Название | Schlussakt |
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Автор произведения | Joana Goede |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738086560 |
Außer mir und den Kätzchen saßen in meinem Bett mehrere Stofftiere, die alle Namen hatten, und mich schon als wirkliche Freunde seit meiner frühen Kindheit begleiteten. Niemals würde ich eins von ihnen hergeben.
Kleine Katzen finden große Stofftiere mit Fell und Ohren, in die sie hineinbeißen können, unheimlich interessant. Sie balgten sich mit den großen, haarigen Wesen, zupften Watte heraus und kauten an ihren Nasen. So spielte ich immer noch mit den Kätzchen, als Madeleine mit Kuchen und Tee hereinkam. Sofort stieg mir der abscheuliche Geruch des Erkältungstees in die Nase, und meine Nackenhaare sträubten sich.
Madeleine stellte die Tasse und den Teller auf den Nachttisch und setzte sich zu mir auf die Bettkante. Ich spielte weiter unbeirrt mit den Kätzchen, spürte aber den Blick meiner Pflegemutter und wartete geduldig. Wahrscheinlich wollte sie reden. Sie wollte immer reden, aber ich wollte es nicht. Sie wollte immer wissen, was mich bedrückte, warum ich nur in mir selbst lebte, und meine Gedanken mit niemandem teilte. Ich wollte nicht. Ich wollte nicht, dass jemand anderes über mich Bescheid wusste, nur Gott und der Pfarrer waren eingeweiht. Und die würden sicherlich dicht halten.
„Ich habe einen Termin für dich gemacht, beim Psychologen.“ Ich sah auf. Damit hatte sie schon öfter gedroht, aber dass sie es tatsächlich machen würde, hatte ich nicht erwartet. Sie ignorierte meinen erstaunten Blick. „Morgen früh, um Zehn. Ich fahre dich hin.“ Sie ging also auf Nummer Sicher, damit ich nicht auf halbem Wege kehrt machte. Ich starrte sie immer noch an, fassungslos. Ich verstand wohl, dass sie sich um mich sorgte, und ich verstand auch, dass es ihr Angst machte, dass ich nie mit irgendjemandem über meine Probleme sprach, und dass diese Verschlossenheit, je älter ich wurde, auch noch zunahm. Doch ich verstand überhaupt nicht, was sie sich von einem Gespräch mit diesem Psychologen versprach. Vielleicht glaubte sie, es läge an ihr, dass ich nicht sprechen wollte, vielleicht glaubte sie, der Psychologe würde etwas ändern. Ich wusste, dass niemand etwas ändern konnte, doch ich sagte nichts. Ich schwieg nur und streichelte Figaro, der auf meinem Bauch saß und den Kuchen fixierte und belauerte.
„Wenn du es willst, dann geh ich dahin“, sagte ich und registrierte Erleichterung in Madeleines Augen. Ich wollte sie schließlich nicht verärgern oder noch mehr traurig machen, indem ich ein Gespräch mit diesem Menschen ablehnte. Ich musste ihm ja nichts erzählen. Gott wusste Bescheid, das musste reichen. Wenn selbst die höchste Instanz keinen Rat wusste, hatte dieser Psychologe erst recht keine Chance. Ich schwieg aber beharrlich. Das waren meine eigenen Gedanken.
Nachdem Madeleine das Zimmer verlassen hatte, stand ich auf, nahm die Tasse mit dem Erkältungstee und kippte sie in eine meiner Topfpflanzen auf der Fensterbank. Ich fürchtete nicht, dass sie eingehen könnte, denn sie hatte auf den Tee noch nie negativ reagiert, und das, obwohl sie ihn im Winter relativ oft zu schmecken bekam. Ich betrachtete das grüne Gewächs eine Weile und legte mich dann zurück ins Bett. Mein Kopf fühlte sich heiß an, doch ich wusste, dass es kein Fieber war, sondern nur der ganz normale Vorgeschmack auf eine fiese Erkältung, die einen zwar nicht schwer krank machte, aber unfähig, irgendetwas konzentriert zu tun.
Deshalb hatte ich auch keine Lust zu lesen. Während Felicitas und Balthasar in einer Ecke des Bettes mit dem Deckenzipfel spielten, hatte Figaro sich auf meinem Bauch zusammengerollt, starrte mich aber aus tief blauen Babyaugen an. Als würde er etwas erwarten.
Der warme Apfelkuchen strömte einen angenehmen Duft aus, dem ich mich bald nicht mehr entziehen konnte, doch kaum hatte ich den Teller in der Hand, als ich mich schon umringt von drei kleinen, immer hungrigen Mäulern sah, die den Kuchen hypnotisierten, als wäre er Beute. Es dauerte nicht lange, bis wir zu viert den Kuchen aufgegessen und in still schweigendem Einverständnis beschlossen hatten, zu dösen. Eigentlich war ich nicht müde und erschöpft fühlte ich mich auch nicht, nur nicht so ganz wohl. Ich lag auf dem Rücken und starrte meine Augenlieder von innen an, ein angenehmes Dunkelrot, durchzogen von vielen kleinen Lichtblitzen.
Als ich meine Zimmertür aufgehen hörte, öffnete ich sie langsam und erblickte Bernhard, der wohl auch seinen Teil zur Krankenpflege beitragen wollte. Heuchler, dachte ich, da ich genau wusste, dass ich ihn nicht im Mindesten interessierte. Es ging ihm einzig und allein um Madeleine. Er kam auf uns vier Dösende zu, kraulte die Kätzchen nacheinander hinter den Öhrchen und strich in väterlicher Manier schließlich auch mir einmal durch die wirren Haare. „Du müsstest mal zum Friseur“, sagte er und grinste. Bei mir kam der Friseur sogar noch vor dem Arzt, was meine Abneigung an Besuchen betraf. Bernhard zog den Schreibtischstuhl neben das Bett und setzte sich darauf, er nistete sich hier ein, plante wohl ein längeres Gespräch. Ich wusste, dass es nicht Bernhards Art war, mich auszufragen, so wie Madeleine es oft versuchte. Damit hatte man bei mir eben keinen Erfolg. Was wollte er denn nun? Sich bei mir einschmeicheln? Hatte Madeleine ihn gebeten, etwas Nettes zu mir zu sagen? Als wenn ich das aus seinem Munde glauben könnte.
„Ich glaube, sie übertreibt ein bisschen mit dem Psychologen“, meinte Bernhard und fuhr fort: „Aber sie macht sich eben Sorgen. Ich habe in deinem Alter auch nicht viel mit meinen Eltern gesprochen, das tut man eben nicht.“ Er schwieg eine Weile, als warte er auf eine Bestätigung. Ich starrte nur durch ihn hindurch. „Es ist nur so, dass du wirklich gar nichts erzählst. Nichts von der Schule. Oder von Freunden. Und wir sehen, dass dich etwas bedrückt, kriegen aber nicht heraus was es ist.“
Ich starrte Bernhard an. Dieser unmissverständliche Appell hatte irgendwie den Drang in mir geweckt, mich zu verteidigen.
„In der Schule ist es immer gleich“, murmelte ich und begann Figaro intensiv zu streicheln. „Und Freunde brauche ich nicht. Was soll ich da denn erzählen?“ Bewusst verzichtete ich auf die Stellungnahme zu Bernhards letzten und wichtigsten Aspekt. Bernhard starrte mich an. „Ist es ein Mädchen?“, fragte er, als wäre das das einzige Problem, dass er sich für einen siebzehnjährigen Jungen vorstellen könnte. Ich sah ihn ungläubig an, erwiderte aber nichts. Sollte er das doch glauben, wenn er fand, dass das ein angemessener Grund war, Gespräche mit seinen Eltern zu verweigern. Ich würde ihm da nicht widersprechen, vielleicht beruhigte ihn das ja. Ich wendete seinen Blick zur Decke. Das Gespräch war für mich beendet. „Mein Gott, Benvolio! Ich habe wirklich alles versucht, Madeleine zur Liebe, um dich in diese Familie zu integrieren und dir eine zweite Chance zu geben. Aber du willst sie ja nicht. Du hast es ja nicht nötig dich dafür dankbar zu zeigen. Du hast diese Familie überhaupt nicht verdient!“
Bernhard seufzte und verließ das Zimmer. Die Tür schlug er hinter sich zu, wie nach einem Streit. Ich zuckte bei dem unerwarteten Knall zusammen. Wieso ließen sie mich nicht einfach so, wie ich war? War ich so unausstehlich, dass man mich unbedingt ändern musste?
Der Wecker, eine scheußliche Erfindung, klingelte um halb neun. Der durchdringende Piepton riss mich aus halbwegs angenehmen Träumen und war geradezu haarsträubend motiviert dazu, mich zum Aufstehen zu bewegen. Fluchend versenkte ich meinen Kopf im Kissen und versuchte das aufdringliche Piepen zu überhören. Es war aber unmöglich. Ich hätte Lärmschutzwälle errichten oder mich sonst wie von dem Foltergerät abschirmen müssen, um dessen Weckruf zu entgehen. Schließlich gab ich doch nach, da ich begriff, dass ich gegen diese Form der modernen Technik nicht gewinnen konnte, und schaltete den Wecker aus. Draußen war es tief grau, doch es regnete nicht. Immerhin ein Fortschritt. Von Regen hatte ich auch wirklich die Nase voll. Ein Blick aufs Thermometer zeigte mir, dass es noch viel kälter war, als gestern. Also vermutlich auf dem Thermometer -1 Grad und gefühlte -10 Grad. Wie immer. Wenigstens zu kalt für Regen. Ich zwang mich dazu, aufzustehen, obwohl ich kaum geschlafen hatte. Ich schlief immer spät ein und musste dann aufstehen, wenn der Schlaf gerade am allerschönsten war. Furchtbar war es besonders im Winter, wenn es auch noch stockfinster war und man den Morgen von der Nacht nicht unterscheiden konnte. Mein Körper zeigte sich in diesen Monaten ständig verwirrt. Auch in den Ferien.
Als ich schließlich den Fuß auf den Teppichboden setzte, trat ich auf allerlei Dinge, die ich wohl im nächtlichen Halbschlaf ziellos auf den Boden gepfeffert hatte. Er war nämlich übersät mit Taschentüchern, Socken und einigen Schmerztabletten, die leider nicht mehr so viel halfen. Auf dem Nachtisch lag Aspirin. Das musste eine ereignisreiche Nacht gewesen sein, kein Wunder, dass ich mich wie überfahren fühlte.