Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2. Harald Hartmann

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Название Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2
Автор произведения Harald Hartmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742719942



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aus. Wegen ihres starken Geruchs und intensiven Geschmacks war das Interesse, wie man sich denken konnte, riesengroß. Da traf es sich gut für meine innere Sicherheit, dass das Möbelmuseum im Moment geschlossen war. Die Gründe dafür waren ja bekannt.

      Ich dachte schon, dass diese bekannten Gründe mir einen Strich durch die Richtung machen würden und alle deshalb in gewohnter Grundstellung zu Hause blieben, aber ich hatte mich getäuscht. Plötzlich sah ich die ehemals so friedlich grasenden, ausgemusterten Flugzeuge auf mich zukommen, die damals im Wahlkampf ihr Futter so brüderlich mit mir geteilt hatten. Sie sahen mich auch und ließen ihre krummen Flügel einen krummen Rhythmus klappern. Dann täuschten sie rechts an und wollten links vorbei. Ich behielt die Nerven. Das konnten sie bei anderen versuchen, aber nicht beim Ministerpräsidenten. Ich blies meine Beine so dick auf, dass keiner mehr vorbei kam, und zwar so lange nicht, bis ich genau wusste, was hier los war.

      Sie befanden sich offensichtlich auf einer Wanderschaft. Ihre alte Wiese hatten sie abgegrast und zogen nun hungrig und mit hängenden, verbogenen Flügeln umher auf der Suche nach den saftigen, grünen Weiden, die ihnen einst bei ihrer Pensionierung von einem meiner gewissenlosen Vorgänger versprochen worden waren. Wäre ich zu dieser Zeit Ministerpräsident gewesen, hätte ich es erst gar nicht zu so einer Situation eskalieren lassen. Ich hätte diese ausgemusterten Flugzeuge ganz einfach zu einem Kostenfaktor erklärt und so schnell wie möglich in die Schrottpresse geschoben. Niemand würde dann heute mit hängenden Flügeln und leerem Magen vor mir stehen. Aber jetzt war ich ja zum Glück der Ministerpräsident.

      „Wollt ihr die Wahrheit wissen?“ rief ich ihnen zu.

      „Essen wäre uns lieber“, antworteten sie aus hohlen Wangen zu mir sprechend.

      Zufrieden brummend nickte ich. Das hatte ich mir schon gedacht. Die Wahrheit war also gar nicht so beliebt, wie immer behauptet wurde. Die Beliebtheitsskala wusste ein Lied davon zu singen. Abgeschlagen lag sie im unteren Mittelfeld noch hinter Rollmops und Glatteis und sogar in Abstiegsgefahr. Ich würde mich dafür einsetzen, dass es so bliebe. Sie war nämlich genau da, wo sie hingehörte. Wieder traf mein Blick auf einen ausgehungerten Propeller.

      „Reichlich krumm klappert ihr alle“, sagte ich wahrheitsgemäß.

      „Wenn es so weiter geht, werden wir bald noch krummer klappern“, antworteten sie ebenso wahrheitsgemäß.

      Wir verstanden uns nicht nur auf Anhieb, sondern auch noch prächtig. Nur die Wahrheit störte im Getriebe unserer Harmonie.

      „Lasst uns das Wahre unwahr machen!“ sagte ich zu ihnen.

      „Endlich mal ein Ministerpräsident mit Perspektive“ lobten sie mich, „und dann?“

      „Dann soll das Unwahre in den Vereinsfarben eures Lieblingsvereins gestrichen werden“, antwortete ich.

      „Wir haben aber keinen Lieblingsverein“, sagten sie.

      „Das macht nichts. Als Ministerpräsident gebe ich euch einen heißen Tipp“, antwortete ich. „Wer keinen Lieblingsverein hat, sucht die Dardanellen!“

      „Die großen oder kleinen?“ fragten sie wie aus einem Mund geschossen.

      Daran sah man, wie gefährlich Bildung sein konnte.

      „Die Größe ist egal“, antwortete ich den ausgemusterten, friedlich grasen wollenden Flugzeugen auf ihre überflüssige Frage nach den Dardanellen, „beide schmecken sehr lecker.“

      Ich lud sie ein zu einem runden Tisch. Er war so rund, dass ihnen schwindelig wurde, bevor wir überhaupt mit irgendetwas angefangen hatten. Danach waren sie als Kostenfaktor in irgendeiner Versenkung, wahrscheinlich unter den beiden Dardanellen verschwunden. Sie hatten es auch wirklich verdient. Neugierig folgte ich ihnen ganz unverdächtig auf meinem mit Obst und Gemüse getarnten Fahrrad. Vielleicht führten sie mich ja auf die Spur zu meinen flüchtigen Ministern. Ausgemusterte Flugzeuge waren schon sehr ausgefuchst. Ich notierte auch sie in mein berühmtes Notizbuch.

      Die Ereignisse überschlugen sich wieder einmal förmlich. Wenn mir etwas so richtig Spaß machte, dann waren das sich überschlagende Ereignisse. Sie konnten sich, wenn es nach mir ging, gar nicht genug überschlagen. Hier war ich in meinem Element. Nicht umsonst war ich überall bekannt als „virtuoser Dirigent der großen Überschlagungen“, wie ich bewundernd von meinen Anhängern genannt wurde.

      13

      „Guten Tag, Herr Ministerpräsident“, sprach mich eine Stimme an.

      Bremsen quietschten. Neben oder, besser gesagt, halb unter mir und meinem mit Obst und Gemüse getarnten Fahrrad kam ein auffällig unverdächtiger Fahrradfahrer zum Stehen. Sein Fahrrad war vollkommen ungetarnt. Weil ich mehr darüber wissen wollte, sah ich mir den Fahrradfahrer genauer an. Er war ein Wellensittich. Es war Hansi.

      „Guten Tag, Hansi“, sagte ich väterlich wie ein Landesvater.

      Er saß auf einem sehr kleinen Fahrrad, ein Fahrrad für noch sehr kleine Wellensittiche und sang schamlose Ministerlieder. Ich hörte ihm eine Weile zu und wippte mit meinen Füßen im Takt.

      „Woher kennst du die schamlosen Ministerlieder?“ fragte ich ihn.

      „Von den Ministern“, sagte er.

      „Wo sind denn die Minister?“ forschte ich ihn aus.

      „In der Damentoilette und singen schamlose Ministerlieder“, antwortete er ohne zu zögern.

      „Das ist ja interessant“ lachte ich ein besonders harmloses Elfenlachen, um mir nichts anmerken zu lassen. Denn ich hatte sofort kapiert, was Sache war. Es sah aus, als wäre ich auf eine vielversprechende Spur gestoßen. Und das musste ich ja nicht jedem Hansi auf den Schnabel binden.

      „Sing nur weiter!“ ermunterte ich Hansi.

      Und er sang und sang und sang, und so erfuhr ich alles, was ich niemals hatte erfahren wollen. Danach schickte ich Hansi schnell wieder in seinen Käfig. Er brauchte Urlaub. Ich dagegen konnte mich nicht so verwöhnen lassen. Ich musste handeln. Nach einem anstrengenden Sommerurlaub mit Hansis Mutter im schönen Emmental, packte ich alles, was ich erfahren hatte, aber niemals hatte wissen wollen, in ein großes Paket, umhüllte es mit einer undurchdringlichen Schicht von gut durchgekautem, dünn ausgewalztem Kaugummi und brachte es in einen speziell dafür in Auftrag gegebenen Banktresor. Er war ganz tief unten im Keller. Eigentlich noch unter dem Keller. Sogar tiefer als die tiefste bekannte Latrine. Er war unter Latrinenniveau. Da konnte das gefährliche Paket bestimmt nicht raus und Schaden anrichten. Und wenn es doch einen Weg herausfinden würde, würde ich es mit endlosen, diplomatischen Zeremonien zum Tee in meine Staatskanzlei einladen, natürlich mit feinstem manturinischen Gebäck.

      Es war ein genialer Plan, gesponnen aus allerfeinster Theorie, der aus jeder nur denkbaren Praxis ein braves Lämmchen machen würde. Als ich auch noch feststellte, dass er von mir selbst war, rieb ich mir zufrieden meine geruchsneutralen Hände. Dann ging ich zu meinem Friseur und informierte ihn über alles, was im Paket drin war. Die Wirkung auf ihn war verheerend. Von Stund an schwieg er wie ein Grab. Er war übrigens der einzige Friseur der Welt, der diese schwierige Übung beherrschte. Er wurde von seinen staunenden Kollegen und auch Kolleginnen seitdem verehrt wie ein Heiliger.

      Ich war nun so weit und nahm Kurs auf die Damentoilette. Aber ich kam nicht rein, weil sie vollkommen überfüllt war. Ich konnte die Damen gut verstehen. Ich versprach, später noch einmal wieder zu kommen. Die Damen konnten mich auch gut verstehen. Und das, obwohl es drinnen ziemlich laut zuging. Natürlich hatte ich gelogen. Ich wollte gar nicht wieder kommen. Ich wollte warten, bis die Minister müde waren und von selbst wieder rauskamen.

      Vorsichtshalber ließ ich mir noch einen Vollbart wachsen, damit sie mich nicht gleich erkannten und wieder flüchteten, wenn sie den lärmigen Raum verließen. Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen, alle Vorkehrungen getroffen für den entscheidenden Moment. Auch die vier starken Burschen mit der Sänfte standen bereit, breitbeinig und in ihren lustigen, luftigen Baströckchen als Meister der Exotik unverkennbar erkennbar. Nervös und in angespannter