Название | Zu dumm zum Beten |
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Автор произведения | Heiko Rosner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738037302 |
Zügigen Schrittes passierte er der Douglas-Parfümerieabteilung, deren Gestank bei ungünstiger Belüftung bis zur Gedenktafel für die jüdischen Gasopfer wehte. Vorbei an H&M nahm er die Abkürzung links am gläsernen Fahrstuhl, wo er unversehens mit einem bösartigen Hindernis konfrontiert wurde: Ein Geschwader von Kinderwagenmüttern.
Eine gemeingefährliche Brut. Wenn sie im Rudel auftraten, waren sie aggressiv und unberechenbar wie extremistische HSV-Fans Samstagnachmittags um viertel nach fünf. Siebzehn zählte mindestens zehn, wenn nicht zwölf Kampfmütter. Alle mit beleidigt verschraubten Gesichtern, als wäre es ihr gutes Recht, an den engsten Stellen eines Kaufhauses die Durchgänge zu blockieren, um Aufmerksamkeit für ihr kreischendes Gebälgertum zu erzwingen. Verweigerte man ihnen diese, fühlten sie sich von der nichtgebärenden Mehrheit böswillig diskriminiert und biologisch auf ihr Frausein reduziert. Dann drehten sie errst recht durch und belagerten mit ihrem Geschiebsel auch die letzten Fluchtwege. An ihren Knotenpunkten diskutierten sie gern ebensolche in der Brust, aber auch die splatterigsten Einzelheiten des Geburtsvorgangs, die zeitsparenden Vorteile eines Kaiserschnitts („Einmal ratsch, alles raus und zu.“) oder die Wunder des Langzeitstillens („Meiner ist fünf und nimmt nur die linke“). Wer als unbeteiligter Mann in so einen Mutter-Mob reingeriet, war ganz schön verratzt. Es half auch nichts, so zu tun, als würde man die Scheißbabys niedlich finden. Das machte die Mütter erst recht misstrauisch, denn die meisten waren alleinerziehend und extrem empfindlich für die ersten Anzeichen sexuellen Missbrauchs. Dann setzten sie schnell diesen schwer beleidigten Alimente-Blick auf. Da half nur nur die Flucht. Nur wohin? Einige Lokale in Ottensen waren mittlerweile treppengeschützt, aber selbst das bot keinen ausreichenden Schutz vor dem Einfall der Kiwamüs. Sie wuchteten ihr vierrädriges Geschreisel einfach kollektiv die Stufen hoch und machten sich demonstrativ vor den Singletischen breit. Die schnell frei wurden, weil niemand das Gekreische und Hapa-Happa-Gejuckele ertrug. Ein Elend. Überall sonst starben die Deutschen aus. Nur nicht in Ottensen.
Siebzehn wollte keinen Ärger riskieren. Er reduzierte sein Tempo trotzdem nicht, denn er erspähte eine Lücke. Die Frauen hatten eine Wagenburg gebildet, einen undurchdringlichen Kordon ineinander verkanteter Babykübel. Annähernd perfekt. Nur an einer Stelle klaffte ein Loch, bedingt durch die Nachlässigkeit einer Mutterwachtel von der Statur einer Gewichtheberin, die in ein Gespräch mit einer fernsehzeitungsbunten Paris Hilton vertieft war. Siebzehn legte einen Zahn zu und schoss wie ein Rennfahrer auf die Lücke zu.
Noch drei Meter. Noch zwei Meter. Paris Hilton sah auf und sagte etwas. Die Gewichtheberin schob ihren Wagen vor. Der Aufprall war unvermeidlich.
Siebzehn drehte in letzter Sekunde ab, um nicht den Kinderwagen zu rammen, dafür knallte er frontal in die schwarzhaarige Dicke, die nur kurzfristig wankte, aber dennoch schnell genug reagierte, um im Augenblick der Kollision von ihrem Obelix-Bauch Gebrauch zu machen, der den fast halb so schweren Siebzehn wie ein Fliegengewicht in die Gegenlaufrichtung katapultierte.
Chaos, Tumult, umfallende Kinderwagen, dazu setzte ein Geschrei wie tausend Frühgeburten ein und irgendwo flog ein Baby durch die Luft.
Mist, das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Siebzehn war im Grunde ein friedfertiger Mensch. Als liberaler Rechthaber ging er Streitereien grundsätzlich aus dem Weg. Ob Neonazis, Krötenschützer oder Kämpfer für ein befreites Tibet, einen Knall hatten sie alle, sonst würden sie ihre Freizeit sinnvoller verbringen. Ganz anders die Kinderwagenmütter. Frauen waren zu viel „Lindenstraße“. Zu Gabi-Zencker-mäßig. Die nahmen alles persönlich. Hinzu kam, dass gewordene Mütter sich ihrer sexuellen Attraktivität beraubt fühlten, was sie in einen Zustand permanenter Gereiztheit versetzte. Das griechische Wort „hysteria“ bedeutete nicht umonst „Gebärmutter“. Freud hatte das rechtzeitig erkannt, aber nichts dagegen unternommen und den Männern dummes Zeugs eingeredet. Als ob man beim Anblick von diesen Gabi Zenckers Lust auf einen Ödipus-Komplex kriegen würde.
„Du Arschloch, kannst du nicht aufpassen?“, kreischte die Obelixfrau, wohl die Anführerin des Haufens. „Wir sind MÜTTER und KIIIIINDER!“
„Schwein“, zischelte eine andere.
„Also so was.“
„Hat der keine Augen im Kopf?“
„Was für ein Drecksgammeler, wie der schon aussieht.“
Es prasselten noch andere Höflichkeiten auf Siebzehn herab, die er geduldig über sich ergehen ließ, während ihm der Chor der traumatisierten Krähzwerge wie abgebrochene Kreide in den Ohren schrillte. Luistrenker wäre wahnsinnig geworden. Die Stimmung kippte derweil ins Inquisitorische.
„Männersau.“
„Penner.“
„Asoziales Arschloch!“
„Der stinkt ja!“
„Guck dir mal die Jacke an, igitt!“
Das reichte. Auf seine Dakota-Jacke ließ Siebzehn nichts kommen. Sie mochte verfranselt und abgewetzt sein, an einigen Stellen war sogar das Leder durchgerieben und die Füllung hing raus, aber das änderte nichts daran, dass es sich um eine Original-Dakota-Jacke mit Büffelschädel und blutenden Augen handelte. Die wurden nur einmal hergestellt, damals in den Neunzigern, noch nicht einmal in Dakota, sondern in einer kleinen Schneiderei aus New Orleans, lange bevor Katrina kam. Dakota-Jacken waren Kult. Es gab kaum noch welche, selbst im Internet wurden sie zu Höchstpreisen gehandelt. Man musste nur höllisch aufpassen, dass man nicht an Fälschungen geriet. Die gab es haufenweise. Sie waren gewöhnlich leicht zu erkennen: Wenn der erste Blutstropfen unter dem rechten Auge nicht die Form von Kuba hatte, konnte man davon ausgehen, dass der Etikettenbetrüger sein Mittagessen mit Stäbchen aß.
Siebzehns Dakota-Jacke war echt. Mit Kuba am rechten Fleck! Und niemand, NIEMAND machte sich über sie lustig! Schon gar nicht diese Wachtelweiber mit ihren kreischenden Scheißkindern!
Mit einem tiefen Bud-Spencer-Knurren, das durchaus als Warnung zu verstehen war, erhob er sich zu seiner vollen Größe von 1,93 Meter. Ohne übereilte Hast, fast wie in Zeitlupe. Die Furien wichen ehrfüchtig einen Schritt zurück. Als er stand, tat er so, als müsste er sich Staub oder giftige Babypampe von den Schultern seiner Dakota-Jacke schlagen. Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass das fliegende Kind auf der Auslage eines Gemüsestands zwischen Erbsen und Chicoree gelandet war und von der umsorgenden Mutter so hektisch in die Höhe gerissen wurde, das es mit dem Kopf gegen eine Schrifttafel knallte, die in graziler Schönschrift von den Sonderangeboten des Tages kündete. Die Tafel krachte zu Boden, das Kind fing an zu schreien, der Ökobauer kam angewetzt.
Siebzehn zückte seine Polizeimarke: „Wer hat hier Penner gesagt?“, fragte er mit einer Stimme, die wie Keilschrift in 3D die Luft durchstanzte. „Das ist Beamtenbeleidigung.“ Er sprach in seinen Ärmel. „Hier ist Siebenacht, wir haben einen Larry. Ich wiederhole, einen gottverdammten Larry. Die Weiber haben das versaut. Alle festnehmen.“
Die Kinderwagenmütter erstarrten. In der Luft lag der Geruch nach Meerrettich und geplatzter Fruchtblase.
Siebzehn ließ von seinem Ärmel ab, sein Befehlston blieb verärgert. „Das kann teuer werden, meine Damen. Sie haben einem Drogendealer zur Flucht verholfen. Ich war dicht dran an dem Saukerl. Wegen Ihnen ist er mir durch die Lappen gegangen. Herzlich Dank nochmal!“
Bei der Erwähnung des Wortes „Drogendealer“ ging ein entsetztes Raunen durch die Kinderwagenkolonie. Der Ökobauer, der fragen wollte, wer ihm den Schaden an seinem Gemüsestand ersetzen sollte, zog sich zurück. Mit Bullen wollte er so wenig zu tun haben wie mit Bio.
Paris Hilton