Die Erbschaft. Elisa Scheer

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Название Die Erbschaft
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737555173



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vier Jahren zu ihm gezogen war, musste ich ihm deshalb aus vollem Herzen Recht geben, als er fand, meine paar IKEA-Möbel passten nicht zu seiner Einrichtung. Gut, aus den Bücherregalen konnte man eine Kellereinrichtung basteln, dafür taugten die wackligen Dinger gerade noch, das Bett verkaufte ich, und die beiden feuerroten Plastikklappstühle schenkte ich damals Cora für ihren Balkon, dort passten sie zu den Geranien. Natürlich hatte ich auch sonst einiges von meinem Besitz loswerden müssen, etwa meine kleine Sammlung maßstabsgetreuer Oldtimer. Wo hätte ich so etwas denn hinstellen sollen?

      Meine Kleider hingen und lagen im Schrankabteil ganz links, ich hatte ja nicht so viel wie Christian, meine wirklich wesentlichen Bücher standen im Wohnzimmer in einem Regalfach ganz oben. Unwesentliches holte ich mir aus der Bibliothek, im Moment hatte ich allerdings keine Zeit dazu. Einiges, was ich nicht wegwerfen wollte, etwa Erinnerungen an die Kindheit, hatte ich in eine Kiste gepackt und bei Cora im Keller untergestellt, denn Christian fand es albern, solche Dinge aus Sentimentalität aufzubewahren, und wollte in unserem Keller nur Dinge dulden, die man auch wirklich brauchte. Damit hatte er natürlich Recht, aber meine Kindheitssouvenirs waren ein Teil von mir, und den konnte ich nicht einfach auf verschiedene Mülltonnen verteilen. Dann hätte ich ja auch mein Leben neu schreiben müssen! Ich kontrollierte das Schlafzimmer. Perfekt, das Bett hatte ich heute Morgen, während Christian noch beim Frühstück saß, frisch bezogen, mit der schönsten Bettwäsche: grauer Baumwollsatin mit einem Mäandermuster in Anthrazit, Weiß und Silber rundherum. Beide Nachttische waren sauber und schimmerten rötlichbraun, nur je ein silberner Rahmen stand auf beiden Seiten in gefälligem Winkel – auf Christians Seite ein Bild von mir, auf meiner ein Bild von ihm, auf dem er ganz besonders edel aussah, fast schon adelig. Ich glaubte, adelig wäre er tatsächlich recht gerne gewesen.

      Ich rückte die Rahmen noch etwas überzeugender zurecht, befreite dann den Anzug, den ich aus der Reinigung geholt hatte, von seiner Plastikhülle und dem schauerlichen Drahtkleiderbügel; ich hatte vor einem Jahr traditionelle Holzbügel satt gekauft – für Sakkos waren sie einfach das Beste. Wie teuer solche richtig guten Holzbügel waren, hatte ich vorher auch nicht gewusst. Als der Anzug im Schrank hing, so auf Lücke, dass er nicht verdrückt werden konnte, und die Tür zum Ankleidezimmer wieder geschlossen war, schleppte ich den Wäschekorb in die Küche, klappte das Bügelbrett auf, füllte das Bügeleisen und machte mich zufrieden summend über Christians Hemden und T-Shirts her. Da musste man aufpassen, seine T-Shirts waren meist aus Wildseide und durften nicht zu heiß gebügelt werden. Die Hemden dagegen waren nicht bügelleicht, denn richtige Baumwollhemden sahen einfach besser aus.

      Kurz nach sieben hatte ich alles fertig und in Christians Schränken verräumt, das Eisen kühlte auf dem Fensterbrett ab und ich begann damit, Mischpilze zu putzen. Mittendrin klingelte das Telefon im Arbeitszimmer.

      „Bei Lichting?“ Der Festnetzanschluss wurde fast nur von Klienten genutzt, also hatte Christian mich gebeten, mich so zu melden. Tatsächlich, ein Kli – äh – ein Mandant. Ich notierte, was er zu sagen hatte, versprach Christians Rückruf und wünschte einen guten Abend. Der Zettel mit dem Gesprächsbericht landete auf seinem Schreibtisch, und ich kehrte in die Küche zurück. Da fiel mir ein, dass ich eigentlich auch noch einen Brief schreiben wollte. Später! Wenn ich kochte, war in der Küche kein Platz für meinen Laptop, und an Christians großen PC wollte ich nicht gehen, ich wusste, das hatte er nicht so gerne.

      Ach herrje, ich hatte ja die Post abgeholt, die musste ich ihm noch auf den Schreibtisch legen! Ich fischte den Stapel aus der Handtasche und sah ihn flüchtig durch. Büro – Büro – Büro – Christian privat (ah, seine Mutter!) – Büro – Büro – Rechnung – Rechnung – Büro – einer für mich, von einem Anwalt. Was hatte mir ein Anwalt denn zu schreiben? Ich kriegte doch sonst höchstens Briefe von einer ganz weit entfernten Cousine, die von den Heldentaten ihrer Kinder berichtete? – Büro – Büro – Christian, von seinem Bruder. Ich stapelte die Briefe nach Büro und privat sortiert auf und stopfte den Anwaltsbrief in die Handtasche zurück. Eine neue Tasche brauchte ich bei Gelegenheit auch einmal, bei dieser hier war der der Henkel schon reichlich abgeschabt.

      In der Küche überlegte ich, ob ich den Brief gleich lesen sollte, aber ein Blick auf die Uhr überzeugte mich, dass ich lieber mit der Pilzsauce weitermachen sollte. Sobald das Nudelwasser aufgesetzt war und die Pilzsauce leicht vor sich hinköchelte, hackte ich Zwiebeln für den Tomatensalat, den Christian so gerne aß. Ich wischte mir noch die Tränen aus den Augen, als mein Handy klingelte.

      „Ulitz?“

      „Hi Sarah, ich bin´s. Wie geht´s?“

      „Ach, Cora. Prima geht´s mir, wie immer. Ich koche gerade. Was liegt an?“

      „Nichts Besonderes. Ich sehe nur einem öden Abend entgegen, weil mein Liebster heute wieder mal seiner Mama das Händchen halten muss. Das Herz, du verstehst.“

      „Hat die Alte eigentlich wirklich was am Herzen?“

      „Ach wo! Sogar Freddy sagt, dass sie nur so tut, wenn er sich nicht so benimmt, wie sie das gerne hätte. Aber Schiss kriegt er eben doch, wenn sie herumröchelt und in einen Sessel plumpst. Sie guckt sich immer um, bevor sie einen Schwächeanfall kriegt, das hab ich schon beobachtet. Diese alte Hexe!"

      Cora war arm dran mit Freddy, der der einzige Sohn einer angeblich kränklichen Witwe war und sich nicht recht traute, seiner Mutter zu sagen, dass sie mit dem Blödsinn aufhören sollte. Die Alte torpedierte jede zweite Verabredung, aber Freddy war ansonsten ein netter Kerl, deshalb blieb Cora mit ihm zusammen. Das Gröbste hatte sie mir vor zwei Wochen halb kichernd, halb wütend erzählt – die beiden schliefen gerade miteinander, und kurz vor dem Orgasmus klingelte Freddys Handy. Guter Sohn, der er war, ging er dran, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, und erklärte seiner Mutter keuchend und stöhnend, wo ihre Herztropfen standen. Sie regte sich fürchterlich über die Geräusche auf, die aus ihrem Telefonhörer drangen, und beharrte so lange darauf, dass Freddy es offenbar auch am Herzen hatte, bis ihm der Kragen platzte: „Mensch, Mama, hast du mich adoptiert oder was? Wir bumsen gerade und du störst uns. Ciao!“

      Cora musste so lachen, dass sie von ihm herunterrutschte, aber ihren Erzählungen zufolge wurde es doch noch eine rauschende Nacht. „Und was machst du heute Abend?“, fragte ich nur und versuchte, nicht an diese Szene zu denken, um nicht lachen zu müssen.

      „Fernsehen und alte Fotos einkleben“, murrte Cora. „Und du?“

      „Mal sehen. Christian müsste bald kommen. Er wollte mit mir über etwas Wichtiges sprechen...“

      „Ist es das, was ich denke?“

      „Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es sehr. Aber gratuliere mir lieber noch nicht,

      vielleicht erhöht er mir nur das Gehalt. Das wäre auch schon ganz nett, von dem, was er mir zahlt, kann ich das Auftreten kaum finanzieren, das er von mir erwartet. Ich ruf dich auf jeden Fall an, sobald ich etwas Genaueres weiß. Du bist ja zu Hause!“

      „Ja, notgedrungen. Na, dann wünsche ich dir, dass Christian genau das sagt, was du dir so wünschst.“

      Ich mischte den Tomatensalat durch und grinste still über Cora. Was hatten wir früher für Spaß gehabt, als wir noch zusammen die Uni unsicher machten! BWL war reichlich öde, aber ich fand ewig nicht dem Absprung in ein anderes Fach. Cora hatte nach acht Semestern und mehreren vergeblichen Anläufen, was die Mathescheine betraf, das Handtuch geworfen und war auf Mediadesign umgestiegen. Jetzt verdiente sie ziemlich gut in einer Agentur, die professionelle Webseiten erstellte und verwaltete. Ich hatte es weiter versucht – bei mir waren die Mathescheine nicht das Problem, eher die juristische Seite, die mir genau genommen völlig egal war. Im elften Semester hatte ich Christian kennen gelernt, und er hatte mir geraten, das Studium hinzuschmeißen und lieber Buchhaltung zu lernen. Das hatte mir tatsächlich mehr Spaß gemacht, und als er dann sein Steuerberatungsbüro eröffnete, konnte ich gleich bei ihm einsteigen.

      Anfangs hatten wir beide etwas Angst – was, wenn keiner kam? Aber die Leute kamen! In Scharen, mittlerweile. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie undurchsichtig das Steuerrecht geworden war; Leute, die irgendetwas absetzen wollten oder Steuersparmodelle suchten, kamen damit alleine nicht mehr zurecht, und Christian war wirklich