Die Köchmüller-Papiere. i.A. - H.T.K.

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Название Die Köchmüller-Papiere
Автор произведения i.A. - H.T.K.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742767455



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Leute suchen. Zeit genug, zum Lesen, hast du ja.“ Das plätschern der Dusche setzte ein. „Ja, sicher.“ Köchmüller hatte sich zwischenzeitlich in die gleiche Etage begeben und in seinem kleinen Arbeitszimmer an den Computer gesetzt. „Die suchen Fachkräfte. Du hast Recht. Pflegehelfer. Leiharbeiter. Für 7Euro35, auf Basis von irgend so einem halblegalen Sklaven-Tarif.“ „Ach Gottchen.“, kam es zurück, „Die Pleite der Lehmänner ist jetzt vier Monate her. Auch im Geld-Gewerbe ist wieder was los. Investment, BRIC-Staaten, Emerging-Markets, Rohstoffknappheit, Privatisierung öffentlicher Einrichtungen. Da werden wir mit unserer Partei sowieso den Dampfhahn noch weiter öffnen. – Privat vor Staat – das ist der Weg!!! Als Banker muss man doch nur das viele Kleingeld von den vielen, blinden Kleinanlegern mit ihren gierigen Grabbelfingern einsammeln, in entsprechenden Fonds unterbringen und die Provisionen kassieren. Der Rest ist Sache des Marktes. Das weiß ja sogar ich.“

      Köchmüller schüttelte genervt den Kopf: „BRICS-Staaten… - Ja, genau!!! Bandenkriminalität-Raubtierkapitalismus-Investruinen-Corruption-Schulden. Der Handel mit Träumen. Alles nur Schaumschlägerei. Egoismen-Großhandel auf nicht regenerativer Ressourcen-Basis. Im ausgeräumten Bestechungsgeldkoffer liegt nun die Genehmigung, mit dem dicken Bagger durch die Strukturen der kleinen Leute, und die verbliebenen Urwälder walzen zu dürfen. Ergebnis: Kurzfristige Gewinne der Wenigen und Vernichtung für die Vielen. Wart's nur ab: In zehn Jahren kommt das böse Erwachen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir züchten uns eine Völkerwanderung. Mein Schwerpunkt bleibt hier, in der Region. Mein Beruf ist die Vergabe von soliden Unternehmerdarlehen, Hypotheken und Krediten. Wenn ein Handwerksmeister investieren will, dann wird die geeignete Finanzierung passgenau konstruiert.“

      „Kleinkram!“

      „Aber nicht für einen Acht-Leute-Kleinbetrieb. Da kann man nicht eben mal 250.000 Euro oder gar 'ne Million in den Sand setzen. Wenn dann noch, wie es der Teufel so will, genau zum unpassendsten Zeitpunkt, von ein paar Kunden fette Rechnungen verspätet bezahlt werden, oder gar streitig werden, dann ist so ein Betrieb ganz schnell im Eimer. Und als Folge fünf, zehn oder gar 50 Arbeitsplätze futsch – einfach so.“

      Das Wasser wurde abgestellt. „Du mit deinem ewigen >alles solide<, >alles mit Hand und Fuß, sonst geht der pleite<. Na und? Dann geht der eben pleite! Dann ist das 100 Quadratmeter Märchenschloss für Familie Jedermann eben unterm Hammer! Das nennt man Eigenverantwortung tragen! Die Leute, die zu dir in die Bank kommen, sind erwachsen. Also kann man von denen erwarten, dass sie wissen, was sie tun. Das sind Kunden, die zu dir in den Laden kommen und Geldgeschäfte machen wollen. Nix, >gute Kunden<. Nix, >die muss man gut beraten, dann kommen die auch wieder<. Hat irgendeiner deiner `guten Kunden´ auch nur ein einziges Mal hier angerufen und gefragt, wie es in deinem nicht vorhandenen, neuen Job geht? Das ist wie beim Metzger oder Bäcker: >Zwei Pfund Gehacktes, 250 Gramm Schinken – aber den im Angebot.< >Vier Brötchen und ein Bauernbrot, aber bitte geschnitten.< >Macht 12Euro80.< – Geld in die Kasse. Der Nächste, bitte! Wenn die Käufer auf die Straße treten, können 50% nicht einmal mit hinreichender Sicherheit bezeugen, ob sie von einem Mann oder einer Frau bedient wurden; geschweige denn, Gesicht oder Haarfarbe beschreiben. Aber die Sonderangebote und Spar-Preise können die runterbeten, wenn du sie nachts um drei weckst.“ Der Föhn wurde eingeschaltet.

      „12 Euro und 120.000 oder gar 1,2Millionen sind ein riesen Unterschied.“, rief Köchmüller gegen den Lärm der Windmaschine an. - Keine Antwort. Es dauerte einige Minuten bis der Gebläselärm abgestellt wurde. Köchmüller nutzte die Zeit, um einen Blick in seine Mail-Box zu werfen. Nun versuchte er es noch einmal: „Zwölf Euro oder Eins-Komma-Zwei Millionen, das macht einen riesen Unterschied.“

      Es dauerte etwas, bis seine Frau, ins Badetuch eingewickelt, in den Türrahmen des Arbeitszimmers trat: „Ich habe dich bereits beim ersten Mal verstanden. Wollte dir nur Gelegenheit geben, zu erkennen, dass das Unsinn ist. Ob 1.000 oder eine Million Euro, das macht absolut keinen Unterschied, wenn man das Geld dringend benötigt und es nicht hat oder nicht bekommt, beziehungsweise wenn man die Beträge in Form von Schulden hat und sie irgendwann partout nicht zurückzahlen kann.“ Köchmüller legte die Stirn in Falten, sie fuhr unverwandt fort: „Es geht letztlich auf beiden Seiten nur um die Risikoabwägung: Profitgier versus Verlustangst. Der Kapitalgeber fragt sich: Was ist in der Vorstellungswelt des Kunden los? Passt sein Wollen zum finanziellen und persönlichen Können? Der Kreditnehmer fragt sich: Komme ich an die Kohle des anderen? Können sich die Wünsche, Pläne, Projekte in Realitäten wandeln? Und – wem sag ich es: Als Kapitalgeber tritt, primär, deine Ex-Bank auf, als Sachwalter von deren Spar-Kunden, den eigentlichen Investoren. Wenn man den besserverdienenden Otto Normalverbraucher dann mit `Goldenem Lebensabend´ lockt und die mögliche erzielbare, vom Staat künstlich gepäppelte Rendite in den Vordergrund stellt, dann ist der windige Fonds-Sparvertrag über 1.000 Euro pro Monat, mit Laufzeit 30 Jahren unterschrieben und du hast die 3 – 4 – 5 Prozent Provision auf das Gesamtvolumen im Sack. Oder der Kreditvertrag über 500.000 Euro ist unterschrieben, für... - für... – ach, was weiß denn ich, für was man, in so einem Kleinbetrieb, das Geld versenken kann. Was ist in dem Moment für dich wichtig?! Hat er Sicherheiten? Unterschreibt er? Wenn du beides bejahen kannst, dann klingelt es in deiner Kasse und in der deines Arbeitgebers. Wenn der Bittsteller pleite macht, bekommt die Bank auf jeden Fall das Geld aus der Verpfändung von Haus und Hof. Damit ist dein Gehalt gesichert. – Falls du jemals wieder arbeiten solltest.“

      Köchmüller schluckte die verbale Spitze, schüttelte ungläubig den Kopf, unter dem Eindruck ihrer Kaltschnäuzigkeit: „Das ist es ja. Dann sind Haus und Hof weg. Und das alles, gegebenenfalls, nur aus provozierter Gier.“

      „Falsch!!! Weder Haus noch Hof sind weg! Die gehören dann jemandem, der klar denken kann; zuvor klar plante und sich hinterher sein Eigentum nicht stehlen lässt, wie man einem Dreijährigen sein Förmchen wegnimmt. Das… - genau das nennt man: >Verantwortung tragen!<“ Elke verschwand aus dem Türrahmen, um sich im Schlafzimmer anzuziehen.

      Ihr Mann folgte ihr. Er wollte eine Frage stellen, deren Antwort er bereits zu kennen glaubte. Diesmal stand er im Türrahmen: „Willst heute noch einmal weg?“ Sicherlich würde sie wieder bis in die späte Nacht mit ihren Parteifreunden über der Strategie der künftigen Landtagswahl brüten. Sie war sich sicher, dass sie sich diesmal durch ihre Partei-Arbeit einen guten Platz auf der Landesliste würde erkämpfen können. Der Posten einer parlamentarischen, später gar beamteten Staatssekretärin im Bildungsministerium stand sogar ernsthaft im Bereich des Möglichen. Das bedeutete jetzt und künftig viel Abwesenheit von Zuhause. Mit dieser Situation hatten sich sowohl Köchmüller, als auch die Kinder bereits abgefunden.

      „Klar muss ich noch einmal los! In gut einem Jahr ist Wahl. Jetzt muss man sich positionieren, wenn man weiterkommen will.“ Sie kleidete sich an, lief an Köchmüller vorbei ins Bad, putzte ihre Zähne, gurgelte mit Mundwasser, zischte unmittelbar darauf erneut an ihrem Mann vorbei, zurück ins Schlafzimmer, um am Frisiertisch ihrer Ausstrahlung mit etwas Farbe nachzuhelfen, und sowohl Ohrklipps und Kette, als auch die Armbanduhr anzulegen. Da stand sie nun, zog abschließend das Jackett des schwarzen Hosenanzugs über, betrachtete sich im Spiegel des Kleiderschranks und griff schließlich zu Wintermantel und Aktenkoffer. Während sie erneut an Köchmüller vorbeieilte, informierte sie ihren Mann: „Es wird wohl spät. Warte nicht auf mich.“ Neben der geschwungenen Eichentreppe stieg sie in ihre Schuhe und begab sich ins Erdgeschoß. Von unten herauf hörte Köchmüller, der noch immer in Richtung Treppe starrte, das Klappern der Auto- und Haustürschlüssel. Dann fiel die Tür ins Schloss.

      „Ihr“, murmelte Köchmüller, „kommt nächstes Jahr nicht mal mehr über die Fünf-Prozent-Hürde.“

      Im Dachgeschoss über Köchmüllers Kopf wurde eine Tür geöffnet. Michelles Gesicht erschien in seinem Blickfeld. „Ist sie schon wieder weg?“ Er schaute die Treppe hinauf. Seine Tochter hatte ein Schulheft und Blätter in den Händen. „Gibt es irgendwas Besonderes?“ „Wie kommst du darauf?“ Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn.

      „Na, ohne Begründung