Название | Kriminalisiert |
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Автор произведения | Hans-Joachim Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742770820 |
Einer der Uniformierten, übrigens der Einzige mit drei goldenen Sternen, ein Oberst, drehte sich lobend, bezüglich der Ordnung und Sauberkeit unserer Klasse, um und verstummte kurz darauf, als er das Bild Ulbrichts an dem Kartenständer baumeln sah. Mit strengem Befehlston fragte er, auf das Bild zeigend, was eher einem Gruß aus der NS-Zeit glich: „Wer hat das zu verantworten!?“
Ich wusste gar nicht, was der hat, dass der so außer sich ist. Der Oberst hatte mittlerweile ein knallrotes Gesicht und wiederholte seine Frage: „Wer hat das hier veranstaltet!?“ Bei der erneuten Frage spuckte er und wedelte wie verrückt Richtung Kartenständer. Ich glaube, es hätte nicht viel gefehlt, und der wäre explodiert oder hätte seine Dienstwaffe gezogen. Jedenfalls stand ich auf, stellte mich, ihm gebührend und der gespannten Situation entsprechend, stramm vor ihm hin und sagte mit einer sagenhaften Freude: „Herr Oberst, ich habe den da aufgehängt.“
Und ich meinte es, so wie ich es sagte, der Tätigkeit entsprechend ohne Hintergedanken. Vielleicht hatte ich gerade nicht sofort die richtige Wortwahl gefunden, sie traf aber dennoch meine Absicht, das Bildnis von überall, dem Klassenzimmer heraus, sehen zu können.
Niemand fand das, im Anbetracht des hohen Besuches, lustig – und ich seinen straffen Ton und Wutausbruch auch nicht. Umso erstaunter war ich, als ich aus dem Klassenzimmer flog und letztlich auf einem Polizeirevier landete.
Um es richtigzustellen: Es war sogar das Polizeipräsidium in Johannisthal. Es war jenes Präsidium, vor dem ich als Kind sah, wie ein Mann aus dem obersten Stockwerk flog und vor mir aufschlug.
Was die mir alles unterstellten, darf man wirklich nicht wiedergeben, weil es so fern jeder Vernunft und Vorstellungskraft war, was sie aus meiner gut gemeinten Handlung her deuteten. Irgendwann wurden mir die unsinnigen Anschuldigungen zu viel und ich sagte jenen Satz, mein erstes Zitat: „Der Schmutz liegt im Auge des Betrachters.“
Ich bekam nur noch ganz kurz mit, wie einer der Polizisten den Versuch startete, auf mich zuzuspringen. Er stolperte dabei aber über einen Stuhl und fiel auf mich drauf. Dann wurde es sehr still und dunkel um mich herum. Wie ich später erfuhr, war der Kripobeamte, in seinem Zorn, auf mich draufgefallen und hatte mich dadurch zu Boden gerissen. Beim nächsten Fahnenappell bekam ich vor versammelter Belegschaft, vom Schuldirektor, einen Tadel ausgesprochen.
Später erfuhr ich, warum der Oberst so sprachlos war. Er soll mit Walter Ulbricht, als junger Kommunist, im Untergrund gearbeitet haben und dieses Thema schlachteten die über Stunden aus.
Einem ähnlichen Missverständnis unterlag ich, was mir womöglich meinen Ausbildungsplatz hätte kosten können, als ich meinen Stundenplan sah, den wir vor Lehrbeginn ausgehändigt bekamen.
Wie schon erwähnt, fiel mir etwas in der Unterrichtsplanung bezüglich meines Lehrplans, auf.
Nach Sichtung der Fachbereiche, die uns vermittelt werden sollten, und deren Einteilung sowie der Häufigkeit der vorgesehenen Stunden des Lehrplanes wurde ich stutzig, was ich eher als einen Fehler beziehungsweise Verwechslung der Zuteilung der Stunden ansah.
Um mich schlau zu machen, fragte ich daraufhin, explizit in der Stunde, in der das Fach gelehrt wurde, den Lehrer: „Herr Moldenhauer, warum haben wir mehr Unterrichtstunden in dem Fach Marxismus-Leninismus als Lehrstunden in der Instandhaltung?“
Um dieser Frage eine Berechtigung zu geben, sollte ich anführen, dass ich den Beruf eines Instandhaltungsmechanikers erlernte.
Daraufhin sagte er feierlich und mit geschwollener Brust: „Nur ein guter Marxist-Leninist ist ein guter Facharbeiter.“
Ich schaute ihn an, und er sah in mein verdutztes Gesicht. Daraufhin nickte er mir zu, um seine These zu untermauern. Mann, dachte ich, der ist wohl doch von seiner Ansicht überzeugt.
Darauf fragte ich, nur um es genau zu wissen und ihn nicht missverstanden zu haben: „Herr Moldenhauer, kann ich das dann so verstehen, dass, wenn ein Kunde später mal einen Rohrbruch hat, ich ihm das Kommunistische Manifest zitieren sollte, anstatt den Rohrbruch zu reparieren?“
Für diese Frage erhielt ich zwar die Lacher der Lehrlinge, aber Herr Moldenhauer blieb mir eine Antwort darauf schuldig. Er schaute nur ziemlich blöd drein. Ich begriff gar nicht, was der nun wieder hatte, dabei hatte ich nicht einmal die Staatsbürgerkunde-Stunden angeführt, die er ebenfalls unterrichtete.
Nach dem Trubel, der dann veranstaltet wurde, will ich wirklich nicht wissen, wie seine Reaktion daraufhin ausgefallen wäre. Aber der Zoff, den der beim Direktor abließ, war schon sehr heftig. Der Moldenhauer verlangte doch tatsächlich, mich aus der Lehre zu schmeißen, schon wegen der Lage der Lehranstalt. Er nannte mich wirklich eine „subversive Person“.
„Herr Moldenhauer, da fahren Sie aber starke Geschütze gegen den Jungen auf. Er war vielleicht etwas vorlaut, aber dass er ein Umstürzer oder Zersetzer sein soll, so wie Sie ihn benennen, ist wohl von Ihnen, Kollege, etwas vorschnell geäußert“, sagte der Direktor.
Der Moldenhauer entschuldigte sich für seine Äußerung, was mich übrigens überraschte.
Dabei hatte ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass ich diesen Beruf erlernen durfte. Es lag nicht primär an meinem Abschlusszeugnis, was mir Schwierigkeiten brachte, sondern die Tatsache, dass sich die Lehrstelle im Grenzgebiet zwischen Kreuzberg (West-Berlin) und Ostbahnhof (Ost-Berlin) befand. Wenn es nach dem Heim gegangen wäre, wäre ich Betonwerker, deren Lehrstellen sich am Nöldnerplatz befanden, geworden – und darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Zumal sich der Anfahrweg zum Nöldnerplatz auch sehr schwierig gestaltete, weil man mehrmals umsteigen musste.
Schließlich gab mir der Direktor der Lehranstalt nur noch eine einzige Chance und sagte: „Ab sofort verlange ich von Ihnen, dass Sie sich möglichst unauffällig verhalten und derartige Klugscheißerei unterlassen.“
Schließlich musste auch ich mich bei dem Moldenhauer entschuldigen, und er nahm sie an. Wenn auch zögerlich, aber er schien mir meine Frage verziehen zu haben, auch dank des Direktors, der mit Engelszungen auf ihn einredete. Vielleicht lag es auch an der Richtigstellung und der Entschuldigung, die der Direktor von ihm abverlangt hatte.
Und damit nicht genug, wurde auch noch das Heim von meinem Fehlgriff, wie es offiziell hieß, informiert. Hausarrest mit freizeitraubenden Reinigungsarbeiten in Haus und Gelände waren das Resultat.
Der Sturm legte sich mit den Monaten. Aber schon wegen der kleinsten Andeutung in Richtung Unzufriedenheit verwies man auf jenen ersten Tag.
Während meiner Lehrzeit wurde mir – nicht wie üblich von der kommunalen Wohnungsverwaltung, sondern von der Abteilung für Innere Angelegenheiten – eine Wohnung zugewiesen. Bei der Besichtigung war mir sofort klar: „Es ist nicht das, was mir als Wohnung vorschwebt, aber eben meine eigenen vier Wände.“
Diese Einraumwohnung lag auf einem Hinterhof in der vierten Etage. Das WC befand sich im Treppenaufgang, eine halbe Etage tiefer. Der erste Eindruck bei der Zuweisung erinnerte mich eher an ein Haus, welches abgerissen werden soll. Der Hof war zugemüllt und der Treppenaufgang verdreckt. Das Geländer war lückenhaft und dadurch instabil. Als ich die Wohnung betrat, dachte ich zunächst, zu weit hochgegangen zu sein. Ich dachte wirklich, ich bin auf dem Dachboden. Abgesehen davon, dass keine Farbe und schon gar keine Tapete an den Wänden war, fehlte auch hier und da der Putz. Das, was die Küche darstellen sollte, konnte ich als solche, auch mit sehr viel Fantasie, nicht als Küche erkennen. Eine Kochstelle, ein Wasch- oder Abwaschbecken: alles Fehlanzeige. Ein Bleirohr, welches am Ende mit einem Holzpfropf verschlossen war, ragte aus der Wand. Von den Türen und deren Zargen, in denen die Türen mehr lehnten als hingen, will ich gar nicht erst sprechen. Überall lag Taubenkot, was auch von anderen Kleintieren herrühren konnte, herum. Alles in allem eine Zumutung!
Trotzdem war ich froh über diese Wohnung – eine andere stand auch nicht zur Diskussion –, weil ich endlich die Heime hinter mir lassen konnte.
Jedes Haus hatte einen HGLer, den Hausgruppenleiter, der auch das Mieterbuch führte. Unser Mann, der sich um uns Mieter kümmerte, hieß Zippe. Er war es auch, der sich meine Sorgen anhörte und dafür sorgte, dass die kommunale Wohnungsverwaltung alle