Название | Kriminalisiert |
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Автор произведения | Hans-Joachim Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742770820 |
„Erzählen Sie mal, was sich bei der Musterung abspielte und welche Gründe Sie dazu bewegten, den Schutzdienst an der Staatsgrenze abzulehnen?“, fragte er wirklich interessiert.
„Na ja, nachdem mir der Armeearzt attestiert hatte, dass ich wehrtauglich bin, ging es jetzt um meinen Einsatz bei der Fahne. Ein Major fragte mich, bei welchen Streitkräften ich gerne meinen Wehrdienst ableisten möchte. Und was ihn mehr alles andere interessierte –für wie lange. Zunächst äußerte ich, dass ich nicht als Mot.-Schütze unterkommen möchte. Sofort unterbreitete er mir ein Angebot. Er sagte: Herr Schmidt, was halten Sie davon, an unserer Staatsgrenze Ihren Dienst zu tun? Nun ja, sagte ich dem Offizier, dass das eine Alternative für mich wäre. Und dann sagte jener Major etwas Unglaubliches, was mich lange beschäftigte. Er sagte: ‚Wenn Sie sich für die Sicherung an unserer Staatsgrenze, dem antiimperialistischen Schutzwall, entscheiden, dann müssen Sie auch, bei Grenzverletzungen, auf Menschen schießen. Können Sie das?‘ Ich glaubte einfach nicht, was ich da vernommen hatte.“
„Was ist so falsch daran?“, fragte mich dieser Oppelmann.
„Weil das, was der mir da zumuten wollte, nach meinem Empfinden Mord ist. Man kann doch die, die ihr Land verlassen wollen, nicht wie Hasen abknallen.“
„Würden Sie denn Ihre Wohnung nicht auch vor Eindringlingen schützen?“
„Natürlich würde ich das, aber nicht gleich umnieten. Außerdem will ja keiner rein zu uns, sondern raus aus der DDR.“
„Ich sehe schon, das führt zu nichts“, sagte der Oppelmann nun etwas verärgert.
Aber er bekam dann die Kurve, indem er das Thema wechselte und fragte: „Und wie sind nun die drei Jahre entstanden?“
„Der Major der NVA sagte: Wie ich sehe, sind Sie bald ein Instandhaltungsmechaniker. Wenn Sie sich für drei Jahre bei uns verpflichten, kann ich Sie in Strausberg bei der Raketeninstandhaltung unterbringen. Daraufhin habe ich, ohne weiter zu überlegen, eingewilligt und unterschrieben.“
Nun bekam das Gespräch eine Wende.
„Herr Schmidt, dann falle ich auch gleich mal mit der Tür ins Haus! Wie sieht es aus, können Sie sich mit dem gleichen Interesse für das Ministerium für Staatssicherheit interessieren und mit uns zusammenarbeiten?“
„Nein“, sagte ich kurz und knapp.
„Warum nicht? Sie haben doch die besten Voraussetzungen dafür.“
„Ich weiß gar nicht, was mich dazu veranlassen sollte. Sie müssten doch meinen Standpunkt in dieser Frage kennen. Vor Ihnen waren mindestens schon zwei Ihrer Kollegen hier und denen habe ich dieselbe Antwort gegeben. Sagen Sie mal, mir drängt sich der Verdacht auf, dass Ihre Kollegen Sie nicht davon unterrichtet haben. Das fände ich dann schon sehr merkwürdig, wo ihr doch vorgebt, alles zu wissen.“
„Herr Schmidt, beruhigen Sie sich mal wieder. Natürlich bin ich über alle Schritte meiner Kollegen unterrichtet. Wir lassen Ihnen Zeit, das zu überdenken. Ich für meinen Teil werde jetzt los müssen, schließlich sind Sie ja nicht meine einzige Sorge.“
Um nicht noch ein Gespräch zu entfachen, hielt ich lieber meine Fresse.
Trotz meiner Absage, der Staatssicherheit Berichte über meinen Umgang zu liefern, lief alles hervorragend, bis ich ernsthaft erkrankte. Ich konnte weder der Arbeit im Ausbildungsbetrieb noch der im Fruchthof nachgehen. Bei mir entzündete sich ein Backenzahn, deren Folgen nicht akzeptabel waren. Da ich aber anfangs keine Zeit fand, um einen Arzt aufzusuchen – eben um Geld zu verdienen –, uferte die Entzündung bis zu meiner Unkenntlichkeit aus. Meine linke Gesichtshälfte schwoll unansehnlich an. Der Übergang zum Hals war nicht mehr auszumachen und meine Stirn spannte so sehr, dass ich dachte, sie würde platzen. Der Zahnarzt, den ich dann doch aufsuchte, fiel bald aus allen Wolken, als er meinen Zustand sah. Er schrieb mich sofort arbeitsunfähig. Nun musste ich täglich zu ihm. Er schnitt mir das Zahnfleisch auf, um das Sekret ablaufen zu lassen. Das wurde natürlich ohne Betäubung gemacht, weil, wie der Arzt sagte, keine Mittel bei dieser weit fortgeschrittenen Entzündung anschlagen würden. Ich glaube, es waren etwa sechs Pillen und eine Kapsel, die ich jetzt drei Mal täglich einnehmen musste.
Während dieser Krankheit meldete sich ein ehemaliges Heimkind, mit dem ich in Werftpfuhl einige Jahre verbracht hatte, bei mir, und bat um Unterschlupf. Ohne nachzufragen, gab ich ihm ein Heim in meinem Zuhause. Wir kauften ein zweites Sofa, ebenfalls am Rosenthaler Platz, und fertig war auch seine Schlafstätte. Im Heim schliefen wir ja auch alle in einem Raum.
Dass jener Gerald Falk, der schon seit einem Jahr als Radsatzschleifer für die BVG arbeitete, der Arbeit seit Wochen fernblieb, wusste ich nicht. Auch wusste ich nicht, dass das einen Straftatbestand in der damaligen DDR darstellte und bis zu fünf Jahren Haft nach sich zog.
Übrigens nahm sich dieser Gerald Falk schließlich das Leben. Tage zuvor sprach ich noch mit ihm. Er war richtig niedergeschlagen, weil er nicht zur Beerdigung seines Vaters nach West-Berlin durfte. Allerdings konnte ich aus unserem Gespräch nicht erkennen, dass er sich da schon für den Freitod entschieden hatte.
Erschwerend war meine Lage dadurch, dass ich der Abteilung für Innere Angelegenheiten unterstellt war. Diese Abteilung kümmerte sich um Kriminelle und um die, die es ihrer Meinung nach werden könnten. Ich selbst tendierte nie zu solchen Personenkreisen. Aber mit dieser Ansicht stand ich wohl, bei den Behörden, alleine da.
Und da war noch das Ministerium für Staatssicherheit, das sich für mich brennend interessierte und immer wieder einmal zu Gesprächen auftauchte.
Im Prinzip fingen die Besuche des MfS schon nach der Musterung an.
Ob nun diese Verpflichtung von drei Jahren den Ausschlag für das Interesse des MfS an mir gegeben hatte, kann ich nicht hundertprozentig sagen, aber sie führten dies als einen der Gründe an, als sie mich das erste Mal aufsuchten. Damals kamen sie noch ganz unverfänglich ins Heim und befragten mich. Schon damals wollte ich nichts über meine Heiminsassen preisgeben. Nicht, dass es da nichts zu erzählen gegeben hätte, aber das waren Geschichten, die nur uns Kinder etwas anging und niemanden anderen zu interessieren hatten.
Vor Silvester noch, also Ende Dezember 1973, bekam ich den vorerst letzten Besuch eines Herrn des MfS. An jenem Tag kam ich gerade von einem Freund. Wir mussten einige Dinge besorgen, wegen der anstehenden Silvesterfeier.
Jener Stasimann stand schon vor der Hofeinfahrt. Als er mich sah, sprach er mich an und fragte: „Herr Schmidt?“
„Ja. Wer, bitte, sind Sie“, fragte ich höflich.
Er stellte sich zwar vor, aber ich verstand nicht genau, was er sagte, und schon gar nicht, was er von mir wollte. Dass er eventuell von der Firma sein könnte, ahnte ich schon.
„Ist es wirklich so wichtig, dass Sie mich schon im Hauseingang abfangen müssen?“, wollte ich wissen. Denn ich hatte noch einiges andere zu tun.
„Herr Schmidt, wenn es nicht so dringend wäre, würde ich bestimmt nicht hier auf Sie warten. Immerhin stehe ich schon eine gute Stunde hier und warte geduldig auf Sie.“
Das muss ja besonders dringend sein, wenn der seit einer Stunde hier herumlungert, dachte ich mir. Allerdings war ich mir jetzt nicht mehr so sicher, ob er einer von diesen vielen Stasileuten war. Irgendetwas war anders bei dem. Schließlich bat ich ihn, mit raufzukommen. Ich bot ihm freundlich einen Tee an, denn anständigen Kaffee gab es noch immer nicht oder er war mir immer noch zu teuer. Und den, den mir damals der Oppelmann mitgebracht hatte, hielt nicht all zu lange. Auf sein Nicken hin machte ich uns einen schwarzen Tee mit Zitronat, denn auch Zitronen waren nur durch „gute Beziehungen“ zu bekommen. Wie wir so unseren Tee schlürften, kam er auch gleich zur Sache.
„Herr Schmidt, oder darf ich Joachim zu Ihnen sagen?“
„Wie Sie möchten“, antwortete ich.
„Joachim, wie ich weiß,