Tonstörungen. Wilhelm Koch-Bode

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Название Tonstörungen
Автор произведения Wilhelm Koch-Bode
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742705402



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die andere. Ach, und einen Brillantring und eine Krokotasche dazu. Die junge Frau Schubert machte sich aus solchen Sachen nichts, weshalb sie in Gegenwart des Mutter-Tochter-Gespanns meist auch nur wenig zum Gespräch beitragen konnte.

      Zur Schwägerin Mecki zu sagen, ging schon mal gar nicht; das Weibsbild war und blieb ’ne Mechthild für sie. Punktum! Der Igel von der Hör Zu! war viel zu drollig, um als Namenspatron für solch eine Zicke herhalten zu müssen. Sie hatte auch vermieden, die Schwiegereltern mit Vater und Mutter anzusprechen, wie es in vielen Familien üblich war. Das Beim-Vornamen-nennen, wie ihr Mann sich das bei ihren Eltern herausnahm, wurde erst später modern. Um wenigstens etwas Distanz zu bekunden, kam Frau Schubert auf eine eigenwillige Variante des Hamburger Sie - Guten Tag, Schwiegermutter, ist Ihnen nicht zu warm im Pelz? Guten Tag, Schwiegervater, geht’s mit Ihrer Blase ein wenig besser? So angeredet zu werden, hatte die Alten zwar zuerst befremdet, aber beim zweiten Hinhören fanden sie es eigentlich ganz schick, denn es klang irgendwie vornehm - wie in besseren Kreisen. Selbstverständlich duzten sie das Frauenzimmer und konnten damit wenigstens, was ihnen sehr gelegen kam, ein gewisses Ungleichgewicht im Verhältnis betonen.

      Allein mit Frau Schubert, konnten die alte Frau Schubert und Mechthild es manchmal nicht lassen zu betonen, wie hoch angesehen sie doch seien im Vergleich zu ihren Leuten in der Elbmarsch, und zu sticheln, dass dort ja eigentlich nur jemand etwas gilt, der aus der Obstbauernschaft stammt. Im Bekanntenkreis ließen sie sich auch gern darüber aus, dass sich dem Sohn und Bruder - bekanntlich Ritterkreuzträger, Hauptmann außer Dienst, höhere Schulbildung, gute Familie, blendende Erscheinung - eigentlich ganz andere Heiratschancen eröffnet hätten, als sich mit ‘ner Landpomeranze ohne nennenswerte Aussteuer, der Vater Schneider mit ‘ner Nähmaschine in der Wohnstube, abzugeben. Nicht mal ‘ne Altländer Hochzeitstracht oder wenigstens ’n anständiges weißes Brautkleid mit Schleier und Schleppe habe sie angehabt, sondern nur ’n billiges zitronengelbes Flatterkleid aus Kunstseide. Na ja, unter seinem Stand, ’ne kleine Tippse. Dabei habe er die Tochter vom Ziegelwerk kriegen können. Wär‘ längst Fabrikdirektor, höhere Gesellschaft, Villa, Mercedes mit Chauffeur und alles. Und stattdessen? Unbemittelte Schwiegereltern mit ’nem ärmlichen Siedlungshäuschen. Alles andere als vornehm! Sie müsse arbeiten gehen, weil er geschäftlich nichts auf die Reihe brächte. Säße bei der Raiffeisen-Genossenschaft im Kontor, während der mickrige Schneider in der Wohnküche Tee tränke, - na ja, ’n zugezogener Ostfriese.

      Allerdings waren die Eltern der jungen Frau Schubert zufrieden mit ihren Tätigkeiten und fühlten sich in der Gemeinde überall wohlgelitten. Die Schrankenwärter, wie sie die alten Schuberts, und die Milchkuh, wie sie Mechthild in Anspielung auf den Beruf ihres Mannes nannten, konnten sie allerdings auf den Tod nicht ausstehen. „Eigentlich“, hatte der Schneidermeister einmal verlauten lassen, „ist es für jede der braven Schwarzbunten auf unseren norddeutschen Weiden ja eine Beleidigung, mit dieser grässlichen Mechthild verglichen zu werden“. „Ja, was für eine aufgeplusterte Gans und was für eine aufgeblasene Sippschaft“, lautete das Urteil der Kontoristin. „Die reinste Zumutung!“ war sich das Ehepaar jedes Mal aufs Neue einig, wenn es wegen Geburtstagen bei den jungen Schuberts auf die Schrankenwärter und die Milchkuh samt Ehegespons, untereinander Dat Botterfatt genannt, und Gudi - eigentlich Gudrun - ihr Kind aus erster Ehe, trafen. Für die einzige Tochter hatten sie sich eigentlich jemanden gewünscht, der etwas herzlicher rüberkam und einer weniger peinlichen Mischpoke entstammte. Die Applikationen auf Schuberts Uniform beeindruckten die Brauteltern überhaupt nicht, als sie auf der Hochzeit silbern schimmerten. „Lametta“, murmelte der Brautvater, Veteran beider Kriege, allerdings nur Unteroffizier, „kommt daher wie ‘n Tannenbaum. Oh, warum musste das Kind ausgerechnet an so ‘nen steifen Kommisskopp geraten?“

      Schubert war Berufssoldat - bei Kriegsbeginn Leutnant und am Ende, mit 29, Hauptmann bei der Flak-Artillerie. Kommandos an Ost- und Westfront. Granatensplitter ins Bein gekriegt, beim Gehen kaum zu sehen. Immerhin - ein richtiger Kriegsinvalide mit bleibender Blessur und kleiner Rente als Zubrot. Nachdem er sich ein paar Monate bei den Engländern als Hilfsdolmetscher betätigt hatte, kam er bei der Post unter. Magere Bezüge als Beamtenanwärter, aber eigentlich keine schlechte Perspektive - gehobener Dienst, immerhin. Trotzdem fand er sich schwer mit seinem Los ab: kein Batteriechef mehr, Flakstellung hopsgegangen, Ritterkreuz in der Schublade, beste Kameraden draufgegangen, Gang zur Uni wegen Familie verbaut - Maschinenbau oder Physik, das wäre es gewesen, davon hatte er als Artillerist was mitgekriegt -, kränkelnde Frau, schlichte Behausung - drei Zimmer in einem schäbigen Mietshaus in Eimsbüttel, Hadern mit dem Nazismus. Niemals sprach er über den Krieg und das ‚Dritte Reich‛. Und nun? Listen in einer Amtsstube abhaken, zum Sterben langweilig. Eine Ochsentour vor sich. Selbst im Reden war er gestutzt worden, - keine Kommandos mehr an der Acht-Acht. Dazu kam noch, dass er mit der Art seines Sohnes nicht zufrieden war. Wie verlegen der immer war, wenn er irgendwas gefragt wurde. Bei anderen Leuten so gehemmt. Wieso war der eigentlich so verschüchtert, fast menschenscheu? Der hatte wohl mehr von der Mutter abgekriegt. Keinen Schneid - leider. Dabei, im Prinzip, war der Junge gar nicht so lahm - jedenfalls körperlich nicht. Keine Krücke - nein, beileibe nicht! Da kam er ganz nach ihm. Aber sonst? Wie ’n Reh, das sich vom Waldrand nicht auf die Lichtung wagt … wie ’ne Piepmaus, die sich unterm Sofa verkriecht … wie ’n Hase, der sich totstellt. Flinke, aber furchtsame Wesen, die nicht bemerkt werden wollen.

      Ein einsilbiger Mensch gilt schnell als langweilig und dumm. Und so fand auch Rudi unter Seinesgleichen wenig Anerkennung. Zwar stieß er nicht direkt auf Ablehnung - dazu trat er zu wenig in Erscheinung -, aber um seine Freundschaft bemühte sich auch niemand. Er nahm mit denen vorlieb, auf die auch herabgesehen wurde: Jutta aus dem Keller des Trümmerhauses von gegenüber, die - wie seine Mutter meckerte, wenn sie nach dem Weggang des Mädchens die Wohnung lüftete - schmuddelig aussah, schlampig angezogen war und nach Bratkartoffeln und Urin stank. Reinhard, der in der Schule das Wasser aus Blumenvasen trank und, weil er nicht lesen und schreiben lernte, bald auf die Hilfsschule nebenan abgeschoben wurde. Ungefähr vierzig Jahre später sprach ihn auf einer Vernissage in Hamburg eine Klassenkameradin von damals an. Sie unterhielten sich eine ganze Weile über früher. Die Frau wusste, dass Reinhard Nervenarzt mit eigener Praxis war und Jutta einen schicken Friseursalon in der City hatte.

      Schwacher Sender

      1948 - oder war es schon 49? - war Rudis Einschulung. Er kam sich vor wie allein in einem Käfig. Vor dem Gitter die Gaffer. Vom Gefühl her fast wie in der Tram, wenn alle guckten, diesmal nur noch schlimmer. Nie zuvor hat er sich so falsch an einem Ort gefunden wie an diesem. Mit der Straßenbahn kommt man ja wenigstens weg, kommt irgendwo an, aus dem Käfig aber nicht raus. Zu fühlen, wie der Körper obenrum steif ist, die Hände eiskalt sind, während der Kopf glüht und kurz vorm Zerplatzen scheint - das hat es so noch nicht gegeben. Tram hin, Tram her - die Fahrten waren entsetzlich, aber so grauenvoll wie die Anwesenheit an diesem Ort dann doch nicht.

      Vierzig Kinder sitzen im Kreis und müssen ihren Namen sagen. Am liebsten würde er in einem Mauseloch verschwinden. Als die Reihe an ihm ist, alle gucken ihn an, bringt er kein Wort heraus. Die Kraft, die nun für die Beschulung dieser Herde zuständig ist, ein Fräulein Hartmann, verzieht das Gesicht, schüttelt den Kopf und befiehlt: „Nun sag schon, wie du heißt!“ - vergebens. Er hält er den Blick gesenkt. Für einen Augenblick ist ihm speiübel. Frühstücksei und Kakao schäumen auf. Oh nein, nicht sowas. - Vorbei. Zwei, drei Kinder kommen angelaufen, beugen sich zu ihm herunter, reden auf ihn ein: „Nun sag schon, wie heißt du denn?“ Schließlich murmelt er leise seinen halb richtigen Vornamen ‚Rudi‛. Außer in Papieren ist Rudolf automatisch ein Rudi - was ja noch angehen mag. Jedenfalls eher als Dolfi. „Rudi! Rudi! Rudi!“ posaunt es laut, „Ja, und wie weiter? Sag uns deinen Nachnamen!“ Aber das ‚Schubert‛ kommt ihm einfach nicht über die Lippen. Im Norden sagt man eher nicht ‚Schuhbärt‛, sondern ‚Schuhbort‛. Auf der Straße rufen ihm manchmal Kinder hinterher: „Schuhbord, kann ich meine Schuhe bei dir reinstellen?“ Und sie skandieren: „Schuhbort, lauf doch fort! Schuhbort, weg von dort!“ Oder: „Schuhbord, Meuchelmord!“ und „Schuhbord fällt von Bord.“ Sogar so dummes Zeug muss er sich anhören wie: „Schuh-Schuh-Bott, sitzt auf 'm Pott. Schuh-Schuh-Bott, runter vom Pott!“ Oder es krakeelt hinter ihm her: