Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2. Harald Hartmann

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Название Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2
Автор произведения Harald Hartmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742719942



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wohl wieder einmal meine Gedanken gelesen. Illegal natürlich.

      „Das merkt keiner“, sagte ich, „weil du viel schöner als unmusikalisch bist.“

      Bei dieser Antwort griff er unwillkürlich nach seinem Gehirn und sah hinein.

      „Du hast recht“, sagte er nach kurzer Betrachtung und nickte, „das merkt wirklich keiner!“

      „Nicht mal die Musik“, antwortete ich, „und die muss sich nun tatsächlich ordentlich verbiegen, bis sie sich deiner Schönheit angepasst hat.“

      Ich hatte ihn damit wohl bis in seine Haarspitzen überzeugt, und er griff sich eine Trompete. Der Rest war laut. Damit hatte er auch mich überzeugt. Für das Wahlvolk war es ein schönes Bild. Zwei Überzeugte standen überzeugt nebeneinander. Natürlich kriegte er sofort das Ministerium für Blaskapellenfragen von mir. Es verfügte sogar über eine eingebaute Badewanne. Darin konnten wir dann samstags immer gemeinsam baden. Über alles weitere ließ ich das Wahlvolk natürlich im Dunkeln, sonst wären ja jegliche Spekulationen unmöglich gewesen. Dann hätte es garantiert wieder Zusammenrottungen gegeben vor dem Großen Grünen Fertighaus des Wahlvolkes und alle hätten gerufen:

      „Wir wollen spekulieren! Wir wollen spekulieren! Wir wollen spekulieren!“

      Aber so genau erzählte ich dem Wahlvolk das alles natürlich nicht. Ich trug meine Verantwortung als Ministerpräsident verborgener, als man es mir ansehen konnte. Und auch ich selbst hatte es zu meiner höchsten Zufriedenheit schwer, sie zu entdecken, wenn ich mich im Spiegel betrachtete. So, genau so, liebte ich meine Verantwortung am meisten.

      8

      Ich rief beim Möbelmuseum an. Es war noch geschlossen, und es würde auch geschlossen bleiben, weil der Engländer sich dort einquartiert hatte, wie mir der Anrufbeantworter widerspruchssicher mitteilte. Ich musste also umdisponieren wegen der Vereidigung meiner Regierungsmannschaft. Ich beschloss, sie vorerst gar nicht zu vereidigen, dann konnten die Minister auch gegen nichts verstoßen und ihre Freiheit so komplett für das Regieren in einem vorvereidigten Zustand verwenden, was den Reibungsverlust im unvereidigtem Amt praktisch auf Null reduzierte. Das war bisher in der Praxis noch niemals gelungen. So war nun ein altes, ungelöstes Problem auf kunstvolle, theoretische Art gelöst, und das mit der Leichtigkeit eines einohrigen Zapfhahns, der zufrieden auf seinem Mist krähte.

      Aber damit wollte ich mich auf keinen Fall zufrieden geben. Ich wollte den Reibungsverlust der Null auf jeden Fall noch deutlich unterbieten. Die damit gewonnene Energie reichte locker dazu aus, den Bedarf aller Kaffeeautomaten in allen Ministerien zu decken und so einen wichtigen Beitrag zu leisten. Das Energieproblem hatte ich damit also schon gleich am Anfang besiegt, natürlich auch dieses vorbildlich und unnachahmlich wie alles übrige auf rein theoretischer und umweltschonender Basis. Doch jetzt, beim nächsten Schritt des Fortschritts, ging es um die Praxis, und die lauerte bereits auf mich an der Bar mit ihrem scharfen Cocktailkleid. Es ging darum, diesen wichtigen Beitrag nun mit einem Leben zu erfüllen, das diesen Namen auch verdiente. Ohne Regierungspersonal waren nämlich auch die Kaffeeautomaten nutzlos und die schöne Energieersparnis wüsste dann auch nicht wohin mit sich und würde bestimmt unrasiert in der Gegend herum vagabundieren wie eine Gruppe Junggesellen im Frühling. Das war eine aufregende Aussicht. Die sich daraus ergebende Information war für mich mehr wert als tausend schöne Worte, und ich zog mich mit ihr zurück auf die schneebedeckten Gipfel Ostfrieslands. Nur hier konnte ich das Problem der Theorie – Praxis – Polarität lösen. In der unverdünnten Luft dort würde die aufregende Aussicht sich in reine Materie verwandeln, in ein neues, unbekanntes Element, an dem meine Wissenschaftler sich ihre Zahnimplantate ausbeißen konnten. Ich hatte eben für jeden einen schönen Knochen in der Tasche. Kein Wunder, dass ich für diese fürsorgliche Einstellung auch einen Ehrentitel bekam. Natürlich war ich viel zu bescheiden, um ihn selbst öffentlich zu verbreiten. Mit dieser Aufgabe wollte ich meine zukünftigen Minister betrauen.

      Bald schon kam es zu einer unvermeidlichen Geburt. Es war die Geburt einer Idee. Vielleicht waren die Kaffeeautomaten in den Ministerien ja gar nicht nutzlos. Vielleicht konnten sie ja einfach die Amtsgeschäfte der Minister übernehmen, solange die noch nicht da waren. Möglicherweise war das mit einigen, wenigen Handgriffen zu erledigen. Ich rief meinen Ornithologen an. Er hatte sicher nichts dazu zu sagen. Und er enttäuschte mich nicht. Er war ein guter Mann. Männer wie er waren ein Glücksfall. Sie waren überall zu finden. Überall Glück und Glück und noch mehr Glück. Das wollte ich auf Dauer keinem zumuten. Schon aus machttaktischen Gründen änderte ich die Welt und erhob den seltenen Glücksfall zur neuen Norm. Die Sache mit den Kaffeeautomaten hatte ich daraufhin im Licht dieser neuen Lage vertagt bis spät in die Nacht. Ich wollte das erst noch von meiner Kellnerin durchkalkulieren lassen. Wenn sie ihr O.K. gab, würde ich ernst machen.

      Die Kaffeeautomaten blieben derweil ruhig. Sie regte diese Aussicht ebenso wie jede andere Aussicht nicht im geringsten auf. Unbeeindruckt kochten sie weiter Kaffee, souverän und stoisch. Sie waren keine aufgeregten Hühner. Das war natürlich schade, denn jetzt konnte ich erkennen, dass sie die als Ersatz für die abwesenden Minister ungeeignet waren. Die Qualität ihres Handelns war einfach zu zielgerichtet und hätte die künftigen Minister dadurch nur unnötig einem zu hohen Leistungsdruck ausgesetzt, was aber schlecht für Herz und Kreislauf war und somit gesetzlich verboten. Ja, als Ministerpräsident hatte ich die Pflicht, an alles und alle zu denken. Damit war die gerade erst geborene Idee schon gestorben. Manchmal ging es sehr schnell, schneller als ein Kaffeeautomat kochen konnte.

      Ein Lachen aus weiter Ferne erreichte mich. Ich spitzte meine abgerundeten Ohren. Es war das Lachen des doppelköpfigen Hamsters, meines alten Meisters, der mich beim Regieren beobachtet hatte. Er war also, genau wie ich, wieder unter den Lebenden, und ich überlegte, ob ich das ändern musste. Ich war schließlich der Regierende. Und da gab es nichts zu lachen. Für keinen. Und außerdem gab es für kaum etwas so viele Punkte beim Wahlvolk, wie wenn einer dem doppelköpfigen Hamster eins auswischte. Der Grund dafür lag in der schönen, unvergrauten, weiß gewaschenen Vorzeit, die dieser Nostalgiker unbedingt wieder einführen wollte. Er war einfach zu konservativ für das Wahlvolk, das am liebsten rudimentär dachte. Ich wusste das und nutzte dieses Wissen bedenkenlos aus, indem ich drohte, ihm das Ministerium für lockere Sitten zu übertragen. Augenblicklich erstarb das hämische Lachen des doppelköpfigen Hamsters und nicht nur das.

      9

      Mit meinem bis heute unerreichten, unsichtbaren Grinsen hinter den geschlossenen Lippen verließ ich das ostfriesische Gebirge und betete zu meinem ersten Schwiegervater, er möge meinem alten Meister, dem doppelköpfigen Hamster, einen seiner so liebevoll gezüchteten Fußpilze überlassen. Dann hätte der was Dauerhaftes, um das er sich jeden Tag kümmern konnte, und mich könnte er in Ruhe regieren lassen. Natürlich fehlten mir dazu immer noch die im Verborgenen hausenden Minister. Aber das Verborgene zu entborgen war bekanntlich eine Spezialität von mir. Ich war sogar berüchtigt dafür. Es war eine Leidenschaft, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dieses gefrorene Blut verbarg ich aber geschickt vor den mich umlungernden Paparazzi mit Hilfe meiner undurchsichtigen Adern. Sie waren ein Geschenk der Zahnarztfrau.

      „Die undurchsichtigen Adern waren sicher sehr teuer“, hatte ich damals zu ihr gesagt.

      Sie aber hatte nur generös abgewinkt.

      „Das letzte Zahnfleisch hat keine Taschen“, hatte sie geantwortet.

      „Du weißt gar nicht, wie recht du hast“, hatte ich genickt.

      Realismus war immer schon ihre große Schwäche gewesen. Zum Beweis gewährte sie mir sogar noch mitleidlos einen tiefen Einblick in ihre verschiedenen Bankkonten. Sie waren alle sehr realistisch. In diesem Moment war ich ihr unendlich dankbar für die undurchsichtigen Adern. Ohne sie wäre ich den ganzen Nullen hinter den vor ihnen stehenden Nichtnullen hilflos ausgeliefert gewesen. Doch so konnte ich sie alle leicht in meiner Nase herum führen, ohne dass sie etwas Durchsichtiges entdecken konnten. Bei dieser cleveren Herumführung wendete ich eine bis jetzt noch nie erfolgreich gewesene Taktik an, weil das in höchstem Maße unverdächtig war. Dieses Mal würde ich der