wie Hulle. Peter Baldinger

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Название wie Hulle
Автор произведения Peter Baldinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738040531



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ging. Ich musste ihr immer wieder versprechen, sie nicht zu vergewaltigen, was ich ja auch nicht gemacht habe.

      Danach wurde es irgendwie komisch. Sie versetzte mich öfters und ich fragte mich warum. Du kennst das wahrscheinlich, wenn man so eine Weile zusammen geht, interessiert man sich mehr und mehr dafür, was der andere macht und nicht so sehr dafür, wie er ist. Jedenfalls, oft stimmte es nicht, was Lene sagte. Zum Beispiel sagte sie letztes Jahr beim Altstadtfest, dass sie nicht könne, weil sie mit ihren Eltern nach Ratzeburg fahren müsse. Ich traf sie dann aber. Sie sagte nur, sie habe doch nicht mit nach Ratzeburg gemusst. Hätte sie ja auch mal anrufen können, oder?“ Er machte eine Pause und legte Genesis ‚The lamb lies down on broadway‘ auf.

      „Dann lernte ich Carmen kennen und dachte, ‚Wow, es gibt auch noch andere süße Millies‘. Also habe ich mit Lene Schluss gemacht. Es war an einem Sonntagnachmittag bei ihr zu Hause. Ich sagte es ihr und sie sagte, dass sie auch gerade mit mir Schluss machen wollte. Na ja. Wir lachten dann ewig - bis Elke reinkam und fragte, was los sei. Die hat vielleicht blöd geguckt, als wir ihr sagten: ‚Nö nichts, wir haben nur gerade Schluss gemacht!‘

      Aber wie war es bei dir? Erzähl du jetzt“, sagte Tobias.

      Ich erzählte meine Geschichte vom Altstadtfest und alles andere.

      Anschließend schwiegen wir lange. Wir waren aufeinander eifersüchtig und gekränkt. Tobias‘ blaue Augen waren fest auf eine Kerze gerichtet. Wir vereinbarten, in Zukunft nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ, über Lene zu reden.

      Tobias‘ Mutter kam und begrüßte mich. Prima Mutter. Wir kriegten Schwarzbrot mit Salami und Senf. Tobias und ich schrieben einen Vertrag:

      „Bei Lenes Lächeln und ihren super Busen werden unterzeichnende Personen ihre Unschuld nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir werden den ersten Sex in unserem Leben so lange wie möglich hinauszögern. Denn Sex ist eine Sucht, schlimmer als Heroin oder Alkohol. Sex führt zu Verblödung, Abstumpfung, kaputten Ehen und Kindern. Alle die einmal Sex hatten, sind verblendet.“ Unterschriften. In die Collage geklebt - fertig.

      Als es Zeit wurde, mich vom Acker zu machen, lud ich Tobias zu meiner Geburtstagsparty ein.

      Für die Geburtstagsparty kaufte ich Bier und Chips von ‚Knappheide'. Ich astete zwei Kästen auf einmal die Rimsockstraße entlang. Das reißt einem ja die Arme ab! Beim nächsten Gang nahm ich lieber nur noch eine Kiste.

      Die Leute vom Säuferkollektiv knallten sich hin und hatten Spaß. Mein Zimmer wirkte unheimlich voll mit den bulligen Kerlen. Elke und Heike waren auch da. Alle gaben sich die Kante, weil ja schön viel Bier da war.

      Tobias brachte Schröder und Karine an. Karine behielt ihren Parka an. Schröder war ein Kumpel aus Tobias Grundschule. Er war Klempner. Deshalb erzählte er allen, die es nicht hören wollten, aus seinem Berufsalltag:

      „Ich schraube die Rohre unten im Keller auf, dann kommt tonnenweise die Scheiße raus. Dann frühstücke ich erst mal. An den Gestank gewöhnt man sich. Das lasse ich mir gut bezahlen.“

      Tobias ging das Gelabere auf den Sack, deshalb zuckte er mit Heike, Karine und ein paar anderen los zu einer anderen Fete.

      Ich hatte nun den Schröder am Hals.

      Und Sylvia die Kretsch angeschleppt hatte. Die hatte den totalen Knall. Sie fing damit an, Ecken aus Gläsern zu beißen, darauf rumzukauen und das Glas in ihrem Mund knirschen zu lassen. Zwischendurch knutschte sie mal einen ab, aber alle hatten Angst vor den Scherben, besonders ich, weil ich ja eine Scherbenphobie habe. Ich kriege schon einen Kloß im Hals, wenn an einem Glas auch nur eine winzige Ecke fehlt.

      Bald hauten alle anderen ab, bis auf eben diese Sylvia, die sich auf meinem Bett ausstreckte. Als ich glaubte, sie wäre eingeschlafen, legte ich mich auch ab - direkt neben sie. Was sollte ich auch sonst tun? Aber die Schnepfe fing an, an mir rumzumachen. Sie hatte nun keine Jeans mehr an und rieb ihren ekligen Plastikschlüpfer an meinem Schenkel. Ich stellte mich schlafend, bis sie sich über mich lehnte und ihre ledrige Zunge in meinen Mund presste. Als sie es geschafft hatte, biss sie so fest sie konnte in meine Zunge. Ich schrie auf.

      „Lass das! Bist du verrückt!“ fuhr ich sie an. Unbeeindruckt rollte sie sich zur Seite.

      Ich legte mich auch wieder hin und döste weg. Schnell wachte ich erneut auf, weil sie wie eine dicke Flunder auf mir lag und mich wieder in die Zunge biss.

      „Jetzt reicht‘s!“ schrie ich verärgert, „raus jetzt! Hau ab!“

      Sprittig wie sie war, musste ich sie anziehen und nach unten auf die Straße bugsieren. Sie wollte Terz machen und alle Klingeln im Haus drücken, also blieb mir nichts anderes übrig, als sie zur Straßenbahnhaltestelle zu bringen.

      Sie saß auf dem Gepäckträger meines Rads, kreischte bei der Fahrt und flog wie ein Sack runter. Dann riss sie so an mir rum, dass es uns beide in eine Vorgartenhecke haute. Aber ich kriegte sie bis hin.

      Es war wohl gegen vier Uhr, aber nach Fahrplan fuhr die erste Bahn erst um fünf. War mir egal. Ich ließ sie dort sitzen und brauste zurück.

      In meinem Zimmer hockte ich mich zwischen die Müllhaufen und guckte mir zu ‚Genesis‘ ‚Foxtrott‘ die Dämmerung an. Auf den Matratzen und dem Teppich waren nasse Flecken und es stank trotz des offenen Fensters höllisch nach Bier, Rauch, Kotze und Schweiß. Die Zunge war zwar lädiert, aber nichts Schlimmeres.

      Ich war mit Yogi und Tobias auf dem Flohmarkt verabredet. Wir lungerten am Turm rum. Lene und ihr neuer Freund auch. Nach einer Weile sprach Lenes Schnösel Tobias an:

      „Tut mir leid, dass dich Lene manchmal wegen mir versetzt hat. Das hätten wir nicht tun sollen.“ Tobias hätte ihm am liebsten eine verpuhlt (hätte er aber garantiert den Kürzeren gezogen).

      „Wenn ich was wirklich hasse“, erwiderte er grinsend, „dann ist es, sitzen gelassen zu werden. Aber belogen zu werden, ist auch reichlich blöd.“ Ohne ein weiteres Wort rauschten sie ab.

      Wir schlenderten eine Runde. War ätzend. Also zuckten wir los zur ‚Pennerbank am Brunnen‘ (ein neuer Treffpunkt des Kollektivs). Weil Yogi kein Rad hatte, schoben Tobias und ich unsere. Im Maschpark machten wir Halt und tranken einen Halben am Teich.

      Vier Rocker fetzten an. Völlig ohne ersichtlichen Grund packte einer von ihnen Yogi an seinen dünnen Haaren und schüttelte ihn und schleifte ihn daran über die Wiese. Die anderen passten auf, dass Tobias und ich gar nicht erst aufstanden. Yogi jaulte auf vor Schmerzen und da hatte der Kerl ihm ein großes Haarbüschel ausgerissen, das er in den Tümpel warf, wo es wie blondes Entennest umhertrieb. Dann machten sie sich vom Acker.

      Yogi wimmerte. Ein Viertel seiner Haare fehlte. Er ließ sich nicht davon abbringen, die Bullen zu holen. Also suchten wir eine Telefonzelle.

      Als zwei Polizisten kamen, machten sie nichts weiter, als einen Krankenwagen zu rufen.

      Die Erstehilfeleute des Krankenwagens wiederum packten Yogi ein und düsten los. Die zwei Polizisten wollten dann noch alles ganz genau wissen, kritzelten was in ein Büchlein und entließen uns.

      Tobias und ich stiegen auf unsere Räder und rasten wortlos zur Pennerbank. Da saßen Bonzo und Kretsch. Denen erzählten wir, was passiert war und Bonzo schlug wütend den Hals einer Weinflasche ab und Tobias und ich schütteten das Zeug auf Ex in uns rein. (Kostete mich starke Überwindung, wegen meiner Glasscherben-Phobie.) Kretsch erhob sich, öffnete wie selbstverständlich seinen Hosenladen inmitten der Mütter und ihrer am Wasser spielenden Kinder und pisste in den Brunnen. Schimpfend räumten sie das Feld.

      Tobias und ich zischten zu Tobias, der sturmfreie Bude hatte. Wir knallten die Heimorgel bis zum Anschlag hoch und ‚rockten‘ - dazu Ananastee und geglotzt.

      Nachts ins ‚Apollo‘ Kino gedüst und zu Pasolinis ‚120 Tage von Sodom‘ gebechert.

      Hinterher völlig ausgerastet. Durch die Stadt bis zur Eilenriede getobt. Noch mehr gesoffen. Mitten auf die Straße gelegt. Leute angeschrien. Barrikaden errichtet.