Unwiederbringlich. Thomas Häring

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Название Unwiederbringlich
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738045789



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Ich meinte damit nur, daß ich mich entweder selbständig mache oder daß ich mir einen reichen Mann suche, der mir mein Leben finanziert.“ „Ach so, ich verstehe. Na ja, von mir aus können Sie das gerne versuchen, aber kommen Sie dann bitte nicht in zwei Monaten zu mir und erzählen, daß alles in die Hose gegangen ist.“ „Wissen Sie was? Sie können mich mal ... in meiner Wohnung besuchen, denn dort würden Sie sehen, wie lebensunfähig ich eigentlich bin.“ „Wenn das so ist, dann sollte ich Sie vielleicht an einen unserer Fallmanager überstellen, denn mit uns Beiden wird das wahrscheinlich nichts Sinnvolles mehr werden.“ „Das sehe ich genauso. Also dann, Ihnen noch einen schönen Tag und viel Spaß beim Akten entstauben“, verabschiedete sich Jessica und verließ daraufhin das Büro ihrer Arbeitsvermittlerin. Jene freute sich darüber, wieder eine Kundin, die sie nicht leiden konnte, losgeworden zu sein und begab sich euphorisch in den Raucherraum, um den Kolleginnen und Kollegen die frohe Kunde zu übermitteln. Blöd war nur, daß sich der Chef ebenfalls dort befand, denn der wollte zusammen mit seiner Freundin rauchen und so mußte sich die gutgelaunte Arbeitsvermittlerin ein wenig zurückhalten. Das war nicht schlimm, denn die Kolleginnen zerrissen sich mal wieder ihre Mäuler über die ganzen Verrückten, die ihnen tagtäglich auf die Nerven gingen und damit meinten sie sowohl die Kunden, als auch die Mitarbeiter/innen, die sie nicht leiden konnten. „Immer Ärger mit der Age“, lautete das Motto der Leute, die dort antanzen mußten, doch auch die von der Gegenseite erfreuten sich nicht unbedingt ihres Daseins, denn ihr Job war meistens genauso wenig vergnügungssteuerpflichtig, weshalb das Lästern der Agenturschwestern für sie oft die einzige Möglichkeit darstellte, sich abzureagieren. Das Leben war Hartz geworden in Deutschland, doch das hatte man ja so gewollt.

      Der Philosoph hatte das Gefühl, daß in seinem Leben irgendetwas nicht stimmte und deshalb hatte er sich an die Universität begeben, um dort mit seinem ehemaligen Professor zu diskutieren. „Warum erfüllt mich mein Tun und Denken nicht länger mit Freude, sondern langweilt mich so ungemein, daß ich an manchen Tagen nicht mal mehr das Bett verlassen möchte, um mich danach in meinen Elfenbeinturm zu begeben?“ fragte er seinen großen Meister und der weise alte Mann antwortete: „Sie sind sich einfach selbst überdrüssig geworden, weil Sie sich andauernd im Kreis drehen. Als Sie damals Ihre Thesen entwickelten, die auf so massiven Widerstand stießen, da waren Sie noch jung und wild, voller Wut und Zorn, man hat das Feuer, das in Ihnen loderte, förmlich spüren können. Danach wurden Sie vorsichtiger und gehemmter, Sie überlegten sich jeden Ihrer Sätze ganz gewissenhaft, was dazu führte, daß die Leute das Interesse an Ihnen verloren. Sie haben nur eine Chance: Sie müssen zurück zu Ihren Wurzeln! Setzen Sie sich noch einmal intensiv mit den Werken Ihrer Frühzeit auseinander, denn darin werden Sie das finden, was Ihnen abhanden gekommen zu sein scheint.“ „Sie reden sich leicht, aber mein Problem besteht ja eben darin, daß ich Vieles von dem, was ich früher vertreten habe, heute für falsch und teilweise sogar gefährlich halte.“ „Darum geht es überhaupt nicht. Sie sollen nicht zum x-ten Mal Ihre Meinung revidieren, sondern den Geist atmen, der Sie seinerzeit inspiriert und gefesselt hat.“ „Vielen Dank für Ihre Hilfe! Und wie läuft es bei Ihnen so?“ „Unerträglich. Man möchte mich meines Amtes entheben, eine gigantische Verleumdungskampagne wurde gestartet und ich glaube, wenn es so weitergeht, dann werde ich so enden wie der gute Sokrates.“ „Was! Glauben Sie tatsächlich an ein Mordkomplott?“ „Das nicht unbedingt, aber man will mich mit allen Mitteln loswerden und konstruiert daher die übelsten Behauptungen, die man sich vorstellen kann. Da heißt es dann zum Beispiel, ich hätte mich geweigert, eine Schwangere zu prüfen und lauter solche Geschichten halt.“ „Kann ich Ihnen in irgendeiner Form helfen?“ „Nicht wirklich, aber mir reicht es schon, wenn Sie einfach nicht das glauben, was in den Medien über mich verbreitet wird.“ „Das verspreche ich Ihnen“, verkündete der Philosoph feierlich, bevor er ging. Damit hatte er sich keineswegs zu weit aus dem Fenster gelehnt, denn er selbst wußte am allerbesten, wie es war, wenn einem das eigene Wort buchstäblich im Mund umgedreht wurde. Wer da damals alles aufgeschrieen und gegen ihn protestiert hatte! Die absurdesten Allianzen hatten sich seinerzeit gebildet, da marschierten Behindertenvertreter und Anarchisten Seite an Seite in den Kampf gegen ihn und seine Thesen, welche sie weder richtig gelesen noch inhaltlich verstanden hatten. Das hatte ihn in jener Zeit am meisten zermürbt: Dieses Andiskutieren gegen Halbwissen und diese Pseudogutmenschen waren ihm mit ihrer Intoleranz dermaßen auf den Wecker gegangen, daß er sich wenig später aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte. In der Fachwelt dagegen wurden seine Thesen zwar ebenfalls leidenschaftlich diskutiert, aber dort wäre niemand auf die Idee gekommen, die persönliche Integrität des Philosophen anzuzweifeln. Man mußte auch das Undenkbare denken können und dürfen, ansonsten machte die ganze Sache wirklich keinen Sinn. Das Gespräch mit seinem ehemaligen Mentor hatte ihn wieder aufgerüttelt und ihm neue Kraft gegeben. Daheim angekommen, machte er sich sogleich ans Werk und begann damit, in seinen alten Schriften zu stöbern. Was er darin fand, amüsierte und erschreckte ihn zugleich. Meine Güte, was war er einmal radikal und gnadenlos gewesen! Ach ja, die stürmische Jugend, wo war sie geblieben? Er wußte, daß er seinerzeit des Öfteren über das Ziel hinausgeschossen war, doch nun bekam er eine zweite Chance und wollte die Gelegenheit beim Schopfe packen. Was hatte er zu verlieren? Sein Ruf war ohnehin ramponiert, von daher konnte er noch mal so richtig auf die Kacke hauen.

      Senta hatte sich mit ihrem Informationsstand vor der Agentur für Arbeit positioniert und sorgte mit ihrer Aktion dafür, daß sich die Leistungsempfänger gar nicht mehr sonderlich darauf freuten, das Amt verlassen zu können, da draußen vor der Tür eine Frau auf sie wartete, die nicht wirklich etwas Gutes im Schilde zu führen schien. Lustig an der ganzen Sache war nur, daß Senta bei den Arbeitslosen wenig Erfolg hatte, stattdessen jedoch mit einer Fallmanagerin ins Gespräch kam, welche sie ursprünglich von ihrem Standplatz vertreiben hatte wollen. „Irgendwie arbeiten wir Beide für eine Sekte, denn im Grunde ist die Age auch nichts Anderes als eine moralisch fragwürdige Institution, die sich für allmächtig hält“, urteilte die andere Frau. „Na ja, in meiner Glaubensgemeinschaft ist auch nicht alles Gold was glänzt. Ich war schon kurz davor aufzugeben und auszusteigen, aber dann bekam ich den Auftrag, mich hierher zu stellen und jetzt versuche ich es halt noch mal“, gestand Senta. „Na, sonderlich viel Erfolg scheinen Sie ja bisher nicht gehabt zu haben. Aber das ist irgendwie ja auch verständlich, denn die Hartzies sind froh, wenn sie den schweren Gang ins Amt hinter sich haben und wollen sich danach nicht gleich der nächsten obskuren Organisation zuwenden.“ „Finden Sie? Dabei hatte ich gehofft gehabt, daß die Leute nach ihrem Behördengang dermaßen erleichtert wären, daß sie völlig offen und interessiert auf mich zukommen würden.“ „Tja, der Unterschied besteht halt darin, daß wir den Leuten Geld geben, Ihr es ihnen dagegen abknöpfen wollt.“ „Das kann man so nicht sagen. Bei Weintolligy bekommt man auch was fürs Geld, glaube ich zumindest. Ihr dagegen verteilt ja lediglich Steuergelder, also seid Ihr auch nicht so toll.“ „Ach, kommen Sie doch mit hinauf in mein Büro und trinken Sie einen Kaffee mit mir! Hier draußen ist es recht frisch und Sie sollen sich doch nicht erkälten, denn sonst bekommen Sie bestimmt Ärger mit Ihrer Firma.“ Senta folgte der Fallmanagerin nach innen und jene hatte damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum Einen hatte sie eine Gesprächspartnerin für die nächste Stunde gefunden und zum Anderen hatte sie ihre Aufgabe, diese Sektentante von ihrem Informationsstand wegzulotsen, bravourös erledigt. Man wollte schließlich in der Age den Eindruck verhindern, daß die Agentur irgendetwas mit Weintolligy zu tun haben könnte, das Image des Vereins war ohnehin schon beschädigt genug. Senta redete mit der Fallmanagerin über Don Plappert und die Welt, doch jene hörte gar nicht richtig zu, sondern freute sich nur darüber, daß sie so eine geschickte Strategin war. Hin und wieder kamen ein paar Kolleginnen in ihr Büro, sahen dort die Weintolligin sitzen, verstummten und verdrückten sich wieder schnell. Irgendwann fand Senta, daß sie lange genug pausiert hatte und wollte sich wieder an die Arbeit machen, doch die andere Frau meinte: „Warum arbeiten Sie nicht für uns? Bei uns bekommen Sie für Ihre Arbeit Geld, das Sie auch behalten dürfen. Außerdem können Sie hier eine relativ ruhige Kugel schieben und privat trotzdem machen sowie glauben was Sie wollen.“ Senta begann nachzudenken. Was für ein verlockendes Angebot! „Ich werde es mir überlegen“, versprach sie, bevor sie ihren Körper erhob, um sich damit wieder in Bewegung zu setzen. „Hier, ein paar Broschüren, damit Sie sich etwas besser über Ihren womöglich zukünftigen Arbeitgeber informieren können“, ließ die Fallmanagerin noch von sich hören