Kriminalisiert. Hans-Joachim Schmidt

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Название Kriminalisiert
Автор произведения Hans-Joachim Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742770820



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Mark für die Miete abgingen, arbeitete ich neben der Ausbildung noch auf dem Fruchthof am Ostbahnhof. Das hatte ich bisher ganz gut unter einen Hut bekommen. So machte ich Nachtschichten und ging von dort aus zur Lehre. Danach schlief ich und ging dann wieder in die Nachtschicht und von da aus wieder in die Lehre. Aber jetzt, zwei vollwertige Arbeiten täglich abzuleisten, würde ich leider nicht verkraften. Daher entschloss ich mich, den Hauptsitz meiner Ausbildungsfirma in der Jannowitzbrücke aufzusuchen, um mich von der Arbeit im Gaswerk befreien zu lassen.

      Diese Arbeit am Koksofen war wirklich ein harter Job. Hin und wieder hatte ich schon, während meiner Lehrzeit, in der Gaskokerei Dimitroffstraße und in der am Blockdammweg gearbeitet. Daher wusste ich, was da auf mich zukommt. So ein, zwei Tage waren für mich kein Problem. Aber im Vierschichtsystem und das sieben Tage lang ging gar nicht und ließ sich auch nicht mit meinen Plänen vereinbaren. Dass zwischen den Schichten einige Tage frei waren, machte diese Arbeit auch nicht reizvoller, eben weil ich es mir nicht leisten konnte, für lau zu arbeiten.

      Zunächst hatte man kein Verständnis für mein Anliegen, weil, wie der BGLer (Betriebsgruppenleiter) sagte: „Durch ihre Arbeit im Ausbildungsbetrieb wird ein Teil Ihrer Kosten der Ausbildung gedeckt.“

      Wie haben die Lehrer damals über die BRD geschimpft, weil die Eltern für das Schul- und Lehrgeld ihrer Kinder selbst aufkommen mussten. Und hier sah es doch so aus, dass ich selbst für meine Ausbildung aufkommen sollte.

      So argumentierte ich natürlich nicht im Anschluss, schließlich suchte ich eine für mich annehmbare Lösung.

      „Ich dachte, dass die Betonmischer, die wir hier produzieren, die Kosten der Ausbildung decken. So wurde es uns erzählt“, antwortete ich, weil es tatsächlich so von unserem Lehrausbilder der Instandhaltung gesagt worden war.

      „Diese Mischer halten auch dafür her, aber von Kostendeckung, nur durch diese Betonmischer, kann man nun wirklich nicht sprechen. Was glauben Sie denn, was Ihre Ausbildung, die Lehrkräfte und das Material, welches wir Ihnen hier zur Verfügung stellen, kosten?“

      Als ich unwissend mit der Schulter zuckte, sagte er: „Dachte ich mir.“

      Jetzt war bei mir der Faden weg. Dabei hatte ich mir so viel zurechtgelegt. Nach einer kurzen Redepause beiderseits fiel es mir wieder ein, was ich hatte vorbringen wollen.

      Kurz entschlossen, sozusagen als letzten Schuss von mir, offenbarte ich meine finanziellen Möglichkeiten und erzählte ihm, wie mein täglicher Speiseplan aussah, wenn ich keinen Zusatzverdienst mehr hatte.

      „Haben Sie wirklich Puffer, die aus einem Brei aus Wasser und Mehl zusammengerührt waren, gegessen?“, fragte er entsetzt.

      Nachdem ich es bejaht und ihm weitere ähnliche kulinarische Gerichte angeboten hatte, gestand er mir doch außerbetriebliche Arbeiten zu. Im Klartext hieß das für mich: Ich durfte auf den Fruchthof arbeiten gehen, musste es mir aber wöchentlich quittieren lassen, also vom Arbeitgeber selbst, wann ich dort arbeitete, und auch vom Lehrmeister, dass ich es durfte.

      Eines Tages, nachdem ich geschafft von der Arbeit nach Hause gekommen war, klingelte es bei mir an der Wohnungstür. Ich hatte mich gerade hingelegt, um mich auszuruhen. Das Klingeln häufte sich und ich dachte mir: „Das wird gleich wieder aufhören.“

      Es hörte aber nicht auf, es wurde zu einem Dauerklingeln. Genervt ging ich zur Tür und öffnete:

      „Guten Tag, Herr Schmidt. Darf ich reinkommen?“, fragte ein mir fremder Mann. Mit seinem sächsischen Dialekt war er kaum zu verstehen.

      „Wer sind Sie, etwa der Mann aus den Bergen?“, fragte ich den bemützten, dunkel gekleideten Mann.

      Er schaute mich etwas verdattert an, worauf ich sagte: „Na, aus dem Tal der Ahnungslosen.“

      „Herr Schmidt, ich bin nur ein Freund“, antwortete er lächelnd. Na ja, eigentlich war es mehr ein Grinsen. Ich hatte bei dem Grinsen das Gefühl, dass er mit einem Fahrrad, ohne Sattel, angereist war.

      „Ich kenne alle meine Freunde, Sie aber nicht.“

      „Lassen Sie mich doch erst mal rein, dann werde ich Ihnen alles erklären können.“

      Da er ohnehin schon mit einem Fuß in meiner Wohnung stand, ließ ich ihn herein und sagte: „Möchten Sie einen Tee?“

      „Nein, ich bin ausgesprochener Kaffeetrinker, haben Sie welchen?“

      „Aha, doch ein Kaffeesachse! Leider kann ich Ihnen keinen Kaffee anbieten, kann ich mir nicht leisten. Außerdem schmeckt der, den es in der Kaufhalle gibt, wie Knüppel auf dem Kopf.“

      Irgendwie fand er meine Antwort lustig und bekam sich bald nicht mehr ein vor Lachen. Dabei griff er in seine Aktentasche und sagte, als er sich halbwegs beruhigt hatte: „Dachte ich mir schon. Probieren Sie den mal“, und gab mir ein großes Päckchen Kaffee.

      „Was dachten Sie sich …“, fragte ich.

      „Na, dass Sie keinen Kaffee haben. Ich weiß, dass guter Kaffee schwer zu bekommen ist.“

      „Es ist ja nicht nur das, er ist auch unverschämt teuer, wenn man ihn überhaupt mal bekommt“, ergänzte ich seinen Satz.

      „Wissen Sie was, Sie dürfen das Päckchen behalten.“

      Ich bedankte mich.

      Während wir fast sprachlos diesen Kaffee tranken, unterbrach ich die Stille und sagte: Der schmeckt gut, jedenfalls besser als ‚Erichs-letzte-Krönung‘.“

      „Oh, diese Sorte kenne ich gar nicht. Was ist das für Kaffee?“, wollte er wissen.

      „Wissen Sie das wirklich nicht?“, fragte ich ungläubig.

      „Wenn ich es doch Ihnen sage.“

      „Das ist, wenn man so will, Kaffee-Ersatz oder auch Kistenkratz genannt. Bei dem Mist müssen wohl Mitarbeiter der Kaffeeröstereien und Mühlen die Produktionshallen und Läger gefegt, das dann in Tüten abgefüllt und in den Verkauf geführt haben.“

      „Jetzt sind Sie aber ungerecht. Ich selbst trinke Kaffee in unserer Kantine.“

      „Das ist nicht der gleiche Kaffee, den wir aus dem Konsum oder den Kaufhallen beziehen, und das können Sie mir glauben. In Ihrer Kantine wird es bestimmt auch Bananen und Orangen, und das ganzjährig, geben.“

      Und spätestens jetzt musste er, bei dieser Antwort, gemerkt haben, dass ich es zumindest ahnte, wo sich seine Kantine befand. Jedenfalls schaute er verschämt weg.

      Nur, dass dieser Kaffee aus dem Westen ist, wiederholte er, nach der Schenkung, mindestens vier Mal. Bis ich begriff, worauf er hinaus wollte.

      „Danke. Aber ist das nicht sogar verboten?“

      „Was sollte verboten sein?“, fragte er mich erstaunt.

      „Sie haben diesen Kaffee in keiner neutralen Verpackung und Sie betonen, dass er aus dem kapitalistischen Ausland ist.“

      „Nun mal nicht so streng! Reden wir doch einfach mal darüber, weswegen ich hier bin. Mein Name ist Oppelmann“, sagte er kurz.

      Während wir einen zweiten Kaffee tranken, fragte er eben so oft, wie er die Herkunft des Kaffees betonte, wie er mir schmeckte.

      „Gut, sagte ich doch schon“, antwortete ich schlürfend. Was mir ein bisschen peinlich war.

      Dann kam dieser Oppelmann langsam mit der Sprache heraus. „Wie ich erfuhr, hatten Sie etwas Schwierigkeiten in Ihrer Ausbildungsstelle.“

      „Das ist schon geklärt“, antwortete ich.

      „Ich weiß. Ich habe veranlasst, dass Sie dieser Arbeit, anstatt der im Lehrbetrieb, nachkommen können.“

      „Ehrlich? Das finde ich klasse … und ich habe angenommen, dass der BGLer sich für mich starkgemacht hat“, sagte ich mit meinem oft benutzten Schlagwort.

      „Ich weiß auch, dass Sie keine Eltern haben und im Heim aufgewachsen sind. Was ich sehr gut finde ist, dass Sie sich