Название | Zu dumm zum Beten |
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Автор произведения | Heiko Rosner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738037302 |
Himmelarsch, da brannte es wirklich, aber wie! Siebzehn stürzte ans Fenster und kam sich vor wie im Kino. Aus dem Dachstuhl gegenüber schlugen meterhohe Flammen in die Luft. Funkenregen sprühten und drohten, auf die Nachbargebäude überzugreifen. Eine Brandschatzung sondersgleichen. Warum hatten sie ihn nicht viel früher geweckt?
Das dreistöckige Mietshaus stand seit dem letzten Winter leer und war im Frühjahr gedämmt und neu angemalt worden. Dann tat sich lange Zeit gar nichts. Sogar das Gerüst von Gerüstbau Hinrichs war monatelang stehen geblieben, wahrscheinlich machte sich das besser, wenn man überteuerte Eigentumswohungen auf den Markt schob. Trotzdem war keiner eingezogen. Gut möglich, dass der Besitzer daraus die Konsequenzen gezogen hatte. Eigenbedarf mal anders.
Die Feuerwehr spritzte aus allen Rohren, Polizisten sicherten die enge Eulenstraße in beide Richtungen ab und drängelten die Schaulustigen zurück. Unverständlich, diese Gaffermeute. Wie konnte man sich nur so schamlos am Elend wildfremder Menschen delektieren? Siebzehn steckte sich eine Zigarette an. Sehr zum Missfallen von Luistrenker, der verärgert fauchte und sich in die Küche trollte. Die typischen Machtspiele von Katzen. Sollte man einfach ignorieren, sonst wurden die Biester eigensinnig und im Alter bösartig. Aus erzieherischen Gründen trat er den Fressnapf weg, der noch halb mit Kitekatstampf gefüllt war, das kotbraun den Teppichrestboden sprenkelte.
Laut krachend stürzte der Dachfirst ein, schwarze Rauchschwaden stiegen auf. Uiuiui, wenn das mal gut ging. Siebzehn zog den Chefsessel zu sicher herüber und postierte ihn vor dem Fenster. So saß er bequem und konnte die Arme auf das Fensterbrett legen. Fast wie ein alter Mann, dachte er in einem Sekundenbruchteil kritischer Selbstreflektion, aber er war ja auch schon 49 XXL und außerdem reflektierte er nicht so gern.
„Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen...“, eierte die Stimme von Hans-Dietrich Genscher ins Prager Gekreische. Scheiße, sein Handy. Wo lag das Ding bloß? „...dass Sie heute nicht ausreissen können. War alles nur ein Scherz von Helmut und mir. Hohohohoho!“
Er brauchte dringend einen neuen Klingelton. Alles zu seiner Zeit. Er sprang auf. Erst mal musste er das Handy überhaupt finden.
„Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen...“
Vielleicht unter dem Klamottenhaufen neben den CD-Regalen? Irgendwie genscherte es auch der Richtung. Hemden und Hosen flogen in alle Richtungen, aber kein Handy in Sicht. Wieso waren diese Sprechschachteln auch so klein?
„...dass Sie heute nicht ausreisen können...“
Stopp, da sah er es. Es war eigentlich da, wo es immer lag. Auf dem Nachttischschuhkasten neben dem Aschenbecher (mit der Aufschrift: „Rauchen tötet Vegetarier“). Siebzehn schnappte sich den Hörknochen und bezog wieder seinen Beobachtungsposten auf dem Chefsessel.
„...war alles nur ein Witz. Von Helmut und...“
„Los! Sag was!“ Diese Art der Anrede hatte er von den Spaniern, da hieß es übersetzt „Digame?!“ und hielt die Erinnerung an die Inquisition wach.
„Gessler hier“, erklang am anderen Ende die alarmistische Stimme des einzigen Hamburger Frührentners mit vier verschiedenen Jobs. „Hömma, gut dass du da bist. Ich bin im Krankenhaus...“
Siebzehn wischte sich die Dreadlocks von den Augen, um besser hören zu können. Er hatte gerade verstanden, Gessler würde aus dem Krankenhaus anrufen. Voll Karoshi. „Oh“, sagte er. Es war ein „Oh“, das überrascht klingen sollte, aber nur der Überbrückung diente, bis das Fräulein vom Amt in seinem Kopf den richtigen Stecker gefunden hatte. Was noch eine Weile dauernd konnte oder zwei.
Gessler war dafür geradezu unerträglich wach: „Du musst herkommen, Menschenkind!“, schrie er. „Pastor ist im Vollsuff in ein Auto gelaufen. Ausgerechnet an seinem Geburtstag! Er nullt doch heute. Mannomann! Aber jetzt braucht er Mehl! Sonst gibt es eine Katastrophe!“
„Mehl?“, fragte Siebzehn begriffstutzig. „Was denn für Mehl?“ Seine Empfangsanlage war noch nicht in Betrieb, es dauerte eine Weile, bis der Server hochgefahren war.
„Hömma, du weißt schon. Das was er braucht, wenn er WACH wird. Im Moment operieren sie noch an ihm rum, aber wenn er zu sich kommt, ist er seit Stunden offline. Dann dreht er vollkommen durch.“
Siebzehn kapierte langsam, was Gessler mit Mehl meinte. Eine etwas unglückliche, wenn nicht dümmliche Paraphrasierung für Markenprodukte aus deutschem Anbau. Aber wie sollte man auch Phantasie von einem Nichtraucher erwarten?
„Es gibt kein Mehl. Der Bäcker hat zu“, distanzierte sich Siebzehn in aller Deutlichkeit. Man wusste ja nie, wer mithörte. „Sag Pastor, er soll es so lang mit Smarties versuchen.“
„Bist du verrückt geworden?“ Gessler tickte völlig aus. „Kapier doch endlich! Du musst sofort hierherkommen. Der ist imstande und haut den ganzen Laden zu Klump.“
Daran zweifelte Siebzehn keine Sekunde. Wenn Pastor offline war, hielten ihn keine sieben Pferde auf. Trotzdem fühlte er sich außerstande für jede Form von Frühsport oder Morgengymnastik. „Tut mir leid, ich kann nicht kommen. Bei mir brennts“, sagte er wahrheitsgemäß. „Lichterloh.“ Draußen zog weißer Rauch auf. Wohl ein schlechtes Zeichen.
Das Gebrülle aus dem Hörer wurde so laut, dass Siebzehn das Handy in seine Unterhose steckte. Er gähnte und beobachtete aus verklebten Augen, wie gegenüber alle Fenster des dritten Stocks zerbarsten. Super-Spezialeffekte. Gessler plärrte unentwegt weiter. Kratzte etwas an den Eiern, war aber kein unangenehmes Gefühl. Siebzehn steckte sich eine Zigarette an. Als er sie halb aufgeraucht hatte, fühlte er nach, ob Gessler immer noch da war. Er verstand nur die letzten Worte: „..garantiere für nichts. Das ist ein Notruf, du Blödmann! Hörst du mir überhaupt zu?!“
„Jaja.“ Siebzehns vernebeltes Hirn wünschte sich zurück auf die Matraze, vergraben unter allen Daunendecken der Welt, zumindest bis zwölf Uhr mittags. Aber diese Drangsalierer in der Außenwelt kannten einfach keine Ladenschlusszeiten. „Wo bist du nochmal?“, fragte er, nur um einigermaßen auf Funk zu bleiben.
„Im Kran-ken-haus!“ Gesslers Stimme schnappte schier über. „Hier liegen lauter Halbtote rum! Und Omas mit Schläuchen untendran!“
„Nicht schön. Trink da nicht draus.“ Das sollte ein Scherz sein, aber er zündete nicht.
„Kann ich mir gerade noch verkneifen“, bellte es barsch zurück. „Ich steh nicht auf Omapisse. Also, was ist? Kommst du?“
„Na klar“, murmelte Siebzehn, während er in der Fernsehzeitung blätterte, die der Student im Erdgeschoss abonniert hatte. Am Sonntag gab es „Marvel‘s The Avengers“ auf RTL II. „Mach dir keine Sorgen. Wird alles easy. Bis gleich.“ Mit Thor, Captain America und Iron Man. „Ein Superhelden-Dampfhammer der Extraklasse“, schrieb TV-Spielfilm.
„Halt!“ kreischte Gessler. „Du hast gar nicht gefragt, was für ein Krankenhaus!“
„Hab ich nicht?“
„Nein.“
„In Altona?“
„Eben nicht. Eppendorf. Sie haben uns nach Eppendorf gepackt.“
Eppendorf. Das war die Gegend tief im Westen von Hamburg, ein Durchgangslager zum Ohlsdorfer Friedhof. Im Volksmund Depression-City genannt. Man musste den Buchstaben „D“ gar nicht vor den Ortsnamen setzen, um nur ansatzweise zu erahnen, wie grausam ein Leben in Isolationsfolter und ewiger Verdunklung sein muss (Wenn Sie je mit dem 20er oder 25er am Eppendorfer Marktplatz halten, steigen Sie bloß nicht aus). So gesehen ging Eppendorf gar nicht. Außerdem hatte er – wenn er sich recht erinnerte – einen Termin bei den Pferdekutschern in Hamburg-Horn.
Siebzehn blätterte zurück. Wann fing noch mal die Übertragung der Apothekerrundfahrt