Название | Herr Gars soll heiraten |
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Автор произведения | Eva-Maria Landwehr |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742749703 |
Wolfgang Wilhelm machte eine vage Handbewegung und sah versonnen zur Decke des Treppenhauses, zu den Malereien, wo das letzte Aufbäumen einer tödlich getroffenen Wildsau von eingedrungenem Wasser zu einem geisterhaften Schemen ausgewaschen worden war. „Je weiter Dinge zurückliegen, desto mehr verblassen sie bis zur Unkenntlichkeit. So geht es auch mit den Ereignissen, die noch kommen, nur anders herum. Ich sehe nur nicht, dass bereits etwas Gestalt annimmt. Und wer kann in die Zukunft blicken und sehen, welchem Wandel schon morgen diejenigen Bündnisse unterliegen, die wir heute schmieden, guten Gewissens und mit den besten Absichten, versteht sich.“
Anna verstand sofort. „Ich danke Euch.“ Sie fühlte Erleichterung und Enttäuschung zugleich. „Aber denkt nicht“, versetzte sie ihm hart, „dass ich Euch Kleve oder irgendeinen anderen Teil dessen, was mir von Rechts wegen zusteht, kampflos überlassen werde.“ Ihre Stimme nahm einen weicheren Klang an, als sie versöhnlicher fortfuhr. „Als Eure Cousine jedoch möchte ich dringend darum bitten, eines Tages zu Eurer Hochzeit eingeladen zu werden, lieber Vetter. Selbst, wenn ich dann unter Umständen so unhöflich sein müsste, bei einer katholischen Zeremonie den Leib Christi in Form des Abendmahls zu verweigern.“
Sie verstanden einander, schwiegen versonnen, und ließen die Worte noch einen kurzen Moment in der Luft verklingen.
Putlitz räusperte sich in seinem Versteck, die Dogge streckte sich ächzend, indem sie die Vorderläufe nah an den Boden presste und ihr Hinterteil steil nach oben reckte.
Wolfgang Wilhelm verabschiedete sich ohne Umstände. Es war alles gesagt. Unten angekommen, dauerte es nicht lange, bis er aufgesessen und der Trab seines Pferdes in einen leichten Galopp übergegangen war. Bald war auch dieses Geräusch vom Grün des Walds verschluckt worden.
Anna trat an das offene Fenster, das den Blick auf den nahen See freigab, wo im selben Moment ein Schwarm Stockenten eilig in einer auf dem Wasser liegenden Nebelbank verschwand. Am Ufer direkt gegenüber des Schlosses stand ein Reh, die zerbrechlich wirkenden Läufe unbeholfen zur Seite gespreizt, um das Wasser erreichen zu können. Anna hielt den Atem an. Das Reh senkte sein Maul und saugte. Stillte seinen Durst, als ob es die spiegelglatte Oberfläche behutsam küssen würde. Nicht weit entfernt fielen dumpfe Schüsse. Das Wild hob anmutig seinen Kopf und spielte mit den Ohren. Tropfen fielen ins Wasser zurück und wurden zu konzentrischen Kreisen.
Doch erst als ein nur aus Kopf und Hals bestehender, scheinbar körperloser Schwan, wie ein Bühnenrequisit von einem unsichtbaren Seil gezogen, durch den Nebel auf das Tier zusteuerte, verschwand es mit wenigen federleichten Sprüngen im angrenzenden Unterholz.
Im schwedischen Militärlager, Ende Juli 1614
König Gustav II. Adolf an Ebba Brahe.
Sieh‘ mich an, Ebba, das würde ich sagen, wenn wir uns gegenüberstehen würden. Liebste, schönste, süßeste Ebba! Ich würde Dein Gesicht in meine Hände nehmen und mich zu Dir beugen. Ganz nah, so dass sich unsere Lippen fast berühren. Sieh‘ mich an, würde ich sagen und nicht zulassen, dass Du Deinen Blick abwendest. Damit Du in meinen Augen lesen kannst, dass, selbst wenn Du nicht das Vertrauen in unsere Liebe aufbringst, ich es tue. Absolut und unbeirrbar und jeden Tag aufs Neue.
Du hast geweint, als Du Deinen Brief geschrieben hast, das kann ich sehen. Ich weiß, wie sehr Du unter meiner Mutter leidest. Man hat mir berichtet, wie sie Dich prüft, indem sie in Deiner Gegenwart laut über eine vorteilhafte Ehe für mich, für Schweden, nachdenkt.
Ich werde Dir nicht versprechen, dass bald alles gut wird, denn ich werde Dir keine Lügen erzählen. Ohne die Zustimmung der Königin ist eine Ehe zwischen uns unmöglich. Daran hat sich nichts geändert. Aber ebenso wenig haben sich meine Gefühle geändert. So viele Jahre kennen wir uns schon, und bin ich jemals wankelmütig oder unbeständig gewesen?
Meine Ebba, ich muss aufbrechen. Die Soldaten haben bereits den Befehl zum Sammeln erhalten, der Abmarsch steht kurz bevor. Ich kann nicht sagen, ob ich Dir während des Feldzugs werde schreiben können, und selbst wenn, dann weiß der Himmel, ob Dich mein Schreiben noch vor dem Winter erreichen würde oder aber erst nächstes Jahr.
Beim Öffnen dieses Briefes wirst Du meine Liebesgabe gefunden haben – zumindest hoffe ich, dass diese den Transport wider Erwarten ganz und unversehrt überstanden hat. Erinnerst Du Dich an den Tag, als wir hinter der Mauer an der Bleiche eine Wiese voller Vergissmeinnicht entdeckt hatten? Ich habe meines seitdem immer nah am Herzen getragen, es täglich betrachtet und mich gefreut, die einst strahlenden Farben nach und nach verblassen zu sehen. Gefreut deshalb, weil ich in den zerbrechlichen, gealterten Blüten uns beide in einer fernen Zukunft sehe: ein ehrwürdiges, grauhaariges Königspaar, umgeben von Kindern und Kindeskindern.
Mich von diesem Schatz zu trennen, ist mir unendlich schwer gefallen. Aber so kann ich bei Dir sein,
Der Deine für immer,
G.
Stockholm, 12. September 1614
Reichskanzler Axel Oxenstierna an Königinwitwe Christine von Schweden.
Die von Ihrer Königlichen Hoheit gewünschten Berichte bezüglich einer möglichen Eheanbahnung Seiner Majestät, Gustav II. Adolf mit Ihrer Durchlaucht Prinzessin Maria Eleonora von Brandenburg zur gefälligen Kenntnisnahme.
Auf Anordnung Eurer Königlichen Hoheit sind in der brandenburgischen Angelegenheit Erkundigungen eingeholt und in nachfolgendem Dossier zusammengefasst worden.
Diese gelten selbstverständlich vorbehaltlich des ungewissen Ausgangs der Entwicklungen am Niederrhein, wo sich seit einigen Wochen Spanien und die Generalstaaten ein militärisches Kräftemessen liefern. Ich würde dringend anraten, alle weiteren Aktivitäten so lange einzustellen, bis zweifelsfrei festgestellt ist, dass die Familie der künftigen Braut einen angemessenen Anteil dieser für unsere Sache so eminent wichtigen Region vertraglich zugesichert bekommt. Im entgegengesetzten Fall würde ich für die sofortige Einstellung der Planungen hinsichtlich möglicher Heiratsverhandlungen plädieren, da Brandenburg dann erheblich an Nutzen für Schweden verloren hätte.
Zur Sache selbst: Wie Eurer Königlichen Hoheit mit Sicherheit bekannt ist, besteht der entscheidende Unterschied zwischen einem mitbelehnten Regenten und einem erblich regierenden Herzog darin, dass Ersterer die Aufgaben des Letzteren nur aus wirklich triftigen Gründen noch zu dessen Lebzeiten wahrnehmen kann. Die aktuelle Mitbelehnung der Hohenzollern in Preußen in der Person seiner Durchlaucht, des Kurfürsten Johann Sigismund, deutet auf eine gesundheitsbedingte Führungsschwäche des preußischen Hauses hin. Damit rücken die weniger erfreulichen familiären Hintergründe, die zu einiger Sorge Anlass geben, in das Zentrum aller Überlegungen.
Da wäre zum einen die außergewöhnliche Häufung psychischer Erkrankungen in der weitverzweigten Familie der in Augenschein genommenen Braut. Dieses Phänomen betrifft ausschließlich die mütterliche Linie.
Der Großvater Fräulein Maria Eleonoras, Herzog Albrecht Friedrich von Preußen, der in seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr steht, ist seit jeher für alle Höflinge, selbst für die Dienerschaft, nur „der blöde Herr“. Von Kindesbeinen an geistig zurückgeblieben, haben sich die ihm eigenen wahnhaften Züge und schweren Anfälle von Melancholie mit jedem Lebensjahr verschlimmert. Permanent sieht er sich von Verrat umgeben und fürchtet Mordanschläge, so unter anderem mit Gift, das er sogar in den Hostien des Abendmahls vermutet. Wenn das Durcheinander in seinem Kopf und die widerstreitenden Gefühle in seiner Seele überhandnehmen, kapselt er sich hermetisch von seiner Umwelt ab.
Maria Eleonora von Jülich-Kleve-Berg, die Großmutter der möglichen Braut, die man mit dem Herzog verheiratet hat, ist bei ihrer Ankunft in Preußen ohne Zweifel völlig ahnungslos gewesen. Der Bräutigam hatte sich in seinen Zimmern verbarrikadiert und sich geweigert, seine Braut zu begrüßen, von einer Einwilligung zur Heirat gar nicht zu reden. Seine Räte hatten sich damals ahnungslos und schockiert gegeben, und steif und fest beteuert, dass der Herzog noch vor kurzem kerngesund gewesen sei. Erst der Einwand seiner Ratgeber, dass es dem