Название | Die Köchmüller-Papiere |
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Автор произведения | i.A. - H.T.K. |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742767455 |
Am eingangs genannten, nebelnassen Winter-Nachmittag steht eine kleine Gäste-Runde um den Tisch der kargen Wohnküche. Im Hintergrund verdudelt ein Radio-Wecker das Musikprogramm des werbebeladenen Regional-Senders. Es wird gekichert, applaudiert, beglückwünscht und Schulter geklopft. Auf einem Tiefkühlkuchen bilden vier Kerzen ein Quadrat, zusätzlich, in dessen Mitte, leuchtet eine Fünfte von halber Länge.
Der Geehrte: Heinrich T. Köchmüller
Physis: eins-fünfundachtzig, schlank, trainiert
Augen: eisblau.
Haare: gelichtet, mittelblond, kurz
Familienstand: seit fast fünf Monaten geschieden, zwei Kinder
Beruf: diplomierter Bankbetriebswirt
Berufsstatus: seit zweieinhalb Jahren nur branchenfremde Jobs
„Ex-Bankbetriebswirt!“ So knapp klärt er sowohl seine aktuelle Situation, als auch seine geänderte Berufsauffassung, seit seinem Jobverlust, unmittelbar zum Beginn der Finanzkrise. Köchmüller versucht die Kerzen auszublasen, doch die Flämmchen tun ihm den Gefallen nicht... – natürlich nicht! Er blickt schief in die Runde: „Tjaaa... nu' ist's geschafft. Jetzt gehöre ich offiziell, arbeitsmarktpolitisch zum unvermittelbaren Alteisen.“ Er schaut wieder auf die weiterhin brennenden Lichter: „Na Klasse! Scheinbar reicht's beim Tattergreis nicht mal mehr, diese Dinger zu löschen!“ Das Geplauder der um ihn Stehenden erstirbt in Peinlichkeit. Eine der Anwesenden, Marianne, seine Wohnungsnachbarin aus Etage fünf, löscht die Scherzartikel mit einer Pinzette: „Nun mach mal nicht unsere gute Stimmung kaputt!“ Köchmüller verstummt, seine Augen folgen den dünnen Rauchfäden über den Kerzen.
Im Vorfeld der Feier steht der Tiefkühl-Kuchen viel zu kurz neben dem Eisschrank, folglich ist er jetzt noch nicht genügend aufgetaut. Nicht das erste Mal. Köchmüller kennt „…eigentlich nur frischgebacken“. Er lächelt verlegen, angesichts des allgemeinen Kaffee-Geschlürfes nach jedem Bissen. Sechs Erwachsene und ein Kleinkind, mampfen tapfer die Eisstücke in der Torte hinunter.
Der gerissene Plauder-Faden über Köchmüllers „…beißend-medienwirksamen Auftritt im `Konsumtempel´…“ wird wieder aufgenommen. Marianne legt, gegen die verständlichen Abwehrbewegungen der Betroffenen, die restlichen Stücke nach. Sie stellt die endlich geleerte Kuchenplatte auf die Arbeitsfläche der knappen Küchenzeile. Ihr Blick fällt auf den graublauen Recycling-Umschlag. Dieser lehnt, hinter den Kochplatten, an der Wand, ist noch verschlossen. Sie ergreift ihn, entziffert das Adressfeld durch das Sichtfenster. Absender ist eine öffentliche Einrichtung. „Mann, von der Arbeitsverwaltungsstelle! Der ist ja schon 'ne Woche alt und du hast ihn nicht mal gelesen!“
Wieder Totenstille. Die Blicke der Anwesenden erfassen Köchmüller. Dieser lehnt sich verärgert zurück: „Ja und? Was soll schon drinstehen? Laut GB-Soz.–leck-mich-mal, laden wir sie zum 3.000sten Motivations-Modul ein. Bitte kommen Sie zu dieser `Maßnahme´, in der vorletzten Woche des Monats, damit wir sie, während des Erfassungszeitraumes, nicht als Arbeitssuchenden in der Statistik erscheinen lassen müssen. Bla, bla, bla… - und wenn Sie nicht freiwillig kommen, nachdem Sie vor ein paar Tagen so einen Aufstand im `Konsumtempel´ gemacht haben, dann kommen wir Sie holen...“ Aus dem Radio scheppert ein Oldie über eine entführte junge Frau: „♫...werden dich nicht finden!...♫“ Köchmüller übertönt die Musik mit Sprechgesang: Ihn würde keiner von denen finden, denn er sei dann, schlicht, nicht hier!
Er schaut sich in der Runde um, blickt Marianne an. Seine Stimme ist reine Resignation: „Du, ich brauch kein `Bewerbungstraining´! Ich brauch 'n richtigen Job! Nix ZBV-Fahrer in dem korrupten Verkehrsladen.“ Seine Augen wandern zu dem Schreiben in ihrer Hand. „Wann soll's denn sein?“ Sie reißt den Umschlag auf, entfaltet die Blätter: „…Kein `Leergang´! Morgen, neun Uhr. Du sollst bei deinem Berater antanzen. Und denk dran: Nimm 'ne Zeitung mit, oder 'n Buch!“
Zu Heinrich T. Köchmüllers Ehrenrettung ist zu erwähnen, dass er sich, seit der Entlassung aus seinem bisherigen Berufsleben, redlich bemüht, wieder Fuß zu fassen. Landesweit bewirbt er sich, nicht nur, bei den verschiedensten Unternehmen des Geldgewerbes und streicht, bei der Gelegenheit, stets seine weit überdurchschnittlichen und ehrbaren Kenntnisse im Finanzmilieu heraus. Nach dem Motto „Zwei Jahre sind schnell vorüber!“ sammeln sich prall gefüllte Aktenordner bei ihm an, fünf mit Kopien der Anschreiben, zwei mit Absagen. Letztlich ist sein, wenige Tage zurückliegender, „Aufstand im Konsumtempel“ nur der situationsbedingte Versuch einer öffentlichkeitswirksamen Selbstverteidigung...
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Blasenökonomisches Immobilienkarussell
Köchmüllers Reise in ein neues Leben begann fast zweieinhalb Jahre vor dieser kärglichen Feier. Der Ausgangspunkt lag im Oktober jenes Jahres, in welchem, weltweit, die Banken implodierten. „Ausgerechnet die angeblichen Gold-Hengste aus unseren Investment- und Privatpensions-Abteilungen...!“, ätzte Köchmüller. Die von ihm Gescholtenen sollten den nachfolgenden Personalabbau zumeist unbeschadet überstehen. Sie würden wieder benötigt werden, sobald es erneut losgehen sollte, mit dem Vorlauf der nächsten und der Planung der übernächsten Finanzblasen, wusste Köchmüller: „Und das gewöhnliche Banker-Fußvolk? Wir ungeadelten Grubenarbeiter der verschwitzt kreuchenden, gemeinen Realwirtschaft?“ Seine Frage war rhetorisch, die Antwort erfolgte in Form praktischer Durchführung: Die Unnützen wurden schnellstmöglich vom Joch der Arbeit befreit. Damals eine klare Sache, aus Sicht seines Brötchengebers. Quell dieser Erkenntnis waren die Auswürfe des dreifaltigen Hyper-Computersystems der Finanzindustrie, dieser globusumspannenden, komplex verknüpften Informations-Verarbeitungs-Maschine. Ebenjener verkabelte Finanzfruchtbarkeitsgott spottete in seiner schieren Datenkapazität jedem Vergleich, mit nahezu jeder, in nationalen Kategorien agierenden, Regierung. Und allem voran, waren dessen streng abgeschottete Welt-Analysen stets aktueller, als die Daten-Grundlagen der allzeit unterfinanzierten Beamtenapparate.
Aus Sicht der Geld-Industrie ließ die Weissagung ihrer absolut unfehlbaren Elektronen-Pythia nur eine logische Schlussfolgerung zu: Es war absehbar, dass ein Teil der normalen Klein-Kunden, bis zum nächsten Aufschwung, aus dem Rennen geschieden sein würde. Ihre – bisher - existenzsichernden Jobs würden forciert wegfallen, hernach all ihr bisher Erspartes aufgebraucht sein. Damit würde sich die Kreditwürdigkeit von Otto Normalverbraucher in Luft aufgelöst haben, und folglich auch dessen Privileg, sich als potentielle Profitquelle betrachten zu lassen.
Schulden! – Das war seit Anbeginn des Geldes die Basis, auf der man reichlich - und vor allem: zeitlich unbeschränkt! - Geld verdiente, in Köchmüllers Metier. Dagegen hatte er nicht das Geringste, soweit es Schulden waren, die etwas Produktives bewirkten. Köchmüllers Meinung: Sein ehemaliger Arbeitgeber sollte mittendrin stehen, in den realwirtschaftlichen Finanzströmen und mit Nachdruck der Aufgabe als verantwortungsorientierter, kapitalistischer Koordinierungseinrichtung nachkommen. Als leicht verständliches Beispiel führte er stets Fremdkapital an, das zur Ergänzung der Betriebsmittel diente: Eine neue Werkshalle beispielsweise, ausgestattet mit neuen Maschinen. Doch welcher Kleinbetrieb verfügte über liquide 500.000 Euro, welcher Mittelständler über zehn, zwanzig oder gar fünfzig Millionen? Auch wenn Existenzgründer und „…stinknormale Häusle-Bauer…“ anklopften, dann war für Köchmüller grundsätzlich alles in Ordnung: „…Nicht als wohlhabender Senior sondern als kapitalschwacher Junior gestaltet man seine Zukunft.“
Was er, über die Jahre hinweg, zunehmend verabscheute, gar als gefährlich erachtete, das waren die immer hektischer eingesammelten Gelder, mit denen nur völlig substanzlose finanzökonomische Blasen aufgepumpt wurden. Die Herde der involvierten Kleinsparer fühlte sich, im Nachhinein, als vorsätzlich übertölpelt. Deren Argwohn war, nicht selten, wohlbegründet, jedoch das einseitige Spiel von außen kaum nachweisbar. Intern war nur die Unterschrift des