Название | Dem Leben dienen |
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Автор произведения | Peter Spönlein |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738049060 |
Es besteht kein Anlaß anzunehmen, daß die Menschheit als Teil der Evolution des Lebens in ihrer Entwicklung eine Ausnahme machen sollte von diesen Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen. Wenn es uns zunächst befremdlich erscheinen will, solche Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen auf den Entwicklungsprozeß der Menschheitsgeschichte zu übertragen, so deshalb, weil wir nicht gewohnt sind, organische Entwicklungsprozesse als Äußerung und Erscheinung von energetischen und geistigen Prozessen zu verstehen.
Heute ist die Menschheit nach einer viele Jahrtausende währenden Entwicklungsgeschichte am Extrempunkt ihrer Kindheit und ihres Wachstums angelangt und steht am Übergang zu ihrem Erwachsenenalter, den sie jedoch noch nicht vollzogen hat. Die Menschheit befindet sich gewissermaßen in einer verschleppten Pubertätskrise. Diese Entwicklungskrise besteht darin, daß einerseits die Wahrnehmung der Ganzheit einer globalen Menschheitsfamilie in der Lebensgemeinschaft mit der ganzen irdischen Schöpfung eine ganz neue Erfahrung in der Geschichte der Menschheit darstellt, aber andererseits die geistigen, seelischen und sozialen Fähigkeiten zu einer allseitigen Ergänzung allen Lebens in der Menschheit noch nicht ausgebildet sind. Bis heute hat die Menschheit die Fähigkeit zur Erhaltung ihrer Art als ganzer noch nicht erworben. Aber gerade diese Fähigkeit macht die Reife des Erwachsenenalters aus. Das persönliche Lebensgefühl des einzelnen Menschen und sein geistiger Orientierungssinn, mit dem er sich in der Welt einrichtet und bewegt, seine sozialen, wirtschaftlichen und politischen Formen der Regulierung des Lebens gehören noch ganz der alten Epoche der nebeneinander existierenden und miteinander rivalisierenden Völkerschaften der Erde an, die noch nicht mit der Erfahrung der einen Menschheitsfamilie und den „Grenzen des Wachstums“, die die Erde setzt, konfrontiert waren. Die Entdeckung und Entwicklung geistiger, kultureller, wirtschaftlicher und technischer Fähigkeiten, das gegenseitige Messen der Kräfte, das Streben nach wirtschaftlicher und politischer Macht waren die Lebensprinzipien der späten Kindheitsepoche der Menschheit.
Der Umsturz des uralten Weltbildes, der mit Kopernikus, der Renaissance und der Aufklärung einsetzte, hat die Menschheit in die letzte Phase ihrer Pubertätskrise getrieben. Eine stürmische Entwicklung der geistigen Emanzipation des Menschen gegenüber der Natur setzte ein in der Entfaltung der Naturwissenschaften, der Technologie, der Industrialisierung und der damit verbundenen Steigerung wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht. Eine geistige und seelische Bewältigung der neuen Lebenskrise der Menschheit blieb jedoch aus. Man trat lediglich eine Flucht nach vorne an. Mit einem vielfachen Energieeinsatz wurde fortgeschrieben, was die Menschheit schon seit Jahrtausenden gelernt und getrieben hatte: Häuser und Städte bauen, Handel treiben und Geschäfte machen, Länder erobern und beherrschen, Menschen unterdrücken und ausbeuten, die Natur als Rohstoffquelle im wirtschaftlichen und technischen Wettbewerb benutzen. Anstatt die notwendige Anpassung an die Erfordernisse der neuen geschichtlichen Situation zu vollziehen und Abschied zu nehmen von alten Lebensformen der Kindheit, des Wachstums und der Selbstbehauptung, versucht man heute auf die neue gemeinschaftliche Herausforderung der Menschheit dadurch zu antworten, daß man die alten Überlebenstechniken auf die Spitze treibt: Die alten Einrichtungen wirtschaftlicher und politischer Macht schließen sich zu gigantischen Blöcken zusammen, um dem brutalen Machtkampf in einem immer schärferen globalen Wettbewerb gewachsen zu sein. Aber das ist ein hilfloser und vergeblicher Versuch, die überholten Positionen der Macht und die veralteten Methoden der Lebensbewältigung aus der Kindheitsepoche der Menschheit aufrechtzuerhalten.
Die „unsichtbare Hand“ – oder die Ambivalenz der Pubertät
Im Laufe weniger Jahrhunderte konnte sich das altgewohnte geographische und kosmische Weltbild der Menschheit vom Kopf auf die Füße stellen. Das alte geozentrische Weltbild entsprach ganz dem Lebensgefühl der Kindheit: Das Kind fühlt sich zunächst als Mittelpunkt der Welt, um den sich alles dreht. Das Weltbild des Erwachsenen steht in polarem Gegensatz dazu: Das Leben dreht sich nicht mehr um ihn, sondern er wächst in die Aufgabe hinein, dem Leben zu dienen. Aber dieser Entwicklungsschritt steht bis heute noch aus. Adam Smith (1723–1790) war einer der Väter des modernen Wirtschaftsliberalismus. Er vertrat die Auffassung, der Egoismus der Menschen stelle die wichtigste Triebfeder für den Wohlstand der Nationen dar. Aber dann stellte sich natürlich die Frage, wie aus so viel Egoismus ein halbwegs geordnetes Zusammenleben in der Gesellschaft zustande kommen kann. Adam Smith ging von der Annahme aus, daß eine „unsichtbare Hand“ gewissermaßen über allem schwebend auf geheimnisvolle Weise die vielen Egoismen der Gesellschaft zu einer Harmonie des sozialen und wirtschaftlichen Lebens ordne. Damit schob er gewissermaßen die Verantwortung für ein gerechtes Sozialwesen einer imaginären Instanz zu, die außerhalb der menschlichen Zuständigkeit liegt. In dieser Annahme der „unsichtbaren Hand“ zeigt sich die pubertäre Hilflosigkeit und Ambivalenz, die noch eine übergeordnete Autorität braucht, die die Folgen ihrer Bubenstreiche wieder ausbügelt, weil der junge Mensch zwischen Kindheit und Erwachsenenalter noch nicht in der Lage ist, die volle selbständige Verantwortung für das Leben zu übernehmen. Heute, in der dramatischen Lebenskrise einer verschleppten Pubertät, hat sich das Prinzip des wirtschaftlichen Egoismus völlig verselbständigt und als allgemein anerkannte Überlebensstrategie des sogenannten wirtschaftlichen „Neoliberalismus“ etabliert. Dieser spätpubertäre Egoismus der neoliberalen Wirtschaft unterscheidet sich vom Wirtschaftsegoismus eines Adam Smith dadurch, daß ihn die Frage, wie soziale Gerechtigkeit zustande kommen kann und wer dafür verantwortlich ist, überhaupt nicht mehr interessiert: Egoismus pur, alles ist erlaubt.
Die neue Frage, die das Leben stellt
Damit verlässt die gegenwärtige Entwicklung bereits den Bereich der Krisis, den Bereich der Entscheidung: Sie hat eine Entscheidung getroffen, indem sie ihr aus dem Wege geht und dem Gesetz der Trägheit folgend, einfach den alten Trend in einer weiteren Flucht nach vorne forciert. Damit tritt das Wachstum zum Tode in einen immer schärferen Widerspruch zum Leben. Die große Gefahr liegt dabei in dem Größenwahn, der die Macher der modernen Welt in dieser spätpubertären Phase antreibt in der Einbildung, wir würden uns in einem völlig neuen Zeitalter bewegen, das der Menschheit ungeahnte neue Möglichkeiten zu erschließen vermag. In Wirklichkeit leben wir aber keineswegs in einer „Neuzeit“, sondern am Ende einer alten Zeit. Die Strategen der Globalisierung und der Informationsgesellschaft gehören in ihrer Mentalität noch ganz der alten Zeit an und sind nicht fähig, die neue Frage zu vernehmen, die das Leben heute an uns richtet.
In der Zeit der Kindheit hat das Leben an die Menschen aller Völker die Frage gestellt: „Willst du mit mir spielen, willst du mit mir ringen, mich entdecken und erforschen, willst du deine Kräfte mit mir messen, damit du stark wirst an Körper und Geist?“ Seit urdenklichen Zeiten hat das Leben die Spezies Mensch dazu herausgefordert, die Erde und alles Leben, das sie bevölkert, kennenzulernen, mit ihm zu ringen und an ihm zu wachsen. Heute, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, will uns das Leben mit einer Herausforderung ganz anderer Art begegnen. Auge in Auge schaut es uns an und fragt: „Willst du Freundschaft mit mir schließen?“ Das Leben wünscht sich nichts sehnlicher, als daß wir nun endlich als reife, erwachsene Menschen mit ihm zusammenarbeiten, daß wir die alte Mentalität der Kindheit, die Mentalität des Wettbewerbs, des Kampfes, der Macht, des Wachstums und der Maßlosigkeit hinter uns lassen und daß wir nun unsere Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, sortieren: Daß wir aus Liebe zum Leben aussondern, was ihm schadet, und alles weiter entwickeln, was dem Leben des Menschen und der Schöpfung dient. Das Leben lädt uns nun ein, alle unsere Kräfte und Fähigkeiten einzubringen in das große Hauptthema der Schöpfungssymphonie: Die Einigung, Ergänzung und Gemeinschaft allen Lebens. Die ganze Dynamik der Evolution zielt seit Jahrmillionen auf dieses eine große Werk hin, so wie sich der Sproß einer Pflanze unbeirrt durch den gleichförmigen Rhythmus des Wachstums hindurcharbeitet und sich hinaufschiebt, um schließlich der Blüte zum Durchbruch zu verhelfen, jenem neuen Organ, das imstande ist, Wachstum durch Ergänzung zu überwinden. Am Beginn des Erwachsenenalters der Menschheit müssen wir uns klar darüber werden, daß es nichts und niemanden gibt, der unsere heutigen Streiche, unsere Vergehen gegen das Leben, ausbügeln