SILBER UND STAHL. Nicole Seidel

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Название SILBER UND STAHL
Автор произведения Nicole Seidel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738096156



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zu Coinneach dazu aus, um meine Kampftechniken zu verbessern. Es ist von Vorteil, wenn man Personen in allen Schichten kennenlernt, weiß was in Wyzima so abgeht!" Iorweth klopfte sich aufs Wams. "Mir geht es verdammt gut, denn er gibt mir genug zu essen, gute Kleidung, ich hab sogar etwas Geld. Ich muss mir das ein oder andere zwar verdienen, aber ich schade niemanden wirklich mit meinem Tun, glaub mir."

      "Wir haben also nie gut für dich gesorgt?"

      "Das will ich damit nicht sagen, Vater. Hier ist immer noch mein Zuhause."

      "Coinneach ist kein guter Umgang für dich. Was willst du in Zukunft machen? Willst du zum Dieb oder Banditen werden? Denk an deine Zukunft Junge, denk daran wo du in zehn oder gar fünfzig Jahren bis - und wenn du mal eine eigene Familie hast."

      "Ich bin ein Elf, ich habe alle Zeit der Welt. Mich interessiert das morgen in zehn Jahren nicht - wenn ich fünfhundert Jahre alt werden kann."

      "Aber nicht in diesen kriegerischen Zeiten. Sag dich von Coinneach Dá Reo los!"

      "Ich kann es nicht, noch nicht. Ich steh noch am Anfang, will noch so viel wissen und erfahren. Versteht mich bitte. Bin ich trotzdem noch bei euch willkommen?"

      Calad'linna wartete auf Fuin'isengrims Antwort, denn sie würde ihren Sohn niemals fortjagen. Erleichtert hörte sie ihn sagen: "Du bist mein Sohn, egal was passiert."

      3

      Fuin'isengrim legte wohlwollend einen Arm um Iorweth. Die beiden Elfen gingen gemeinsam am Ufer des Sees entlang, an dem Wyzima erbaut worden war. Es war früh am Morgen des 1. Mai - es war Belteyn.

      Der junge Iorweth war zu einem stattlichen wunderhübschen Parder erblüht, er trug eine Hose und hohe Stiefel aus schwarzem Rindleder und dazu eine ärmellose Weste aus bordeauxrotem Samt mit silbernen Knöpfen und Stickereien auf blanker, kräftiger Brust. Iorweth nachtschwarzes Haar hing ihm bis zu den Hüften herab, die Seiten waren zu schmalen Zöpfen geflochten.

      Sein Vater hatte ein altes Elfengewand aus Ellylon an: die Hose war aus einem leichten, ockerfarbenen Wollstoff, die rotbraunen Stiefel gingen über die Knie und eine mit bunten Efeugeranke bestickte Tunika aus einem hellgelben Seidenstoff bedeckte seinen hageren Leib. Das schwarze Haar durchzogen wenige graue Strähnen und ein schlichter Goldreif mit Runen hielt sein schulterlanges Haar aus dem markant-hageren Gesicht.

      Fuin'isengrim warf ihre dunkelgrünen Umhänge in ein kleines Boot, verstaute einen Rucksack im Heck und stieg ein. Iorweth folgte ihm. Beide griffen zu den Paddeln und hielten sich südlich. Ihr Ziel war eine kleine Insel mit einem alten Tempel darauf, sie wurde Schwarzschwalbeninsel genannt.

      "Ich war wie du etwa zwanzig Jahre alt, als mich das Belteyn-Ritual zum Manne machte und ich als Zeichen dafür die Tätowierung erhielt. Nur noch die wenigsten wissen, um dieses alte Ritual. Der Zeitpunkt ist sehr wichtig, verstreicht er, ist das Ritual nicht mehr durchführbar. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst?"

      Iorweth nickte, ihm war dieses Gespräch ein wenig peinlich, ging es doch um seinen ersten Samenerguss, der ihn körperlich zu einem Erwachsenen werden ließ. Nun da er zeugungsfähig und nicht länger ein Kind war. "Anfang dieses Jahres geschah es. Seitdem haben sich meine Träume und Empfindungen geändert."

      Die Sonne stieg höher, die Schwarzschwalbeninsel kam in Sicht. Ein Tempelgebäude mit offenen Wänden und einem spitzen Turm als Dach ragte im nördlichen Teil aus dem Wasser, daneben breiteten sich zerklüftete Klippen aus. Die beiden Elfen mussten die Insel umrunden. Am südlichsten Teil war eine Sandbank mit einer Feuerstelle, die die Anlegestelle markierte. Sie gingen an Land.

      Die Umhänge ließen sie im Boot, es war sehr warm. Den Rucksack mit Proviant stellte der ältere Elf neben die verloschene Feuerstelle. "Cáemm, lass uns die Herrin des Sees begrüßen."

      Ein Stück des Ufers war überflutet und mannshohe Felsmauern verbargen eine kleine Bucht. Dahinter erstreckte sich ein Meer voll Seerosen - zwischen riesigen grünen Tellerblättern ragte weißer und zartgelber Lotus sich der Sonne entgegen. Ein betörender Duft und ein stetes Summen von blau­schimmernden Libellen lagen in der Luft. Ein hübscher Kopf sah ihnen zwischen den Seerosen entgegen. Tauchte dann unter und durchbrach näher am Ufer erneut die Wasseroberfläche. Bereitwillig machten ihr die Pflanzen Platz.

      Iorweth hatte nie etwas Schöneres vor sich auftauchen sehen. Die zierliche, nackte Frauengestalt trat ihnen entgegen, blieb aber mit den Füßen im Wasser stehen. Alabasterfarbene Haut, ein kindliches Gesicht mit dunklen, wissenden Augen und das meerfarbene Haar legte sich wie eine zweite Haut schützend um ihre Blöße - über die festen Brüste und wann sich um ihre Scham und schmalen Hüften. Ihre Stimme war wie eine sanfte, kühlende Brise an einem glühendheißen Sommertag - willkommen und spürbar.

      "Es ist Belteyn und vor mir steht ein Vater mit seinem Sohn. Es ist lange her, dass jemand mich um das Ritual bat. Willkommen Aran Fuin'isengrim aep Ellylon. Und sei auch du willkommen, Iorweth." Ehrerbietig neigten die großen Elfenmänner ihre schwarzhaarigen Häupter vor der Herrin vom See.

      "Cáemm vort Iorweth." Sie berührte ihn sanft an der Stirn. "Du bist ein hübscher Junge und im Geiste schon sehr reif für dein Alter. Nutze den Nachmittag und erkunde die Insel. Gehe zum Tempel im Norden und tauch hinab in die versunkene Stadt. Suche dort nach einem Artefakt, suche nach einem kleinen Gegenstand, den du ab heute immer bei dir tragen solltest. Und breche einen Zweig ab, der Sinnbild werden sollte für deine Zeichnung. Komme kurz vor Sonnenuntergang zu mir zurück - und lass dich nicht von den Wyverne fressen, die hier auf der Insel leben. Doch beflecke dein Schwert auch nicht mit ihrem Blut. Va'en!"

      Fuin'isengrim klopfte seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter und sie blickten ihm nach, als er das Meer von Seerosen umrundete und zwischen Felsen und Bäumen verschwand.

      "Ihr ähnelt euch nur äußerlich, sonst könntet ihr nicht gegensätzlicher sein. Fuin'isengrim, du weißt, dass Ritual fordert ein Opfer."

      "Ich bin gerne bereit es für Iorweth zu zahlen. Er wurde in eine Welt hineingeboren, in denen die alten Werte verblasst sind. Die Menschen haben das Land verwandelt, ja selbst die Sonne scheint anders als zu Zeiten Ellylons."

      "Ich verlange auch von dir diesen Preis und nicht von dem Jungen." Der Elf sah die Herrin vom See verwundert an. "Schau nicht so, Fuin'isengrim. Einst warst du ein stolzer Aran, doch nun sehe ich einen alten Elf der resigniert und seinen Stolz verloren hat. Der mit seinem Schicksal hadert und unglücklich ist. Der aufgegeben hat, weil er glaubt alles verloren zu haben."

      "Ich habe alles verloren und friste nun ein armseliges Leben unter der Verachtung der Menschen, die diese meine Welt erobert und unterjocht haben. Ich versuche mich mit ihnen zu arrangieren und zu überdauern. Denn Stolz kann ich mir unter ihnen nicht leisten, er wäre tödlich."

      "Du hast dich nicht arrangiert, Fuin'isengrim. Du wartest nur darauf, dass es vorbeigeht. Und verwechsle Stolz nicht mit Hochmut. Warst du die Tradition deiner Ahnen? Die Zwerge schaffen es leichter eine Koexistenz unter den Menschen aufzubauen, weil sie integrieren, handeln, teilen. Aber ihr Elfen distanziert euch, ruft zum Kampf auf - und das ist euer Untergang."

      "Das Geschlecht der Feleaorn ist nicht mehr. Ich kämpfe nicht! Es sind die Menschen, die uns hassen und diese Welt unter ihre Gewalt nehmen. Was willst du von mir, Herrin vom See?"

      "Die richtige Entscheidung! Du sollst erwachen! Der Frieden ist sehr trügerisch, es wird schon bald wieder blutige Kriege geben. Die Könige rüsten sich zu neuen Eroberungen und werden neue Veränderungen mit sich bringen."

      "Ich soll in den Krieg ziehen und mein Leben lassen?"

      Die Herrin vom See nickte.

      "Und was erhalte ich dafür?"

      "Eine Garantie. Ich garantiere dir, dass Iorweth in Freiheit leben wird. Ich behüte ihn und er wird ein großer Anführer seines Volkes werden. Ich sorge dafür, dass ihn nie die Hoffnung und der Mut verlassen; dass er stolz darauf ist ein Elf zu sein, in dem noch das Blut der Feleaorn fließt. Er wird dazu auserwählt sein, das verbleibende Erbe der Elfen in eine ihnen sichere, vorbestimmte Zukunft zu tragen. Es muss kein Untergang geben, die Elfen müssen nicht vergehen. Es