Gegen den Koloss. Achim Balters

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Название Gegen den Koloss
Автор произведения Achim Balters
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742752642



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alles leisten können? Es ist doch nur ein komfortables Leben am Abgrund. Wenn wir weit genug weg von hier wohnen würden, von mir aus auch in einem 08/15-Haus, wäre uns alles erspart geblieben. Im Grunde ist es doch ein armseliges, jämmerliches Leben, das wir hier jetzt führen. Wenn ich das gewusst hätte!

      Ich muss es aushalten. Fragt sich nur, wie. Mit buddhistischen Tricks vielleicht. Om, om, om vor mich herleiern, so lange, bis der Kopf gedankenleer ist. Oder Marathon laufen. Jeden Tag dafür trainieren und mich immer mehr steigern. Einfach nur laufen. Wie viele andere, die zum Dauerläufer geworden sind, weil sie vor sich selbst auf der Flucht sind. Oder vor etwas anderem. Laufen, damit man sich nicht weiter den Kopf zerbricht. Man kann nicht einfach weglaufen, man kommt ja doch wieder zurück, früher oder später. Dann gehe ich doch lieber in den Garten und genieße später einen guten Tropfen. Wie heute.

      Wo Richard ist, weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht gefragt, und er hat nichts gesagt. Ich werde ihn morgen erst wieder sehen. Früher hatte ich Angst, wenn er nicht nach Hause kam. Aber das ist glücklicherweise vorbei. Ganz beiläufig hat er mir gesagt, dass er eine neue Freundin hat. Er ist bestimmt bei ihr. So ein Filou. Die Frauen mögen ihn. Ich kann es verstehen. Er sucht noch immer eine Frau, die besser zu ihm passt als Iris. Auf die ist er reingefallen. Hat doch nur geblufft. So gut, wie es sonst nur Männer können. Aussehen alleine reicht nicht. Worauf bildet die sich eigentlich etwas ein? Ist zickig und unfruchtbar wie eine alte Juffer. Ich werde ihr immer mehr aus dem Weg gehen. Heute habe ich mit ihr in der Küche wieder nur ein paar fade Sätze gewechselt. Sie hatte es eilig, um frühzeitig in ihr Zimmer zu kommen. Sie wollte nicht den Anfang von irgendeinem dämlichen Krimi verpassen. Ein guter Krimi ist für sie beste Unterhaltung. Krimis, das sieht ihr ähnlich. Wie kann man bloß von Krimis schwärmen? Ist doch nichts anderes als Unrat. Krimis sollen einen mit Mord und Totschlag auf die Folter spannen. Man sitzt dann im Sessel, starrt gebannt auf den Fernseher und bekommt Herzklopfen. Oder auch nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Zuhause sich von der menschlichen Gemeinheit berieseln zu lassen. Was für eine blödsinnige Unterhaltung! Krimis finde ich widerlich, irgendwie abartig.

      Hier im Haus habe ich keine Angst. Es ist noch nie etwas passiert. Wir haben eine gut ausgetüftelte Alarmanlage und mechanischen Einbruchsschutz. Richard ist ein vorsichtiger Mensch. Er wollte so viel Sicherheit wie möglich. Das Haus ist fast so sicher wie Fort Knox, hat er gesagt. Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn ich etwas Verdächtiges hören würde, dann würde ich mich nicht rühren.

      Es ist ganz still, ganz friedlich. Noch stiller als heute Abend im Garten. An manchen Tagen bedrückt mich so eine Stille. Wenn ich mich allein fühle und an den Tod denke.

      Ob ich eine grantige, vertrocknete Alte werde? Eine Alte, die sich als Frau aufgegeben hat? Wenn ich weiter so verzweifelt bin, vielleicht. Aber ich will so nicht werden. Ich lasse mich ja nicht gehen, trotz allem. Ich pflege mich, ernähre mich vernünftig, bewege mich viel im Garten. Und ich bin noch gescheit genug. Der Alkohol schadet mir nicht, auch wenn ich mir manchmal ein Gläschen zu viel genehmige. Seit Jahren halte ich mein Gewicht. Keiner glaubt, dass ich schon 63 bin. Und bei Männern habe ich noch Chancen. Das merke ich an ihren Blicken und wie sie mich umgarnen. Als ich vorigen Samstag bei der Geburtstagsfeier von Astrid war, hat bei mir ihr geschiedener Bruder seinen Charme spielen lassen. Aber ich war wohl zu spröde, obwohl er mir gefallen hat. Mitte Sechzig, noch ansehnlich, gekonnt höflich. Ich hatte mich zu bedrückt gefühlt. Mal sehen, vielleicht ergibt sich ja noch etwas. Ich kann nicht ewig Carsten so nachtrauern, dass andere Männer für mich tabu bleiben. Ich weiß, dass es mit einem anderen nie wieder so schön sein wird wie mit Carsten, aber ich sehne mich trotzdem nach einem Mann. Nach Zärtlichkeit, Umarmungen, Leidenschaft. Ich bin doch kein geschlechtsloses Wesen. Ich habe noch einen Körper, der darauf pocht, Sex zu haben, ohne lange Pausen. Es ist ein Begehren, das herumirrt, ohne den Mann, der es stillen könnte. Manchmal wird es sogar so stark, dass ich immer wieder daran denken muss. Dann wäre ich nicht besonders wählerisch. Ich würde dann wohl jeden einigermaßen gut erhaltenen Kerl nehmen. Aber brennend ist es selten. Ein Glück.

      Wenn ich jemanden hätte, mit dem ich schlafen könnte, würde ich in seinen Armen sowieso an Carsten denken. Er wäre immer dabei. Und so weniger tot. Mein Carsten. Das gehört dann eben dazu. Schön wär’s. Chancen habe ich ja noch. Ich will nicht verkümmern, noch weiter absterben. Ich hätte jetzt gern jemanden, der mich umarmt.

      In einem Aachener Restaurant essen Richard Lindner und Birgit Ziegler die Nachspeise, einen exotischen, mit Cointreau verfeinerten Obstsalat. Es ist schon spät abends, aber noch immer sind alle Tische besetzt. Das Publikum scheint zu dem gehobenen Ambiente zu passen. Wie in den meisten guten Restaurants, die nichts zu verbergen haben, ist der Raum gut ausgeleuchtet.

      «Angenehm hell hier», meint Richard, kurz zu den doppelkugeligen Wandlampen blickend. «Und das spricht auch für das Restaurant. Restaurants mit gedämpftem Licht sollte man meiden. Das Essen ist dann meistens schlecht.»

      «Ja», bestätigt Birgit. «Wie in schmuddeligen Dorfkneipen. Auf gemütlich getrimmt, mit wenig Licht, fettigem Essen und haarsträubender Hygiene.»

      «Wie die Bürgerstuben in Anfelden. Aber damit kann man dieses Restaurant ja nicht vergleichen. Das Essen ist 1A.»

      «Ja. Und die Einrichtung sehr geschmackvoll. Hier braucht man das Licht nicht zu scheuen», sagt sie, stutzt, schmunzelt. «Wie komme ich denn darauf? Hört sich irgendwie salbungsvoll an.»

      «Ein bisschen Pathos schadet nicht.»

      «Aber nur ein bisschen. Sonst finde ich es störend. Leute, die pathetisch werden, kommen mir wie aufgeplustert vor.»

      «Es gibt auch Pathos in der Architektur. Gebäude, die davon geradezu triefen. Imponier-Architektur. Die zeugt von Dummheit und Stolz. Wie der sogenannte Reichstag in Berlin.»

      «Ja. Passt gut zu Marschmusik. Gut, dass wir nicht in der Zeit leben, in der so ein dämlicher Pomp gebaut wurde.» Sie legt den Löffel auf den jetzt leeren Teller Obstsalat zurück. «Das war ein feiner Abschluss. Sehr lecker, der Obstsalat. Und natürlich alles andere. Ein erstklassiges Restaurant. Wir sollten öfter hier essen gehen», schlägt sie vor.

      «Das finde ich auch», antwortet Richard. «Es ist Martins Lieblingsrestaurant. Der noch junge Koch soll schon zur Spitzenklasse gehören. Und auch ein Workaholic sein.»

      «Bist du auch einer?», fragt sie.

      «Wieso? Wirke ich etwa so auf dich?», fragt er verwundert.

      «Nein, Richard. Ich habe auch keine Ahnung, wie Workaholics wirken. Es war eine nicht so ernst gemeinte Frage», sagt sie, ihre Hand auf seine legend. Sein Blick streift kurz ihre schmale, unberingte Hand.

      «Ich arbeite gern. Und nicht gerade wenig in meinem Beruf. Aber ich gehöre nicht zu denen, die bis zum Anschlag und darüber hinaus schuften. Es gibt ja auch noch etwas anderes als die Architektur.»

      «Was?»

      «Dich zum Beispiel.»

      «Dieses Beispiel gefällt mir sehr.»

      «Weißt du, Birgit, was ich mache, empfinde ich eigentlich gar nicht als Arbeit. Es ist eher eine Tätigkeit, die mich ausfüllt. Sinnvoll und selbstbestimmt»

      «Du bist ja auch dein eigener Chef.»

      «Das kommt sicherlich hinzu. Und du Birgit, bist auch dein eigener Chef.»

      «Glücklicherweise. Zum Wohl, du Chef», sagt sie, hebt ihr Glas, prostet ihm zu.

      «Zum Wohl, du Chefin», erwidert er mit einem Glas Weißwein zurück prostend.

      Das ältere Paar am Nebentisch, das die meiste Zeit geschwiegen hat, steht mit langsamen und vorsichtigen Bewegungen auf. Der Mann lächelt unsicher, sieht auf seine Uhr, bleibt stehen, legt eine Hand auf die Stuhllehne, als wollte er so sein Gleichgewicht sichern. Die Frau blickt ihn fragend an, spielt am Verschluss ihrer Handtasche. Beide wirken auf Richard gepflegt und blutleer. Gutes Essen könnte eine Art Ersatz für sie sein. Er blickt wieder zu Birgit, die sich gerade mit einer Serviette über den Mund tupft, sie dann zusammenfaltet.

      «Was meinst du, Richard? Wir sollten Martin zu einem Essen in dieses Restaurant einladen.