Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall. Martin Renold

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Название Mord in Hombrechtikon und Tod am Wasserfall
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699545



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glaubte ihm nicht. Das kam ihm sonderbar vor. Nun gut, das würde er schon noch herausfinden. Im Augenblick tat dies nichts zu der Sache. „Und warum sind Sie zurückgekehrt?“, wollte Strahm wissen,

      „Ich wollte mich endlich mit meinem Bruder aussöhnen, man wird schließlich älter und gescheiter. Und dazu schien mir unser fünfzigster Geburtstag gerade der passende Anlass zu sein.

      „Sie werden fünfzig?“

      „Ja, aber erst im Oktober, am achtzehnten.“

      „Dann sind Sie also ein Waagetyp.“

      „Ja, man sagt, wir seien ausgeglichen.“

      „Und unentschlossen.“

      „Und darum auch ein wenig bequem“, seufzte Federbein.

      „Ja, aber auch mit viel Sinn für das Harmonische, das Künstlerische. Vor allem bei Ihrem Bruder scheint das ausgeprägt gewesen zu sein. Vielleicht haben Sie wirklich alle schlechten Eigenschaften des Sternzeichens Waage in die Wiege gelegt bekommen, und ihr Bruder die guten.“

      Strahm überlegte sich, ob er wohl auf der richtigen Fährte sei, wenn er den Mörder in diesem Mann suchte. Ein Hochstapler, ein gewissenloser Dieb, aber ein Mörder? Dazu noch ein Brudermörder?

      Beide Männer schwiegen eine Weile, bis Strahm den Faden wieder aufnahm.

      „Ja, und nun, wie war das also heute, was geschah vom Zeitpunkt Ihrer Ankunft bis zur Ermordung Ihres Bruders?“

      „Ich glaube kaum, dass Sie alles interessieren kann. Oder verdächtigen Sie etwa mich? Ich kann Ihnen versichern, dass ich meinen Bruder nicht getötet habe. Das müssen Sie mir schon glauben.“

      „Ich verdächtige noch niemanden“, log Strahm. „Aber ich muss alle Umstände prüfen. Es ist wichtig zu wissen, was vor dem Mord geschah.“

      „Nun gut, wir fuhren gleich hierher. Wenn man sich beinahe dreißig Jahre nicht mehr gesehen hat, gibt es natürlich viel zu erzählen. Aber wir hatten ja noch viel Zeit vor uns – so glaubten wir wenigstens. Da erzählt man sich eben auch viel Belangloseses und manches Wichtigere, das uns jetzt vielleicht nützlich wäre zu wissen, schiebt man für später auf. Ich glaube nicht, dass unsere Gespräche Ihnen weiterhelfen könnten.“

      „Vielleicht doch, Mister Federbein“, sagte Strahm, mit einem etwas ironischen Unterton auf der Anrede, denn der andere schien mit seinem Akzent ständig in Erinnerung rufen zu wollen, dass er aus Amerika kam und den Dialekt nicht mehr rein beherrsche.

      „Schießen Sie los! Was geschah um halb elf? Wenn ich nicht irre, hatte das Gewitter um diese Zeit seinen Höhepunkt bereits überschritten.“

      „Ja, das war wohl so. Wir hatten den ganzen Abend draußen verbracht. Während wir uns unterhielten, haben wir die Raketen gesehen und sind ab und zu durch die Knallerei erschreckt worden. Dann haben wir beobachtet, wie das Gewitter heraufzog. Wir gingen jedoch erst hinein, als die ersten Tropfen fielen. Aber es war schwül im Haus, und wir ließen die Gartentür und einen Fensterflügel offen. Wir saßen dort am kleinen Tisch. Mein Bruder mit dem Rücken zum Fenster. Um halb elf musste ich einmal hinaus auf die Toilette. Plötzlich höre ich einen Schuss. Ich dachte zuerst, es sei eine verspätete Rakete. Aber dann kam es mir doch merkwürdig vor, dass während des Gewitters Raketen abgeschossen würden. Eine Hagelrakete war es auf jeden Fall nicht, überlegte ich mir. Die hatten die Bauern vor dem Gewitter losgelassen, und die hatten viel dumpfer getönt. Ich machte mir also weiter keine Gedanken und beeilte mich nicht. Die ganze Überlegung, die ich anstellte, wurde mir eigentlich auch erst nachträglich bewusst, als ich ins Wohnzimmer zurückgekehrt war und sah, dass mein Bruder nicht mehr im Stuhl saß. Ich machte noch ein paar Schritte, und dann sah ich Michael auf dem Boden liegen. Nachdem ich festgestellt hatte, dass er tot war, löschte ich sofort das Licht und schloss Fenster und Türen. Es war mir richtig unheimlich.“

      „Draußen haben Sie nicht nachgeschaut?“

      „Doch, noch während ich neben meinem Bruder kniete, blickte ich in den Garten hinaus. Da ich niemanden sehen konnte, kroch ich am Boden zum Lichtschalter, um das Licht auszulöschen. Im Haus war es still, totenstill. Ich war nicht sicher, ob ich alle anderen Türen geschlossen hatte. Deshalb durchsuchte ich zuerst vorsichtig alle Zimmer.“

      „Auch das des Freundes Ihres Bruders?“

      „Ja, beide. Er bewohnt die beiden westlichen Zimmer, eines gegen den Garten, das andere hinten hinaus. Aus dem dunklen Haus heraus konnte ich gut beobachten, wenn die Blitze aufleuchteten. Aber ich sah niemanden. Nach einiger Zeit wagte ich mich nach draußen und ging ums Haus herum. Als ich nichts Verdächtiges feststellen konnte, kehrte ich zurück und schloss mich wieder ein.“

      „Und warum haben Sie nicht gleich die Polizei angerufen?“, fragte Strahm.

      „Zuerst kehrte ich zu meinem Bruder zurück. Ich muss wohl einen kleinen Schock erlitten haben. Auch muss ich zugeben, dass ich Angst hatte. Wenn der Mörder nochmals zurückkehrte und mich hier sähe, müsste er annehmen, er habe sein Opfer doch nicht richtig getroffen. Dann hätte er vielleicht nochmals geschossen. Ich war wie gelähmt. Ich weiß nicht, wie lange ich reglos dasaß. Sie haben ja selber gesagt, die Waagetypen könnten keine Entschlüsse fassen. Es mag eine halbe Stunde gewesen sein, eine Stunde oder zwei. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Plötzlich wachte ich wie aus einem schrecklichen Traum auf und tat das, was ich wohl sofort hätte tun müssen.“

      „Das wär’s wohl“, sagte Strahm unvermittelt, als Federbein anscheinend nichts mehr zu erzählen hatte, und erhob sich ruckartig, indem er sich mit den Händen von der Tischplatte hochstemmte. Und dann, im Stehen, beiläufig, als ob er dem gar keine besondere Bedeutung beimessen würde: „Sie wissen wahrscheinlich, dass Sie sich durch Ihr Verhalten des Mordes an Ihrem Bruder verdächtig gemacht haben.“

      „Vielleicht, aber das ist doch Unsinn“, erwiderte Balthasar Federbein mit einem Ton, der zum ersten Mal echt und ohne amerikanischen Akzent klang.

      „Ich will Ihnen nun meine Version darlegen, Mister Federbein, ohne damit zu sagen, dass ich selber daran glaube. Es ist einfach eine Hypothese.“ Und er schritt neben dem Tisch, an dem Federbein saß, hin und her.

      „Sie sind kein unbeschriebenes Blatt, das kann man doch wohl sagen, auch wenn das, was Sie in ihrer Jugend getan haben, längst verjährt ist. Sie wissen, dass Ihr Bruder seit einigen Jahren großen Erfolg als Schriftsteller hat. Seine Werke, vor allem die Dramen, sind, so viel ich gelesen habe, in viele Sprachen übersetzt und an berühmten Theatern aufgeführt worden und werfen sicher erhebliche Honorare und Tantiemen ab. Ich gehe wohl nicht fehl, nach allem, was Sie mir erzählt haben, wenn ich annehme, dass Sie der einzige Erbe sind. Vor ein paar Jahren war Ihr Bruder für Sie noch nicht interessant. Aber jetzt plötzlich fassten Sie den Entschluss, herüberzukommen. Außer Ihrem Bruder wusste niemand, dass er Sie erwartete.“

      „Er hat es sicher seinem Freund erzählt“, warf Federbein ein.

      „Sie konnten aber nicht wissen, dass er es ihm gesagt hatte. Vermutlich wussten Sie überhaupt nicht, dass der Freund hier wohnt. Sie kommen also rechtzeitig zum Nationalfeiertag. Sie wissen, dass überall Feuerwerk gezündet wird. Bei dieser Knallerei wird man Ihren Schuss überhören. Sie warten also, bis Sie zusammen ins Haus hineingehen, dann verlassen Sie für kurze Zeit Ihren Bruder unter dem Vorwand, ein gewisses Bedürfnis verrichten zu müssen. Man hat ja schließlich einiges getrunken, nehme ich an. Sie suchen aber ihr Zimmer auf, holen die Pistole aus Ihrem Koffer, verlassen das Gastzimmer durch die Gartentür und schleichen sich zum offenen Fenster des Wohnzimmers, wo Ihnen Ihr Bruder den Rücken zukehrt. Ich nehme nicht an, dass Sie den Bruder anriefen, damit er dem Mörder noch einmal in die Augen schauen konnte. Diesen Anblick hätten Sie ihm, wenn alles nach Plan gegangen wäre, sicher ersparen wollen. Aber ein Geräusch muss Ihren Bruder erschreckt haben. Er nimmt ja an, dass Sie auf der Toilette sind. Doch er hört jemanden im Garten, er springt auf, und Sie setzen ihm kaltblütig die Pistole auf die Brust. Der Schuss ist höchstens aus einem Meter Entfernung abgegeben worden. Die Obduktion und die ballistische Untersuchung werden das noch genau bestätigen.“

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