wie Hulle. Peter Baldinger

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Название wie Hulle
Автор произведения Peter Baldinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738040531



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in die Ecke des Zimmers gesprungen. Dort hechtete sie in ihre Klamotten. Ich schlüpfte ohne Unterhose in meine Jeans, zog das T-Shirt über, als Muttern auch schon die Tür aufdrückte.

      „Kannst du nicht klopfen!“ schnaufte ich, den Hosenreißverschluss hochziehend. Lene kam hinter der Tür vor und lächelte ihr bezauberndstes Unschuldslächeln. Muttern schwieg wütend. Sie schlug die Tür wieder zu und fing an, die Wohnung zu putzen.

      Ich legte ‚Gong‘ auf und machte die Musik lauter. Aber der Staubsauger war nervtötend und genau vor der Zimmertür. Wir knutschten wieder ein bisschen und verrenkten uns die Hände, bei dem Versuch, sie in die engen Jeans zu bekommen. Aber die Atmosphäre war verpupst.

      „Kannst du mir mal hier helfen!“ schrie Muttern, da ihr nun endgültig der Kragen platzte.

      „Es ist wohl besser, wenn du gehst“, sagte ich traurig.

      „Ja, bis morgen“, sagte Lene und verschwand.

      Bei einer Testwahl in meiner Klasse bekam die NPD 14%, die CDU 44%, die FDP 10%, die SPD 30%, die DKP 8% und die KPD 4%. Also gab es mindestens vier Faschos. Zum Glück durften wir noch nicht wählen. Als der Lehrer dann auch noch einen blöden Spruch über die Linkswähler machte, stand ich auf und las aus einer Maobibel vor, die ich vom Flohmarkt hatte:

      „Die Welt ist euer, wie sie auch unser ist, doch letzten Endes ist sie eure Welt. Ihr jungen Menschen, frisch und aufstrebend, seid das erblühende Leben, gleichsam die Sonne um acht oder neun Uhr morgens. Unsere Hoffnungen ruhen auf euch. ...“

      Ich packte das Büchlein oben in eine Tasche meiner Jeansjacke. Passte gerade so rein, nur ein kleiner roter Rand guckte raus. Da ließ ich sie.

      In der kleinen Pause hatte ich dann Zoff mit fast allen aus der Klasse. Einige Schwachköpfe waren Mitglieder der Jungen Union. Sie sagten, dass in China alles Scheiße wäre. Unterdessen blätterte einer der Faschos unbehelligt in einer Ausgabe der Zeitschrift ‚die Wehrmacht‘.

      Nachmittags wartete ich auf Lene. Ich hatte schon Tee gekocht und eine Platte aufgelegt. Endlich kam sie. Fast eine Stunde zu spät. Wie ich Warten hasste!

      Sie küsste mich komisch und als ich ihr das T-Shirt über den Kopf ausziehen wollte, hielt sie es fest und sagte, dass sie ab morgen nicht mehr komme, weil sie einen neuen Freund habe. So saßen wir noch eine Weile da und nippten schweigend am Tee. Dann haute sie ab.

      Auf einer Kirchengemeindefete sah ich Lene mit Tobias. Dass er der neue Freund war, hatte ich schon von Elke erfahren. Aber sie so eng umschlungen tanzen und knutschen zu sehen, das tat weh wie Hulle. Um kurz vor sieben gingen die beiden. Bestimmt brachte Tobias sie nach Hause. Das tat wieder höllisch weh. Logisch.

      Ich becherte mit dem Kollektiv.

      Um zehn wurde es dem Pater der Gemeinde zu bunt mit all den betrunkenen Leutchen und er beendete die Party.

      Am nächsten Tag vorm Flohmarkt saß Tobias mit Shorty auf dem Asphalt und trank Lambrusco. Eifersüchtig beobachtete ich ihn. Er hatte hunderte kleiner Papier-CDU-Fähnchen, die bei der Marktkirche auf einem CDU-Fest verteilt wurden, auf seinem Schoß, zog das Stöckchen heraus und zündete sie an. Dann überließ er sie dem Wind, der die brennenden Papierstückchen bis über die Leine (das Stadtflüsschen) wirbelte.

      Abends trafen sich alle vom Kollektiv auf dem DKP-Fest an der Bult, der alten Pferderennbahn. Da spielte ‚Undermen‘, die Kultband des Kollektivs. Die waren aber wie immer total schwach. Sie spielten hauptsächlich Sachen nach. Aber das Kollektiv flippte voll dazu aus. Hier war schon wieder Tobias. Der schenkte einer aufgedonnerten Millie, die eigentlich zu Kretsch gehörte einen Bauklotz mit komischen Zeichen drauf.

      Danach zuckte fast das gesamte Kollektiv zur Mensafete in die Uni. Auch diesmal benutzten wir den Einstieg durchs Frauenklofenster. Voll abgetanzt.

      Muttern schleppte einen rothaarigen Typen von der Kunsthochschule an. Er studierte Autodesign, zeichnete also Flitzer und baute Holzmodelle, die er im Windkanal testete. Er zog ein und verpestete die Wohnung mit ‚Reval‘ ohne Filter.

      Einmal im Monat kriegte er ne Meise und fing an zu zechen. Erst trank er alle alkoholischen Getränke in der Wohnung aus, dann taperte er los zur Bude und soff gleich davor Flachmänner im Stehen. Dann kam er mit Tüten voller Sprittflaschen zurück, die er in jeder Ecke versteckte. Im Suff hörte er dann seine Plattensammlung durch: ‚Doors‘, ‚Woodstock‘, ‚Steppenwolf‘ und zum Schluss ‚Peer Gynt‘ von ‚Grieg‘. Bei ‚Grieg‘ weinte er, wie ein kleines Kind. Nach ungefähr drei Tagen war alles wieder vorbei. Er bereute dann und war trocken bis zum nächsten Anfall.

      Als er mal wieder an der Bude saufen war (Muttern flennte rum), nahm ich alle seine Sachen und stellte sie in den Hausflur. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss, so dass sein Schüssel von außen nicht mehr passte. Als er zurückkam, machte er natürlich einen stundenlangen Aufstand. Aber Muttern blieb hart. Irgendwann verschwand er. Seine Schallplatten sortierte ich zu meinen. Dadurch hatte ich schön viele.

      Paffy (einer aus meiner Klasse) und ich hatten keinen Bock mehr auf Penne und schwänzten den Rest. Wir zischten mitten in der Erdkunde-Stunde einfach los.

      Vor der Schule stand ein großes, amerikanisches Cabriolet mit offenem Verdeck, obwohl es eigentlich viel zu kalt dafür war. Der Typ hinterm Steuer wirkte verdammt nach einem Zuhälter: lange, lockige Haare, Goldkettchen und Brustfell.

      Ich meine, auch Paffy hatte lange Locken, die hingen ihm aber weit über die Schulter und er sah eher wie ein Waldschrat aus. Paffys Lieblingsband war ja auch ‚Jethro Tull‘.

      „Hey!“ rief der Typ, als wir an dem Auto vorbeilatschten, „wollt ihr euch was verdienen?“

      „Was müssen wir dafür machen?“ fragten wir spaßeshalber.

      „Heute Abend spielt in der Niedersachsenhalle ‚Wishbone Ash‘. Wollt ihr Ordner sein?“

      Wusste ich längst, dass die spielten, denn ich wollte sowieso hin und versuchen umsonst reinzukommen.

      „Wir sind interessiert“, sagte ich, „was genau müssen wir machen?“

      „Ihr kommt jetzt mit mir mit und helft ein bisschen beim Aufbau und Soundcheck. Abends seid ihr Ordner. Dafür kriegt jeder 50 Mark und das Konzert umsonst“, erwiderte der Lockenheini.

      Paffy und ich sahen uns an und nickten uns zu. Wir sprangen in die Karre. In Nullkommanichts waren wir an der Halle.

      Es standen drei Sattelschlepper mit dem Equipment von ‚Wishbone Ash‘ da. Ein englisches Roadie-Team hatte mit dem Ausladen begonnen. Der englische Obermacker, ein riesiger Schrank, teilte uns ein.

      Paffy und ich waren die einzigen Würstchen bei dieser Knochenarbeit. Alle anderen waren Muskelprotze.

      Hinten aus den Sattelschleppern kamen von einer Rampe die schweren Verstärker und Boxen heruntergedonnert.

      Der erste dieser Brocken, den ich versuchte unten abzufangen, überrollte mich und ich lag drunter. Paffy schaffte es seinen zu bremsen - gerade so.

      Danach lief es ein wenig besser, weil die Dinger nun leichter waren. Bis wieder ein Verstärker kam, den ich nicht halten konnte. Er hatte eine scharfe Metallkante an der ich meinen Arm aufschlitzte. Es blutete wie Schwein, obwohl der Schnitt klein war. Und: verdammt dicht an der Pulsader. Einer der Sattelschlepperfahrer brachte Verbandszeug. Dann schufteten wir weiter.

      In der Halle kannten alle (außer uns) genau ihre Handgriffe. Jede Handbewegung saß. Schnell war alles aufgebaut. Die Bandmitglieder tauchten auf und machten einen kurzen Soundcheck.

      Paffy und ich kauften uns Büchsenbier an einem Kiosk und hingen völlig erledigt auf einer Mauer in der kalten Abendsonne ab.

      Nicht lange und die ersten Fans tauchten auf. Wir wurden dazu eingeteilt die Treppe, die vom Balkon auf die Bühne ging, zu bewachen. Das wirkte ganz leicht. Wir setzten uns auf die Stufen und beobachteten, wie sich die Halle langsam füllte. Wir waren zufrieden, weil wir von diesem