Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner

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Название Zu dumm zum Beten
Автор произведения Heiko Rosner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738037302



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Cowboy, lange nicht mehr gesehen.“

      Siebzehn schreckte auf. In Gedanken versunken, hatte er gar nicht mitbekommen, wie Letita aufgetaucht war. Siebzehn war sofort hellwach. Alle anderen Männer am Hufeisen-Rund auch, denn ihr bauchfreies Top und ihr geradezu alpines Dekollete hätten selbst den abgebrühesten Mormonen zur Monogamie bekehrt

      Ihre Augen strahlten ihn an wie zwei glühende Lichtfinger, denen man besser nicht zu nahe kam, es sei denn man wollte schwerste Verbrennungen riskieren.

      „Lass mich raten: Spaghetti Bolo mit Käse?“

      Schnell umschaltend, stellte er sich Letitia mit Kinderwagen vor. Das half ein wenig. „Äh.. nein. Heute nehme ich...“ Fast ohne ins Schwitzen zu kommen, ließ er den Blick über die Schiefertafel hinter Letitia schweifen, auf der die Menüs des Tages angeboten wurden. Im obersten Preissegment wurde er fündig. „...Heute nehme ich die Grazzianoplatte Terra-Mare. Mit extra viel Lachs, wenn’s geht.“

      Letitia sah erstaunt auf: „Uh! Hast du im Lotto gewonnen?“

      „So ähnlich. Und ein Bier.“

      „Terra-Mare und ein Bier. Schon in Arbeit.“ Sie tippte die die Bestellung ein und beugte sich dabei so weit vor, dass Siebzehn nicht umhin kam, eine andere Sitzhaltung einzunehmen. „Sonst noch was?“, stahlte sie ihn an, ihre Haltung beibehaltend, aber zu ihm aufsehend.

      „Nein“, krächzte Siebzehn, weiter auf seinem Hocker fuhrwerkend. „Das wäre, äh...alles für den Moment.“

      „Prima. Willst du so lang was lesen?“

      Bevor er antworten konnte, hatte sie ihm schon die Mopo hingeflatscht. Wenn das kein Service war.

      Letitia hüpfte davon. Siebzehns Blutdruck regulierte sich. Verächtlich beobachtete er die Business-Männer, die sich hinter ihren Laptops verschanzten, aber heimlich auf Letitias Arsch schielten. Wo sollten sie auch sonst hingucken? Konnte er ihnen nicht mal verdenken. Was für ein verruchtes Luder. Sie machte sich über ihn lustig, das war ihm schon klar. Aber nicht mit ihm. Um

      sich abzulenken, vertiefte er sich in die Zeitung. Was nicht so einfach war, denn für die Mopo brauchte man normalerweise nicht mehr als drei S-Bahnstationen. Wenigstens war die Schlagzeile ansprechend: „Hamburger Schüler immer besoffener.“ Eine Studie hatte ergeben, das 70 Prozent aller Hamburger Hauptschüler betrunken von der Schule nach Hause kamen. Das wunderte Siebzehn gar nicht. Er fragte sich, was die anderen 30 Prozent mit ihrer Zeit anfingen.

      Auf den Seiten 2 und 3 beklagten Polizisten der Davidswache, dass ihre Klos verstopft waren, es folgten Artikel über Männer, die Schminkkurse belegten und und rumänische Bettler, die am Jungfernstieg den Diamantenverkauf sabotierten. Dazwischen Meldungen über einen angeblichen Bauskandal der CDU und einen Lebensmüden, der auf dem Geländer der Köhlbrandbrücke einen Kopfstand gemacht hatte. Ganz hinten das Fernsehprogramm, die Naturbrüste-Doppelseite („Achtung! Neue Girls auf drei Etagen!“), Flutkatastrophen in Asien und der Krebspromi vom Dienst („Star aus ,Verbotene Liebe‘: Ich weine jede Nacht“).

      Gut, dass es diese Zeitung gab. Sonst würden noch viel mehr Leute glauben, Hamburg wäre eine Stadt von Welt.

      Er legte das Blatt beiseite und sah sich um. Trotz Urlaubszeit und kochenden Mittelmeertemperaturen herrschte im Mercado reger Publikumsverkehr. Ältere Frauen schleiften ihre trödelnden Männer hinter sich her wie unangeleinte Pudel. Gesichtsverkleisterte H&M-Gören belagerten als Germany’s Next Top Modells in Wartestellung den Sushi-Stand gegenüber und drückten in ihren Händen herum, ohne ein Wort miteinander zu reden. Einkaufswütige Gesichter panzerten durch das Gedränge, als wäre Nachkriegszeit und Merkel gleichzeitig. Dazwischen ein paar Blaue, die seit kurzem das Stadtbild versauten, weil in Hamburg irgendein Christustag war. Siebzehn hatte davon nichts mitbekommen, aber angeblich waren die Nachrichten voll davon. Es hieß sogar, der Papst würde kommen. Neuerdings trieb sich in der Stadt wirklich übles Gesindel rum.

      „Auf dein Wohl, Cowboy.“ Letitia stellte eine sauber gezapfte Bierknolle vor ihm ab. „Geht aus besonderem Anlass aufs Haus.“

      „Danke.“ Siebzehn hob überrascht eine Augenbraue. „Und was ist der besondere Anlass, wenn ich fragen darf?“

      „Ich gehe zurück nach Italia“, sagte sie vergnügt. „Oma hat Mann für mich gefunden.“

      Siebzehns gute Laune verflog schneller, als er seine Kinnmuskulatur unter Kontrolle hatte. „Wie bitte?“ Er starrte Letitia ungläubig an: „Du willst heiraten?“

      „Ja.“

      „Aber wen denn?“

      „Weiß ich nicht. Hat Oma ausgesucht.“ Sie kicherte wie ein übermütiges kleines Mädchen, das vor dem ersten Tanzball ihr Kleid ausprobiert. „Ist bei uns so Sitte, weißt du?“

      Siebzehn fehlten die Worte. „Aber – das geht doch nicht...“, stammelte er völlig entgeistert, obwohl er sich natürlich nicht anmerken lassen wollte, wie entsetzt, nein nicht entsetzt, wie persönlich beleidigt er war.

      „Wieso soll das nicht gehen?“ Sie versetzte ihm einen Stubs auf die erbleichte Nasenspitze. „Oma weiß, was für mich am besten ist. Freust du dich mit mir?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab. „Du kannst mein Trauzeuge sein, wie wäre das?“ Letitia klatschte in die Hände, als wäre ihr diese tolle Idee erst eben gekommen. „Papa würde sich so freuen! Mein Mann bestimmt auch.“

      Siebzehn wischte sich eien Strähne aus der Stirn. „Werd sehen, was sich machen lässt“, sagte er ganz cool. Der Tag war gelaufen, so oder so. „Kannst mir ja ‘ne Einladung schicken. Bin die nächsten Wochen nur leicht ausgebucht.“

      „Schön!“, begeisterte sich Letitia, als hätte sie gar nicht zugehört. „Aber dann darfst du nicht diese verweste Cowboy-Jacke tragen. Ich will dich im weißen Anzug sehen. Mit einer Rose im Knopfloch.“

      Siebzehn sah auf sein Glas hinunter, als hätte er das Bier ganz vergessen. „Mhm,“ brummte er und in seinem Magen wühlte etwas, das sich wie etwas sehr Kratzendes, Entzündetes anfühlte. „Wünsch dir nur das Beste“, sagte er beherrscht, aber freundlich, und er wollte gerade noch etwas hinzufügen, aber so weit kam er nicht, denn von hinten schlingerte Big G mit einer Riesenplatte Terra Mare (mit extra viel Lachs) heran, die er mit dem Stolz eines fünfsternigen Marlon Brando kredenzte. Letitia entschwand und schnalzte mit der Zunge. Warum auch immer.

      „Alles okay?“, fragte Grazziano.

      „Alles okay“, sagte Siebzehn.

      Nichts war okay.

      Als er die Zangen des Hummers aufbrach, dachte er an die Spiele mit den Handschellen. Der gestürzt Reis hatte genau ihre Körbchengröße. Die Kruste des Hühnchenschenkels mit der pechschwarzen Olive in der Mitte... kaum auszudenken. Und jetzt rannte sie einfach weg, wegen so einem Ölberlusconi, den ihre verkalkte Oma aussuchte? Wie bescheuert war das denn? Zwangsheirat. Voll das Mittelalter. Dass Big G so etwas zuließ. Italiener halt. Die Araber Europas. Taten kosmopolitisch und sonstwas, schawenzelten aber hinter jedem nächstbesten Kreuz her. Die einen waren vom Islam versaut, die anderen vom Vatikan. Nee, Siebzehn hatte fertig. Die Olive flippte er mit der Gabel weg. Am liebsten wäre er nach Italia gefahren und hätte dieser alten Inzest-Schrapnelle den Hals um...

      „Die allerbesten Grüße im kostbaren Namen von Jesus. Der Herr der Liebe ist mit Ihnen.“

      Siebzehn lächelte engmaschig. Millimeterdünn öffnete sich ein roter Riss.

      „Darf ich Ihnen diese frohe Botschaft überbringen? Es ist ein Wort des Friedens und der Wahrheit.“

      Vor Siebzehn stand ein etwa vierzehnjähriger Blaujüngling mit kinderpopoglatter Gesichtshaut, weit aufgerissenen Mein-Herz-ist-rein-Augen und Kühlergrill vor den Zähnen. Mit so einem würde man nicht mal Kinderpornografie hinkriegen. Der Kleine drückte Siebzehn eine Hochglanzbroschüre in die Hand, die die naive Zeichnung eines „Herr der Ringe“-Saruman im Schlafanzug zeigte, der auf einem Berghügel stand und bekifft zum