Winterkinder. Anna Kosak

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Название Winterkinder
Автор произведения Anna Kosak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742710895



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ihre Nachbarin war sehr nett. Im Sommer hatten sie, über die niedrige Hecke gebeugt und Gartenscheren in der Hand, schon so manche Minuten verplaudert. Dann waren da noch ein paar alte Klassenkameraden, die sie jedoch nie alleine, immer in einer größeren Gruppe traf. Eine allerbeste Freundin, oder gar eine Mädchenclique, hatte sie nicht.

      *

      Dass sich ihr Leben bald schon verändern würde, wusste Melissa Garner zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Bald schon würde sie auf Personen treffen, die es ihr unmöglich machen würden, ihr bisheriges Leben fortzuführen. Personen aus der Vergangenheit und solche, die sie erst neu kennen lernen sollte. Dieser Donnerstagnachmittag in der Bibliothek sollte einer der letzten ihres alten Lebens sein.

      *

      In einer viele Kilometer nordöstlich liegenden Stadt stand Caitlin Fog vor dem Spiegel und musterte sich kritisch. Als Kind leicht dicklich, mit rundem Gesicht und fusseligem braunen Haar, lebte Caitlin in ständiger Angst, zuzunehmen. Daher achtete sie nicht nur genau darauf, was und wieviel sie aß, sondern ging dazu noch vier Mal die Woche joggen und montagabends, ließ es sich zeitlich einrichten, zum Yoga.

      Michael kam herein und entdeckte seine Frau, wie sie sich vor dem Spiegel hin und her drehte. Ein zärtliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er legte von hinten die Arme um sie.

      „Du siehst wunderbar aus, Cat!“

      Sie seufzte.

      „Findest du? Ich bin nicht so ganz zufrieden.“

      „Das Kleid steht dir ausgezeichnet“, beruhigte er sie, „wirklich.“

      „Danke.“

      Er schmiegte sich enger an sie und küsste ihren Hals. Caitlin wand sich ungeduldig aus seiner Umarmung.

      „Mick, ich habe jetzt echt keine Zeit. In zehn Minuten muss ich los zur Galerieeröffnung.“

      Er zog sich wieder zurück und setzte sich auf die Bettkante.

      „Bist du schon aufgeregt?“

      Caitlin griff nach einem Paar Ohrringe, die mit der silbernen Einfassung und dem dunkelblauen Stein in der Mitte. Michael hatte sie ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt, nun passten sie gut zu ihrem Cocktailkleid. Caitlin legte den Kopf schief und stützte die Arme in die Seiten.

      „Ja, ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Wobei Maja und Lauri bestimmt noch viel nervöser sind!“

      Maja Kristin war die Galeristin, mit der Caitlin zusammen einen aufstrebenden jungen Künstler aus England promotete. Beim letzten Familienbesuch in London hatte Caitlin zufällig Bekanntschaft mit Lauri McEvan gemacht und ihn umgehend ihrer Freundin und Geschäftspartnerin Maja vorgestellt. Die zwei hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sehr schnell mietete Lauri ein Atelier von Maja und begann unter ihrer musischen Begleitung zu malen. Caitlin wiederum trieb mit ihrer Art-Consulting-Agentur die Öffentlichkeitsarbeit um den Künstler voran. Für die heutige Eröffnungsfeier hatten sie manch namenhaften Journalisten, Kunstkenner und -händler sowie weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeladen.

      „Es tut mir wirklich leid, dass ich heute Abend nicht dabei sein kann!“, sagte Michael.

      Er musste selbst zu einem wichtigen Geschäftstermin, den er nicht hatte absagen können. Caitlin grinste ihn im Spiegelbild an.

      „Mein Abend wird sicherlich auch spannender als dein blödes Get-Together.“

      „Ja, mit lauter Leuten, die sich für ach so wichtig halten, herumstehen und an ihrem Sekt nippen, während sie über das neueste Kunstwerk diskutieren, das in Wahrheit nur Dreck auf Leinwand ist“, frotzelte Michael.

      Sie warf ihm einen gespielt drohenden Blick zu. Er lachte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

      Caitlin und Maja prosteten sich zu.

      „Auf einen erfolgreichen Abend!“, rief Maja und setzte das Glas Champagner an die Lippen.

      Es war halb acht. In dreißig Minuten würde es losgehen. Caitlin trank ihr Glas leer und atmete tief durch.

      „Ich bin ja so gespannt, wer alles kommt!“, sagte Maja und schritt nervös auf und ab. „Vor allem, ob der Eisner auftaucht. Oder Marianne Westernhagen! Oh Gott, so viele Leute!“

      Sie steckte sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Dann fragte sie:

      „Dein Mann kommt nicht heute Abend?“

      Caitlin verneinte und erklärte, weshalb er verhindert sei. Dass sie insgeheim froh darüber war, erzählte sie Maja nicht. In letzter Zeit ging ihr Michael immer häufiger auf die Nerven. Seine zurückhaltende und unaufdringliche Art machte sie manchmal rasend. Sie wünschte sich dann einen hitzigen Diskussionspartner, der auch mal Türen knallen konnte, oder derjenige war, der in einer Gruppe das Gespräch dirigierte. Der ihr einfach mehr Reibungsfläche bot. Wenn sie sich vorstellte, wie Michael heute Abend wieder mal den perfekten Ehemann abgegeben hätte… charmant, aber zurückhaltend, als Caitlins stummer Schatten. Als Langweiler.

      Kapitel 3

      „Hallo Lissa. Hier ist Mama.“

      „Hallo Mama.“

       Eine Jugenderinnerung:

       Das Telefon läutete. Melissa streckte sich und angelte danach, ohne sich vom Bett zu bewegen.

       Es war ihre Mutter, die wissen wollte, wie die Klausur gelaufen war. Leider war Melissa so gar nicht zufrieden. Insgesamt kam ihr das Uni-Leben gerade ziemlich trist vor. Sie sehnte sich nach dem elterlichen Wohnzimmer, in dem sie immer Kind sein konnte. Einfach auf der Couch liegen oder in der Küche sitzen, während ihre Mutter das Abendessen zubereitete. Im Hintergrund würde wie immer das Radio laufen, der Klassiksender, und die Katze würde zwischen ihren Beinen herumstreifen, um ein Stück von dem köstlich duftenden Fleisch zu ergattern.

      Dieses Gespräch, Jahre später, war anders.

      „Lissa, die Oma liegt im Krankenhaus!“

      Nach diesem kurzen Telefonat war Melissa sofort zu ihrer Großmutter gefahren. Oma Bettys Nierenwerte hielten die Ärzte auf Trapp. Kurzzeitig war ihr Zustand kritisch. Die Familie harrte an ihrem Bett. Bald ging es Betty etwas besser, doch von nun an war sie auf diverse Tabletten angewiesen. Nach weiteren zwei Wochen durfte sie das Krankenhaus verlassen. Melissa verbrachte ihre freie Zeit fast ausschließlich bei ihrer geliebten Großmutter, putzte oder kochte, während Betty dick eingepackt in ihrem Lieblingssessel saß.

      An einem solchen Nachmittag war es, dass Oma Betty das Leben ihrer Enkelin entscheidend beeinflusste. Ob mit Absicht oder nicht, jedenfalls brachte die alte Dame den Stein ins Rollen, indem sie auf den massiven Eckschrank deutete.

      „Liebes, bist du so gut und holst mir ein paar Bonbons? Ich habe solche Lust auf etwas Süßes!“

      „Du Naschkatze! Du hast die Bonbons sicher extra dort gehortet, damit sie dir niemand wegisst und die Haushälterin sie nicht findet!“

      Melissa stand auf und ging zum Wohnzimmerschrank. Darin fand sie die Glasschale mit den Bonbons.

      „Hier Oma“, sagte sie und reichte ihr zwei Stück, „lass es dir schmecken!“

      Bedächtig wickelte Betty das Bonbon aus seinem Papier. Fast zärtlich strich sie das knisternde Papierchen glatt. Die Alufolie glänzte golden. In weißer Schnörkelschrift stand der Produktname auf dem blass violetten Papier geschrieben: Mirabella.

      Vor Melissas Augen blitzen Bilder auf. Unwillkürlich lachte sie leise auf. Ihre Großmutter blickte sie fragend an.

      „Ach“, sie schüttelte den Kopf, „es ist nur… diese Bonbons habe ich früher immer mit Lin und Malou gegessen. Wir haben sie die Prinzessinnen-Bonbons genannt. Lange her.“

      Bettys