Bubenträume. Sebastian Liebowitz

Читать онлайн.
Название Bubenträume
Автор произведения Sebastian Liebowitz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742791887



Скачать книгу

hab dir doch erzählt, dass Mama mir das Ding abgenommen hat.“

      Bürgi kniff argwöhnisch die Augen zusammen.

      „Du erzählst mir doch keinen Quatsch, oder? Oder hast du dir das alles bloss ausgedacht?“

      „Ausgedacht? Wieso denn?“

      „Was weiss ich, vielleicht willst du dich ja aufspielen.“

      Aufspielen? Hielt mich Bürgi für jemanden, der sich aufspielen musste? Plötzlich war ich in Erklärungsnot.

      „Nein, ich sag dir doch, Mama hat sich das Heft geschnappt. Das liegt sicher schon im Müll.“

      „Naja, ein bisschen schwer zu glauben ist es schon, gleich drei auf einmal. Welche Frau macht sowas schon.“

      „Aber ich hab es dir doch erklärt, wie das geht“, flüsterte ich. „Auf einem reitet sie, und dann hat sie auf jeder Seite einen stehen, dem macht sie es dann mit dem Mund.“

      Bürgi kratzte sich am Kinn.

      „Also, so recht kann ich mir das nicht vorstellen“, behauptete er, „komm, zeig mal her.“

      „Was denn, hier?“, fragte ich und schielte dabei zu Herr Patens, der gerade mit dem Rücken zu mir stand.

      „Jetzt mach mal nicht in die Hose“, flüsterte Bürgi, „ich pass schon auf.“

      „Also gut“, willigte ich schliesslich ein. „Dass du mich aber bloss warnst, wenn der Kerl sich umdreht, hörst du?“

      „Jaja“, winkte Bürgi ab, „jetzt hör auf, rumzujammern und mach hin.“

      Ich warf nochmals einen Blick auf Herrn Patens und begann dann, mit meinem Hintern auf dem Stuhl auf und ab zu hopsen.

      „Also gut, auf dem einem reitet sie also, und zwar so.“ Dann hielt ich mir meine Hände neben den Kopf. „Und den anderen beiden macht sie es dabei mit dem Mund..“

      „Wie meinst du denn, ‚mit dem Mund machen‘?“, wollte Bürgi nun wissen.

      „Na, du weisst schon, halt mit dem Mund machen.“

      „Komm, zeig mal her, wie das funktioniert.“

      Ich liess mich auf den Stuhl zurückplumpsen.

      „Verdammt noch mal, du wirst doch wissen, wie das geht?“

      „Wie denn? Seh ich aus, als würde ich sowas treiben?“ Er sah mich vorwurfsvoll an. „Und wer war denn derjenige, der zu dämlich war, seine Tür abzuschliessen? Schliesslich weiss jeder Depp, dass man erst die Tür abschliesst, bevor man…äh.“

      „Bevor man was?“

      „Äh, nichts weiter. Also, wie war das jetzt nochmal mit der Tante?“

      „Also gut, aber zum letzten Mal jetzt.“ Ich begann erneut, mit meinem Hintern auf dem Stuhl auf und ab zu hopsen. „Also, auf einem reitet sie..“, keuchte ich. Die verdammte Hopserei ging mir langsam auf die Pumpe. „Und den anderen macht sie es mit dem Mund.“ Ich hielt mir meine Hände neben das Gesicht, streckte meine Zunge raus und tat so, als würde ich links und rechts abwechselnd ein Eis lecken. „Und dabei…“

      In diesem Moment sah ich aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung und –zack-, bekam ich noch eine aufs Maul.

      Im Nachhinein muss ich zugeben, dass man vielleicht in der Tat nicht den besten Eindruck hinterlässt, wenn man vor seinem Lehrer wie ein Känguru auf dem Stuhl auf- und ab hopst und dabei seine Zunge raushängen lässt. Sowas kann leicht zu Missverständnissen führen.

      Auf der Beliebtheitsskala von Herrn Patens rangierte ich nach dieser Episode jedenfalls ganz unten, wo ich mir die letzten Plätze mit Victorio, Thuri und Hansi teilte. Victorio, weil der Sohn eines italienischen Gastarbeiters höllisch gut aussah, was ihn zur beliebten Zielscheibe von Herrn Patens machte, mit dem es die Natur nicht ganz so gut gemeint hatte. Thuri, weil ihn Herr Patens, um es mal so zu sagen, nicht riechen konnte. Und Hansi?

      Nun ja, das ist eine andere Geschichte.

      Er herrscht gespenstische Stille im Schulzimmer. Nur verhaltenes Atmen und da und dort ein nervös zappelnder Fuss zeugen davon, dass es sich bei den Jugendlichen, die sich über ihre Prüfungsblätter beugen, um Gestalten aus Fleisch und Blut handelt. Herr Patens patrouilliert mit strengem Blick durch die Schulbankreihen. Zufrieden mit sich und der Welt verpasst er dort mal einem zu hektisch wackelnden Fuss einen spielerischen Tritt, streichelt dort mal mit einer Kopfnuss den Hinterkopf eines vorwitzig in das Prüfungsblatt seines Nachbarn schielenden Siebtklässlers. Nichts entgeht ihm. Er ist Lehrer, Kapitän und Diktator zugleich.

      Die heutige Prüfung ist eine Semesterprüfung. Entsprechend konzentriert sind die Schüler bei der Sache. Kaum einer traut sich, den Blick vom Blatt zu wenden. Nur das leise Kritzeln von Bleistiften ist zu hören. Ab und zu hustet jemand, verstummt unter dem vorwurfsvollen Blick von Herr Patens aber sofort wieder. Plötzlich durchdringt ein seltsamer Laut die Stille.

      „BulipBulipBulipBulip.“

      Herr Patens Kopf schiesst herum.

      „Was ist das?“, faucht er, „woher kommt das?“

      Köpfe werden geschüttelt, ratlose Blicke ausgetauscht. Die Schüler sind verängstigt. Wer es wagt, den Unterricht von Herrn Patens zu stören, ist so gut wie tot.

      „BulipBulipBulip“, tönt es erneut.

      Herr Patens Stimme überschlägt sich fast.

      „Treibt bloss keine Spielchen mit mir, ich warne euch…“ Sein Blick schweift hektisch von einem Schüler zum anderen und bleibt schliesslich auf dem einzigen Schüler haften, der seinen Kopf immer noch gesenkt hält. Hansis Ellbogen zucken, während er an einem geheimnisvollen Gegenstand unter seinem Pult herumhantiert. Er fletscht seine Zähne, ist wie besessen.

      „BulipBulipBulip“, macht es, und die Ellbogen zucken einmal links, einmal rechts. „Billi-Billi-Billi-Billi“ tönt es kurz darauf, um ein Zittern in seinem rechten Arm auszulösen, welches sich über den ganzen Oberkörper verteilt. Dann macht es „Tröt-Tröt-Tröt“, was zu einem hektischen Ellbogentanz führt, bevor die Geräusche in einem „BiuuBiuuBiuu-Biuuu“ enden, welches Hansi förmlich in sich zusammensacken lässt. Er verwirft frustriert seine Hände und stöhnt leise. Und weil er dabei seinen Kopf zurückwirft, bemerkt er endlich, dass alle Blicke im Schulzimmer auf ihn gerichtet sind.

      Für ein paar Sekunden lang ist es, als hätte Gott auf „Pause“ gedrückt. Keiner rührt sich.

      Dann die erste, kleine Bewegung. Hansis Augen wandern nach rechts und kriechen langsam seinen Arm entlang. Dreiundzwanzig Augenpaare wandern mit ihm. Und richten sich schliesslich auf das neuartige Videospiel in Hansis Rechten, welches er zu seinem Geburtstag bekommen hat und seither nicht mehr aus der Hand legen kann.

      Und hier, bei den Stichwörtern „Bewegung“ und „Hand“ käme nun wieder Herr Patens ins Spiel.

      Die nachfolgende Minute war von Ausgewogenheit geprägt. Ausgewogen deshalb, weil Herr Patens zwar viel brüllte, Hansi aber auch viel schrie. Und ohne dem Ende jetzt vorgreifen zu wollen:

      Es wäre es wohl nicht ganz verkehrt, die Szene mit „Game Over für Hansi“ zu betiteln.

      Kein Wunder, dass sich, je mehr sich das Schuljahr seinem Ende zuneigte, die Gespräche auf dem Schulhof immer häufiger um den ungeliebten Lehrer drehten.

      „Ich sag euch, der Kerl muss weg“, schlussfolgerte Victorio eines Tages.

      „Welcher Kerl denn“, wollte ich wissen.

      „Na, welcher wohl? Ich rede vom Stronzo Patens. Der Kerl ist so scheisse, dass man seine Fresse für Windelwerbung verwenden könnte, weisst du?“

      „Neulich ist er an meinem Pult vorbeigelaufen und hat sich demonstrativ die Nase zugehalten, das blöde Arschloch“, schimpfte Thuri. „Der mit seinem dämlichen Vollbart. Als ob ihm einer ins Gesicht geschissen