht bewiesen werden kann – und das die Form annimmt:

       »Wenn Mrs. Lirriper achtzehn Schilling die Woche verlangt,

       dann verlange ich fünfzehneinhalb.« Und was luftige

       Schlafzimmer betrifft und einen Portier, der die ganze Nacht über

       auf ist, so ist es um so besser, je weniger darüber geredet wird,

       da die Schlafzimmer muffig und der Portier blauer Dunst ist.

       da die Schlafzimmer muffig und der Portier blauer Dunst ist.

       Es sind jetzt vierzig Jahre her, seit ich und mein armer Lirriper in

       der St.-Clement's Danes-Kirche getraut wurden, wo ich jetzt in

       einem sehr hübschen Stuhl unter lauter vornehmer Nachbarschaft

       meinen Sitz und mein eigenes Kniekissen habe und wo ich 30

       nicht zu volle Abendgottesdienste bevorzuge. Mein armer

       Lirriper war eine stattliche Erscheinung, mit leuchtenden Augen

       und einer Stimme, so weich wie ein Musikinstrument aus Honig

       und Stahl. Aber er hatte stets ein freies Leben geführt, da er von

       Beruf Geschäftsreisender war und eine besonders staubige Tour

       hatte, wie er sagte – »eine trockene Straße, meine liebe Emma«,

       sagte mein armer Lirriper stets zu mir, »wo ich den ganzen Tag

       über und die halbe Nacht dazu immer mal einen Schluck tun

       muß, um den Staub hinunterzuspülen, und das nimmt mich mit,

       Emma«

       – und das führte dazu, daß er durch eine Menge Dinge

       hindurchrannte. Er wäre wohl auch durch den Schlagbaum

       hindurchgerannt, als dieses schreckliche Pferd, das keinen

       einzigen Augenblick stillstehen wollte, durchbrannte. Aber es war

       Nacht und der Schlagbaum geschlossen. So wurde das Rad

       erfaßt und der Wagen und mein armer Lirriper zu Atomen

       zerschmettert. Er hat kein Wort mehr gesprochen. Er war eine

       stattliche Erscheinung und ein Mann von fröhlicher Gemütsart

       und sanftem Wesen; aber wenn Photographien damals schon

       üblich gewesen wären, so hätten sie Ihnen doch niemals eine

       üblich gewesen wären, so hätten sie Ihnen doch niemals eine

       Vorstellung von der Weichheit seiner Stimme geben können.

       Überhaupt fehlt es meiner Ansicht nach Photographien im

       allgemeinen an Weichheit. Man sieht darauf aus wie ein frisch

       gepflügtes Feld.

       Mein armer Lirriper hinterließ ein zerrüttetes Vermögen, und als

       er auf dem Friedhof zu Hatfield in Hertfordshire begraben

       worden war, nicht etwa, weil das sein Geburtsort war, sondern

       weil er eine Vorliebe für das »Salisbury-Wappen« hatte, wohin

       wir uns am Hochzeitstag begeben und glücklich vierzehn Tage

       zugebracht hatten, machte ich bei den Gläubigern die Runde und

       sagte zu ihnen: »Gentlemen, ich weiß wohl, daß ich für die

       Schulden meines verstorbenen Gatten nicht aufzukommen

       brauche, aber ich will sie bezahlen, denn ich bin sein angetrautes

       Weib, und sein guter Name ist mir teuer. Ich will eine Pension

       aufmachen,