Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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den Zettel gefunden und gnadenlos gehöhnt, bis sie geheult hatte. Heute musste ich zugeben, dass Robbie Williams auf jeden Fall besser aussah und wahrscheinlich auch netter war als Nicholas Rosen, an dem der Name wohl noch das Beste war. Und diese seltsam kalten grauen Augen.

      Heute guckte er mich wieder mal an wie ein merkwürdiges Insekt. Vielleicht konnte er immer noch nicht glauben, dass eine Frau an diesen Sitzungen teilnehmen durfte? Er hatte selbst einen Vize, aber den brachte er zu den nahezu täglichen Meetings nie mit, er machte lieber alles selbst. Schmitt dagegen delegierte mit Lust und Leidenschaft, er plante wohl schon den Ruhestand. Und was er delegierte, landete natürlich bei mir. Hoffentlich bekam ich dafür eines Tages auch die Leitung der Personalabteilung! Und hoffentlich liefen unsere Geschäfte weiterhin so gut – ich kannte genug Horrorgeschichten von Leuten, die wie ich eine Führungsposition gehabt hatten, arbeitslos geworden und nicht mehr vermittelbar waren – überqualifiziert, zu alt (das hieß: dreißig oder drüber)... Bevor mich das Arbeitsamt zwang, für einen Euro pro Stunde den Prinzenpark aufzuräumen, suchte ich mir lieber selbst etwas oder machte eine Ich-AG auf. Geschäftsidee hatte ich allerdings noch keine. Höchstens daytrading, das hatten wir alle bei Papa gelernt. Aber bei der Börsenlage...

      „Frau Engelmann?“ Ich schreckte auf.

      „Haben Sie geschlafen?“ Rosen, mit leicht süffisanter Miene.

      „Nachgedacht!“, antwortete ich bissig und verkniff mir Das kennen Sie nicht, das bedeutet... Es wäre wirklich fehl am Platze gewesen, schade.

      „Ist dann der Fall Uhlmann klar?“ Ich nickte. Zwei Abmahnungen, dann war jetzt die Kündigung fällig. Wenn wir die Uhlmann nur endlich loswürden, die tat überhaupt nichts. Aber die Abmahnungen hatte sie für Ferngespräche auf Firmenkosten und das Klauen von Firmenkulis bekommen – die Verschwendung von Arbeitszeit war eben nicht strafbar.

      Jetzt tat sich endlich eine Chance auf. „Aber wir müssen das so wasserdicht formulieren, dass sie vor dem Arbeitsgericht keine Chance hat“, verlangte ich, und Rosen zog eine müde Grimasse. „Ich mach das nicht zum ersten Mal, Frau Engelmann. Mitleid haben Sie keins mit der Frau?“

      „Nein“, antwortete ich, obwohl ich wusste, dass sie so leicht nichts Neues finden würde. Nicht mit fünfzig. „Sie ist ja nicht eine gute Kraft, die einmal schwach geworden ist, sie sitzt hier nur ratschend ihre Zeit ab und arbeitet so wenig wie möglich. Und ihre Vorstellungen davon, was ihr die Firma schuldet, sind abenteuerlich. Je eher wir sie loswerden, desto besser.“

      „Wann haben Sie denn mit ihr geredet?“, fragte Schmitt. „Ich kann mich gerade gar nicht auf den Fall besinnen.“ Ich schob ihm die Unterlagen zu. „Hier, schon vor der ersten Abmahnung. Zusammen mit ihrer unmittelbaren Vorgesetzten, die ihr schon einige Male diese privaten Ferngespräche verwiesen hatte. Frau Uhlmann hat überhaupt nicht verstanden, was wir wollen, schließlich könne man ja nicht erwarten, dass sie ihre Schwester in Australien auf eigene Kosten anruft, oder?“ Ich sah mich erwartungsvoll um. Rosen schüttelte den Kopf, als habe er Wasser im Ohr. Entzückende Ohren – verdammt! Schmitt starrte mich an. „Hat die sie nicht mehr alle?“

      „Doch, doch. Sie mag ihre Arbeit nicht, und deshalb schulden wir, die wir sie dazu zwingen, stumpfsinnig die Ablage zu machen, zu tippen und zu kopieren – hält ja schließlich kein Mensch aus, nicht? – ihr sämtliche Vergünstigungen. Warum wir freitags nicht schon mittags aufhören, wollte sie wissen, dann könnte sie nämlich noch einkaufen gehen, bevor der große Ansturm einsetzt. Ja, wir waren auch sprachlos.“

      Rosen zog die Akte zu sich. „Was hat die Gute denn für eine Ausbildung?“

      Ich zuckte die Achseln. „Realschule, Bürokauffrau, nach einem Jahr abgebrochen, dann Bürogehilfin. Ich hab sie gefragt, warum sie die Ausbildung nicht fertig gemacht hat, oder warum sie nicht wenigstens an den internen Fortbildungen teilnimmt, damit sie sich bei der Eingabe von Daten nicht ganz so beschränkt anstellt – nein, nein, so hab ich das natürlich nicht formuliert!“

      „Und ihre Antwort?“

      „Während der Ausbildung wollte sie heiraten und dachte, dann braucht sie die Ausbildung nicht mehr; als Bürohilfe hat sie mehr verdient als als Azubi, und sie brauchte das Geld doch für den künftigen Haushalt. Dann aber ist das irgendwie auseinander gegangen. Und Fortbildungen – dieser neumodische Krempel. Sie hat genug zu tun, auch ohne noch was dazu zu lernen, dann müsste sie ja bloß noch mehr schuften. Frau Teck, ihre Vorgesetzte, sagt, sie arbeitet nur nach Vorschrift, seitdem sie sie kennt. Wir müssen die in einer Phase eingestellt haben, als es einen gewaltigen Arbeitskräftemangel gab. Ja, und das zweite Mal hat Frau Teck sie erwischt, wie sie eine ganze Handvoll Firmenkulis eingesteckt hat. Einer, den man aus Versehen einsteckt, da sagt ja keiner was. Hat wohl jeder schon gemacht. Aber fast zwanzig Stück, ganz neue, aus dem Magazinschrank?“

      Schmitt und Mönsche wühlten in ihren Taschen herum, förderten tatsächlich je einen der dunkelblau-giftgrünen Kulis zu Tage und musterten sie betreten.

      Rosen suchte ebenfalls und fand einen matt gebürsteten Edelkuli aus schwarzem Stahl. Ich grinste und klickte mit meinem silbernen Stift. Die Firmenkulis waren mir wirklich zu hässlich. „Vielleicht sollten wir mal über ein attraktiveres Design nachdenken“, schlug ich vor. „Von wegen Corporate Identity und so.“

      Schmitt seufzte. „Dann müssen wir Frau Ehrlicher ja auch noch dazubitten!“

      „Ja, und?“ Warum sollte unsere Marketingfrau nicht an einer Sitzung teilnehmen? War das kein ernst zu nehmender Bereich? Oder ging eine Frau schon über seine Kräfte?

      Bei TechCo spürte man die gläserne Decke doch ganz schön. Frauen wurden zwar befördert, wenn sie mindestens doppelt so gut waren wie die männliche Konkurrenz, aber wehe, man brachte irgendetwas Weibliches in seinen Job ein, Kommunikationsfähigkeit etwa oder soziale Kompetenzen. Man musste quasi als Neutrum auftreten, und ich hatte mich bis jetzt diesem Diktat durchaus gefügt (von einigen verführerischen Blicken in Richtung Rosen mal abgesehen, auf die er überhaupt nicht reagiert hatte). Eigentlich waren Frauen hier wie auch in anderen Firmen immer noch dazu da, Diktate aufzunehmen, Vorarbeiten zu leisten und Kaffee zu kochen. Ich hätte ja gerne einen knackigen jungen Sekretär gehabt, um das System mal umzukehren, aber dann hätten wahrscheinlich alle darüber spekuliert, was ich mit dem bei geschlossener Bürotür trieb. Außerdem hatten sich nur Frauen beworben.

      Dass ich gegenüber Leuten, die ohne Not ihre Arbeit nicht ordentlich machten, ziemlich hart auftrat, hatte meine Stellung sehr gefestigt. Wehe, ich hätte Ausreden für diese Leute gefunden! Das wollte ich auch gar nicht, Leute, die ihre Arbeit nicht taten, konnte ich schon gar nicht leiden. Wenn jemand echte Probleme hatte, Familienkrisen, Mobbing, Krankheiten, dann ließ sich eine einvernehmliche Lösung finden, aber so eine Abzockerin wie Rosemarie Uhlmann hatte ich schon gleich quer gefressen. Der Frau war ihr Verhalten ja nicht einmal peinlich! „Soll ich mir etwa Kulis im Supermarkt kaufen, wenn ich schon hier arbeite?“, hatte sie ehrlich erstaunt gefragt und ich hatte mich schwer beherrschen müssen, ihr nicht einfach eine zu knallen. Egal, die Frau flog bei nächster Gelegenheit, wir mussten nur noch die Kündigungsfrist klären.

      Nach längeren Debatten und vielem Blättern in Gesetzestexten und Sammlungen höchstrichterlicher Entscheidungen stellten wir fest, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt war, und einigten uns auch darauf. Wenn wir der Frau Zeit gaben, klaute sie bloß noch die Kaffeemaschine in ihrer Abteilung, weil sie zu Hause schließlich auch Kaffee trinken musste. Mir kam die schöne Aufgabe zu, ihr das mitzuteilen, und ich hatte den dumpfen Verdacht, dass sie die Bedeutung von zwei Abmahnungen trotz mehrfacher Erklärungen überhaupt nicht verstanden hatte. Sie würde aus allen Wolken fallen! Ich musste sie zu mir bestellen, dann konnte mir Frau Reichle gegebenenfalls beistehen. Man wusste schließlich nie, nachher wurde die Uhlmann noch gewalttätig! Schließlich war die Sitzung beendet – super, erst zwanzig nach vier, dann konnte ich die Uhlmann gleich fertig machen.

      Ich eilte in mein Büro, ließ die Reichle die formelle Kündigung schreiben, samt juristisch wasserdichten Begründungen und Hinweisen auf die Abmahnungen in der Akte, und bestellte mir Frau Uhlmann dann zu mir.

      Sie kam mit harmlos-überraschter Miene, ging aber eine