Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall. Martin Renold

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Название Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699545



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kommen? Sie glauben doch selber nicht, dass ich eine Pistole auf mir tragen konnte.“

      „Ich sagte ja auch, dass ich diese Version nicht unbedingt für die richtige halte.“

      „Warum erzählen Sie mir denn diese ganze Geschichte? Wollen Sie mir Angst einjagen? Was bezwecken Sie damit?“, fragte Balz.

      „Ich bezwecke gar nichts. Ich pflege manchmal nur laut zu denken. Das ist eine Berufskrankheit, falls Sie es noch nicht wissen sollten. Nun, zugegeben, manchmal hat es ganz überraschende Folgen, wenn ich meine Gedanken entwickle. Aber ich bin noch nicht zu Ende“

      „Gut, denken Sie weiter, Inspector“, warf Balz ein, und das „Inspektor“ klang wieder ganz amerikanisch.

      „Gut, Sie können ja auch ins Zimmer Ihres Bruders gegangen sein und dort aus einer Schublade die Pistole oder den Revolver genommen haben.“

      „Woher sollte ich wissen...? Ich bin ja erst einige Stunden in diesem Haus.“

      „Zeit genug, ein paar Schubladen aufzuziehen. Sie ahnen ja nicht, wie viele Leute ihre Waffen unverschlossen aufbewahren. Vielleicht kam Ihnen der Zufall zu Hilfe?“

      „Sie nehmen doch nicht an, dass ich mich, vorausgesetzt, ich hätte tatsächlich meinen Bruder umbringen wollen, auf den Zufall hätte verlassen können.“

      „Herr Federbein, Sie reden ja ganz so, als hätten Sie sich das alles ganz gut überlegt. Mit Vorbedacht.“

      „Sie wissen nicht, dass ich einmal die Absicht hatte, einen Krimi zu schreiben.“

      „Ich dachte, Ihr Bruder schreibe Romane“, sagte Strahm.

      „Ja, schon, aber haben Sie schon einmal einen gelesen?“

      Strahm schüttelte den Kopf.

      „Dann können Sie natürlich nicht wissen, dass mein Bruder nie einen Krimi geschrieben hätte. Das hätte dann schon etwas ganz Besonderes sein müssen. So weit hätte er sich nicht herabgelassen. Aber ich habe Ihnen ja gesagt, dass auch ich Phantasie besitze und doch wohl auch einige Erfahrung aus meiner Jugendzeit.“

      „Vielleicht wollten Sie mit Ihrem Krimi die Tat im Voraus einmal durchspielen. Doch lassen wir das. Ich gebe ja zu, das mit der Waffe aus der Schublade ist ja auch nicht gerade glaubhaft. Aber auf jeden Fall hatten Sie eine Schusswaffe, und nachdem Ihr Bruder tot war, verwendeten Sie eine Stunde darauf, sie zum Verschwinden zu bringen, die Spuren zu verwischen und den Schreibtisch Ihres Bruders nach Dokumenten, einem Testament vor allem, zu durchsuchen. Irgendetwas müssen Sie ja in dieser Stunde getan haben. Dass Sie nur untätig dagesessen haben, nehme ich Ihnen nicht ab, Mister Federbein. Selbst ein Waagetyp wird sich in einer solchen Situation dazu entschließen können, die Polizei zu rufen.“

      „Können Sie nicht verstehen, dass ich einfach wie gelähmt war? Versetzen Sie sich doch in meine Lage. Ich fliege morgens um sechs Uhr in New York ab. Nachmittags um fünf lande ich in Kloten. Der lange Flug, der Jetlag, der Klimawechsel, die Erwartung, nach beinahe dreißig Jahren meinen Bruder…“

      „…den geliebten Bruder“, warf Strahm etwas zynisch dazwischen, doch Balz reagierte nicht darauf, sondern fuhr fort:

      „…meinen Bruder wieder zu sehen. Die Freude und Erregung des Wiedersehens, die Spannung und die Hoffnung, sich auch geistig wieder zu finden…“

      „Was Ihr Bruder ausschlug und sie begreiflicherweise in Wut versetzte. Also nicht vorsätzlich, sondern im Affekt.“

      „Sie sind zynisch, Inspector Strääm. Ich verdiene das nicht.“

      „Ich sagte doch, ich denke nur. Übrigens hätten Sie noch ein Motiv. Sie verdanken doch Ihrem Bruder ein Jahr im Gefängnis, weil er Ihnen damals nicht zur Flucht verhalf und Sie vor die Tür setzte.“

      „Das ist doch Schnee von gestern, Herr Strääm, nach dreißig Jahren?“, parierte Balz Federbein. „Wollen Sie mich jetzt verhaften?“

      „Noch nicht“, entgegnete Strahm. „Ich muss noch mehr denken.“

      „Übrigens*, wandte er sich an einen Mitarbeiter von der Spurensicherung, „habt ihr schon nachgeprüft, ob Schmauchspuren an Mister Federbeins Händen sind? Und nehmt dann auch gleich seinen Kittel mit ins Labor.“

      Als die Spurensicherung abgeschlossen war, trafen die Polizeibeamten Vorbereitungen zur Rückkehr. Ein Polizist trat zu Strahm und übergab ihm die Gegenstände, die sie auf dem Toten gefunden hatten, eine Armbanduhr, Marke Tissot, einen Taschenkalender, ein Portemonnaie mit etwa hundertfünfzig Franken Inhalt, ein angebrochenes Päckchen Medizinalzahnstocher „Stim-U-Dent“, ein silbernes Pillendöschen mit eingravierten Initialen MF und mit drei verschiedenen Sorten Pillen, eine Tabakpfeife mit eingeprägtem M auf dem Mundstück, einen Pfeifenstopfer, einen wildledernen Tabakbeutel und schließlich Auto- und Hausschlüssel.

      Strahm überreichte Federbein das Portemonnaie und die Uhr. Alles andere steckte er, sorgsam in ein Plastiksäckchen verschlossen, selber ein. Die Schlüssel behielt er noch eine Weile in der Hand. „Kommen Sie, ich möchte mir noch rasch das Auto ansehen.“

      Sie gingen durch das Haus in die Garage, und Federbein zündete das Licht an. Strahm warf nur einen raschen Blick auf den Audi. Dann gingen sie ins Wohnzimmer zurück.

      Strahm schaute sich auch hier noch einmal um, weniger, um noch irgendetwas zu entdecken, das zur Aufklärung beitragen könnte, als aus purer Neugierde. Sicher würde auch seine Frau ihn fragen, wie es im Haus eines so berühmten Schriftstellers aussehe. Eigentlich verhältnismäßig bescheiden, dachte er. Es gab hier keinen Swimmingpool, keine goldenen Hähne im Badezimmer, nichts Extravagantes. Nur viele Bücher und einige Bilder, Originale, wie Strahm feststellte, nur zwei in Öl, alles andere Aquarelle von ihm unbekannten Malern.

      Aus Zumsteins Zimmer trat Walser.

      „Gut, dann dampfen wir ab.“ Und zu Federbein: „Passen Sie auf sich auf! Und halten Sie sich zur Verfügung! Am besten bleiben Sie zu Hause.“

      „Ist alles versiegelt, Felix?“, fragte er einen jungen Kollegen, „nichts gefunden? Kein Testament?

      „Schwierig bei dem Papier. Lauter Manuskripte, Verträge und Briefe.“

      „Gut, du kannst mit uns fahren.“

      Nachdem die drei gegangen waren, öffnete Federbein die Tür zum Arbeitszimmer seines Bruders. Der Schreibtisch war versiegelt. Einen Augenblick lang empfand er das Bedürfnis, sich an den Tisch zu setzen. Aber er unterdrückte dieses Verlangen. Vielleicht würde gerade in diesem Moment der Freund Klaus Zumstein eintreten und erschrecken, das genaue Ebenbild des Toten hier in dieser gewohnten Stellung anzutreffen. Er verließ deshalb das Zimmer leise wieder und ging ins Gastzimmer.

      Er streckte sich angezogen auf dem Bett aus. Er atmete langsam und tief ein und aus. Zum ersten Mal seit der verhängnisvolle Schuss gefallen war, fühlte er sich ein bisschen entspannt. Er hätte am liebsten geweint, aber er hatte es verlernt. Er war wie ausgetrocknet.

      Da hörte er die Tür von Zumsteins Zimmer gehen, und gleich darnach klopfte es an seine Tür. Auf sein „Herein“ trat Zumstein ins Zimmer.

      Federbein forderte ihn auf, Platz zu nehmen.

      „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so spät noch störe“, sagte Zumstein, und als Federbein sich aufrichten wollte: „Nein, bleiben Sie ruhig liegen. Sie sind sicher müde. Aber da wir nun einmal unter demselben Dach wohnen und einen uns so nahestehenden Menschen verloren haben, meine ich, wir sollten uns doch zuerst einmal kennen lernen. Außerdem interessiert es mich natürlich, was eigentlich geschehen ist. Ich bin ja nur gefragt worden und habe überhaupt nichts erfahren.“

      Federbein berichtete, was er schon dem Kriminalbeamten erzählt hatte. Aber als er jetzt von seinem Bruder sprach, überwältigte ihn doch der Schmerz. Immer wieder überschlug sich seine Stimme, und er spürte, wie eine einzelne Träne über die Nasenwurzel zum anderen Auge hinüberrann, dann über die Schläfe und langsam vertrocknete.

      Als Federbein mit seinem Bericht zu Ende