Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall. Martin Renold

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Название Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699545



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der Schweiz. Das mag Ihnen vielleicht merkwürdig vorkommen, aber wir hatten unsere Beziehung so gut wie abgebrochen, nachdem ich weggegangen war. Unser Vater war schon vorher gestorben, die Mutter starb einige Jahre später. Ich hatte damals noch keine feste Adresse und erfuhr erst Wochen später vom Tod meiner Mutter. Mein Bruder war mir vor allem in den späteren Jahren, als wir langsam erwachsen wurden, fremd, obwohl er mir immer zum Verwechseln ähnlich sah. Vielleicht war es gerade das, was uns später trennte, unsere Ähnlichkeit. Als Kinder hatten wir zwar oft unseren Spaß daran. Wir haben manchmal unsere Identität vertauscht und die Leute zum Narren gehalten, was wohl alle Zwillinge, die sich so ähnlich sehen wie wir, als Kinder gerne tun. Das Einzige, was uns unterschied, war, dass er immer Glück hatte, ich nicht. Dabei sagt man doch, dass eineiige Zwillinge meistens nicht nur äußerlich gleich sind, sondern auch das gleiche Schicksal haben. Sie sind ja mit der gleichen Erbanlage ausgestattet, genießen normalerweise die gleiche Erziehung und sind zudem unter dem gleichen Sternzeichen geboren.“

      Strahm hatte ihm aufmerksam zugehört. Man muss die Menschen einfach reden lassen. Irgendwann erfährt man dann immer etwas, das man verwerten kann. Das wusste Strahm aus langer Erfahrung.

      „Glauben Sie an Astrologie?, fragte er jetzt.

      „Nein, ich habe keinen Grund dazu. Mein Bruder und ich sind der beste Beweis, dass dies ein Humbug ist. Aber ich muss zugeben, ich verstehe zu wenig davon. Und Sie?“

      „Ich halte auch nicht viel davon. Jedenfalls nichts von den Horoskopen. Aber die Charakterisierung der Eigenschaften bei den verschiedenen Typen kann einem in der Kriminalistik schon ein wenig helfen. Aber Sie wollten von Ihrer Jugend erzählen, von Ihrer Ähnlichkeit. Ich wollte Sie nicht unterbrechen.

      „Es interessiert Sie vielleicht nicht. Eigentlich gehört es auch nicht hierher.“

      „O doch, erzählen Sie nur. So kann ich mir auch ein Bild von Ihrem Bruder machen. Das ist wichtig für unsere Ermittlungen. Wie war er privat? Man hörte natürlich nur immer von ihm als Schriftsteller.“

      „Sie vergessen, dass ich lange keinen Kontakt mehr mit ihm hatte.“

      „Trotzdem, es interessiert mich. Sagen Sie, was Sie wissen.“

      Federbein schien nachzudenken. Strahm wartete, bis er weiterfuhr:

      „Ja, ich weiß nicht, vielleicht war ich eifersüchtig auf meinen Bruder. In der Schule war er kaum besser als ich, aber er hatte immer die besseren Noten, obwohl die Lehrer uns nie unterscheiden konnten. Wir haben manchmal unsere Plätze vertauscht.“

      „Und dann hat Ihnen Ihr Bruder wahrscheinlich die Aufsätze geschrieben. Vermutlich hatte er damals schon eine dichterische Ader.“

      „Nein, ich habe sie, so viel ich mich erinnere, immer selber geschrieben. Wir hatten nämlich beide viel Phantasie. Er konnte sich schriftlich besser ausdrücken, während ich viele Geschichten zusammenlog.

      Balz Federbein blickte den Polizeiwachtmeister an. Dieser saß mit auf den Tisch aufgesetzten Ellbogen da, hielt beide Fäuste vor den Mund, stützte mit den beiden Daumen das Kinn und schaute grimmig unter seinem Schlapphut hervor. Ganz wenig bewegte sich sein Kopf auf und ab, ein paar Millimeter nur. Aber es verlieh ihm das Aussehen von Nachdenklichkeit, die jedoch mit anderen Dingen beschäftigt war.

      „Wollten Sie das wirklich hören?“, fragte Federbein. „Ich möchte Sie nicht langweilen. Aber es kommt mir jetzt doch so manches in den Sinn. Sie werden verstehen, der Tod meines Bruders ist mir sehr nahe gegangen. Es ist alles so plötzlich gekommen, so unerwartet.“

      „Doch, doch, erzählen Sie nur weiter!“, forderte ihn Strahm auf. Warum sind Sie damals eigentlich ausgewandert?“

      „Ich? Ja, das ist auch so eine Geschichte. Daran war eben auch meine Phantasie schuld. Ich war damals ein rechter Tunichtgut. Geld hatte ich keines. Einen Beruf auch nicht. Studieren konnten wir beide nicht nach der Matura. Unsere Mutter hatte das Geld nicht dazu. Stipendien, ja, aber damals wäre es doch eine zu große Belastung für unsere Mutter gewesen. Michael bekam eine gute Stelle. Ich hatte keine Lust, mich zu binden. Ich arbeitete mal hier, mal da. Sobald ich irgendwo Geld verdient hatte, lief ich wieder weg. Ich ließ mir neue Anzüge schneidern, gab die Adresse meines Bruders an, der nicht mehr zu Hause bei der Mutter wohnte. Wenn dann mein Bruder mit der Rechnung zu den Scheidern ging und behauptete, er habe die Anzüge nicht bestellt, glaubte ihm natürlich keiner. Wenn er die Geschichte von seinem Zwillingsbruder, der ihm zum Verwechseln ähnlich sehe, erzählen wollte, hielten sie das für einen faulen Trick. Und meinem Bruder blieb nicht viel anderes übrig, als zu bezahlen, wenn er keine Scherereien bekommen wollte. Und solchen ging er am liebsten aus dem Weg. Von mir bekam er das Geld nie zurück. Meist wusste er auch gar nicht, wo ich mich herumtrieb. Verdient hat er auch nicht sehr viel. Geschrieben hatte er schon Einiges, aber noch nichts veröffentlicht, außer einigen kleinen Geschichten in Zeitschriften, was ihm aber nur ein kleines Taschengeld einbrachte. Ich machte Schulden über Schulden, und mein Bruder zahlte immer wieder. Ich suchte teure Kurorte auf und trieb mich in Hotels und Bars herum. Wenn ich dann einige Zeit wie ein Fürst gelebt hatte, ließ ich Kleider und Koffer im Hotelzimmer zurück und machte mich aus dem Staub. Für diese Schulden musste mein Bruder allerdings nicht aufkommen. Ich trug mich immer unter falschem Namen und falscher Adresse ein.“

      „Da kann ich doch verstehen, dass ihr Bruder nicht gerade glücklich über Sie war und aufatmete, als Sie von der Bildfläche verschwanden.“

      „Ja, ich muss zugeben, ich war ziemlich gemein. Das Geld, das ich selber verdiente, brauchte ich, um den Frauen Eindruck zu machen. Aber die Polizei war bereits hinter mir her. Ich hatte wieder einmal beschlossen, nicht ins Hotel zurückzukehren. In einer Bar in Davos machte sich ein älterer Herr an mich heran. Ich glaube, er war schwul. Ich merkte, dass er viel Geld in der Tasche trug, denn er war schon etwas angeheitert und prahlte vor mir damit. Ich fuhr mit ihm nach Klosters hinunter. Dort besuchten wir wieder eine Bar. Als er stockvoll war, forderte ich ihn auf, seine Jacke auszuziehen, denn es war heiß. Ich zog meine Jacke ebenfalls aus. Das gefiel ihm. Er legte seinen Arm um meine Schultern. Ich sagte, ich müsse einmal telefonieren. Ich stand auf und zog die Jacke von seinem Stuhl, ohne dass er es merkte, so besoffen war er.

      Als ich auf der Toilette in die Brieftasche schaute, erschrak ich. Ich hatte höchsten ein- oder zweitausend Franken erwartet. Aber es war ein Vielfaches. Ich ging nicht in die Bar zurück, sondern machte mich auf und davon. In jener Nacht kam ich noch bis nach Zürich zu meinem Bruder, der damals in der Stadt wohnte. Ich wollte mich bei ihm verstecken. Er wollte unbedingt wissen, wovor ich floh. Ich bot ihm an, ihm alle meine Schulden, für die er geradegestanden war, zurückzuzahlen, wenn er mich nicht verrate und mir weiterhelfe. Schließlich seien wir doch Brüder. Aber er wollte nichts von dem gestohlenen Geld, drängte mich, zur Polizei zu gehen, ich könnte alles noch als eine Verwechslung darstellen. Als ich nicht wollte, warf er mich hinaus.

      Der Mann in Klosters hatte sofort die Polizei alarmiert, als er feststellte, dass ich mit seinem Geld abgehauen war. Dummerweise fand die Polizei in meiner zurückgelassenen Jacke einen Ausweis mit meinem Namen. Und schließlich wurde ich in einem Zürcher Hotel aufgegriffen. Bei meiner Verhandlung wurde mein Bruder als Zeuge vorgeladen. Ich wurde, da ich bereits vorbestraft war, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.“

      „Das sind ja schöne Geschichten, die Sie mir da erzählen“, sagte Strahm und fragte: „Sind Sie später wieder straffällig geworden?“

      „Nein. Aber es gibt da noch etwas. Ich lernte im Gefängnis einen Zellengenossen kennen, der bei einem Banküberfall einen großen Betrag erbeutet hatte. Das Geld war nie gefunden worden. Er hatte es versteckt. Obwohl er seiner Freundin nur vage Angaben über das Versteck gemacht hatte, fürchtete er, sie könnte es entdecken, falls sie es nicht schon getan hatte, und mit einem andern Mann abhauen, denn sie hatte seit längerer Zeit nichts mehr von sich hören lassen. Ich entlockte ihm sein Geheimnis und anerbot mich, nach meiner Entlassung nachzusehen und das Geld für ihn aufzuheben. Er vertraute mir, und ich fand das Geld tatsächlich. Damit setzte ich mich nach Amerika ab. Seither habe ich mich aber meist ehrlich durchs Leben geschlagen.

      „Mit dem gestohlenen Geld“, blökte Strahm. „Wie hieß denn ihr Zellengenosse?“