Herr Gars soll heiraten. Eva-Maria Landwehr

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Название Herr Gars soll heiraten
Автор произведения Eva-Maria Landwehr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742749703



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Handteller hin gedreht und drückte schmerzhaft durch Haut und Muskeln auf den Knochen. Jede andere Person hätte Anna allein durch ihren Blick zur Besinnung gebracht. Doch die Hand dieses angetrunkenen Mannes ließ sich nicht einfach so abschütteln. Nicht jetzt, nicht vor Zeugen. Hier, in diesem Zimmer, in diesem Schloss, war Kurfürstin Anna von Brandenburg nur Gast, Gast in Christians Haus, auf Christians Grund und Boden. Hier war sein Wille Gesetz.

      Also ließ sie es widerstrebend zu, dass der Kurfürst sie in eine Ecke des Zimmers dirigierte, wo er sie so herumschwang, dass die anderen Anwesenden seine lächelnde Mimik zu sehen bekamen, ihr abweisender Gesichtsausdruck aber allen Blicken verborgen blieb.

      Niemand in diesem Raum ahnte, dass der Kurfürst, bevor er aufgebrochen war, um seiner Schwägerin zur Geburt ihres Kindes zu gratulieren, bereits einige Becher Wein heruntergestürzt, sich mit schwerfälligen Schritten die Treppe heraufgequält, vor der Tür innegehalten, seine massigen, hängenden Schultern nach hinten gedrückt und mehrmals wie ein Erstickender tief Luft geholt hatte, um die Enge in Brust und Kehle zu bekämpfen. Er hatte das getan, um, wenn er durch diese Tür treten würde, überzeugend von dem Umstand abzulenken, dass er seit acht Jahren auf einen Erben wartete und dass seine von Aderlässen und Fruchtbarkeitskuren ausgelaugte und durchscheinend gewordene Frau vergeblich für die Anzeichen einer Schwangerschaft betete.

      Christian von Sachsen hatte, etwas unsicher auf den Beinen, den vor dem Geburtszimmer wachenden Lakaien erst angerempelt, dann zusammengestaucht und schließlich mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben, um die Tür schwungvoll aufzustoßen. Er war, umhüllt von einem Schwall kalter Treppenhausluft und seine kränkliche Frau Hedwig, eine Prinzessin aus dem dänischen Königshaus, im Schlepptau, in die schläfrige Atmosphäre des stickigen, überheizten Wöchnerinnenzimmers hereingeplatzt, hatte seinem Bruder anerkennend, aber recht flüchtig auf die Schulter geklopft, und war dann breit lächelnd von einem zum anderen Gast gegangen, hatte diesen umarmt, jenen mit der Faust geknufft und wieder einen anderen vertraulich am Wams gefasst.

      Fast widerwillig war er dann an die Wiege getreten, in der die zwei Wochen alte Maria Elisabeth wie eine Puppe eingewickelt lag, ein gewöhnlicher, anspruchsloser Säugling, der von seiner Amme geschaukelt wurde. Nachdem er das Neugeborene begutachtet hatte, nicht ohne flüchtig nach sichtbaren Makeln zu suchen, forderte er seine Frau, die sich, wie befürchtet, mit wässrigen Augen an dem Bündel in der Wiege festgesaugt hatte, ruppig auf, der Wöchnerin das gemeinsame Geschenk, einen Geburtsteller, zu überreichen. Immerhin, so seine unausgesprochene Bilanz, war es nur ein Mädchen. Allerdings bereits die zweite, augenscheinlich gesunde Prinzessin innerhalb eines Jahres. Da war noch einiges zu erwarten.

      Dasselbe dachte der Vater des Säuglings, Markgraf Johann Georg, der, sich seiner Zeugungsfähigkeit wohl bewusst, den aggressiven Neid des zwei Jahre älteren Bruders mit in sich gekehrter Zufriedenheit genoss. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr war ihm schon die kleine Sophie geboren worden. Auch damals kein männlicher Erbe, das nicht, aber ein kräftiger, überlebensfähiger Nachkomme.

      Johann Georg, ein weichlicher Mann mit leichtem Bauchansatz und einem Hang zu übertrieben modischer Kleidung, der das auf die günstige Gelegenheit lauernde Leben eines Zweitgeborenen führte, lehnte mit der Schulter an einer der gedrechselten Stützen des Himmelbettes und drehte seiner in die Kissen drapierten Frau den Rücken zu. Die Arme gemütlich verschränkt und ein senfgelb bestrumpftes Bein lässig überkreuzt. Um ihn herum schlängelten sich zwei seiner Jagdhunde, drängten sich an ihn, suchten winselnd seine Hände, die sie abschleckten, bevor sie sich im Kreis drehten und auf dem Boden neben seinen Füßen zusammenrollten. Bereit, sofort hellwach aufzuspringen, wenn ihr Herr seinen Standort wechseln sollte. In dieser Haltung nahm er gleichmütig die Gratulationen entgegen und verglich blitzschnell den Wert der Gaben mit dem Status und dem geschätzten Vermögen der Schenkenden. Seiner Miene nach zu urteilen, war das Ergebnis zufriedenstellend.

      „Wenn ich statt eines Mädchens ein paar Welpen geworfen hätte, würde dieser Mann mir größere Beachtung schenken. Wer weiß, vielleicht bekäme ich sogar ein paar abgenagte Knochen zugeworfen“, nörgelte seine Frau Magdalena im Flüsterton. Wenige Minuten zuvor hatte sie ihre Schwester Anna mit einem einladenden Klopfen neben sich auf die Bettkante gelockt und sich mit weinerlicher Stimme beklagt, dass sie Anna beneide, weil diese daheim in Brandenburg bereits ihre Pflicht erfüllt habe.

      „Wenn man mich nur endlich aus diesem Bett herauslassen würde.“ Magdalena zupfte mit gesenktem Blick an ihrer pelzbesetzten Bettdecke und sah verschwitzt aus. „Ich leide. Aber dieser Zerberus“, sie deutete mit dem Kinn zu ihrer Hebamme hin, „wird mich in meinem dreckigen Bettzeug verfaulen lassen. Oder verdursten“, sagte sie angriffslustig, die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchtend, „wenn meine Milch nicht endlich versiegt.“ Ihre Haut sei wie Pergament. Und sie habe die Farbe der schmutzigen Wäsche angenommen, in der sie liegen müsse. Wahrscheinlich werde sie eines Tages mitsamt den Laken abgezogen, zusammengeknüllt und in einem Waschbottich gekocht.

      Kurfürstin Anna hörte sich diese weinerlichen Ausführungen geduldig an. Auch wenn sie sich an die Beschwernisse des Wochenbettes nur noch vage erinnern konnte, empfand sie doch die Mutterschaft als solche, speziell die Erziehung ihres Sohnes, des brandenburgischen Erbprinzen, als schwere Bürde. Als lebenslangen Auftrag, den sie im Ringen mit den wenig förderlichen Widerständen, den unbeherrschten Launen und zerstörerischen Einflüssen ihres Gemahls zu erfüllen hatte. Folgerichtig wollte ihr keine tröstliche Antwort einfallen, weshalb sie nach der feuchten Hand ihrer Schwester griff und diese stumm drückte.

      „Ich weiß“, sagte sie leise und gab ihrer Schwester dann mit einer leicht deutbaren Drehung des Kopfes zu verstehen, dass es für sie Zeit wurde, den Kurfürsten zu begrüßen. „Ich muss, Magda.“

      „Warte“, konnte ihre Schwester noch lautlos mit den Lippen formen, und holte sie mit einem eindringlichen Blick zurück, als die Kurfürstin schon stand. Anna setzte sich wieder und beugte sich zu ihr hin, deutete einen Wangenkuss an und ließ sich dabei ins Ohr flüstern, dass sie auf alles vorbereitet sein solle. Seine Gnaden sei derzeit noch mehr als sonst von Gereiztheit und Streitlust befallen. Alle würden versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen, aber er führe Begegnungen, die für Beteiligte und Unbeteiligte einen eher zweifelhaften Unterhaltungswert versprachen, offenbar absichtlich herbei. Die Dienstboten würden über Ehestreitigkeiten, über sein lautes Gebrüll und über das Weinen der Kurfürstin tuscheln. Was speziell ihre Schwester betreffe: Anna wisse ja, dass Seine Gnaden mit der Entwicklung im Rheinland nicht zufrieden sei.

      Anna richtete sich auf, unentschlossen, ob es klüger sein würde, sich unter die Gäste zu mischen und dem Schwager ihrer Schwester aus dem Weg zu gehen. Aber nein, es musste sein.

      Seit dem März des vergangenen Jahres, als ihr bedauernswerter Onkel Johann Wilhelm, der Herzog von Jülich, Kleve und Berg, aus seiner schweren geistigen Umnachtung erlöst und durch einen Akt göttlicher Barmherzigkeit heimgeholt worden war, schien kaum ein Tag vergangen, an dem Kurfürstin Anna nicht von dessen Erblast verfolgt worden wäre. Johann Wilhelm hatte das größte Versäumnis zu verantworten, das einem Fürsten mit nennenswertem Einfluss unterlaufen konnte: Er war ohne einen legitimen männlichen Erben gestorben.

      Eigentlich war die Angelegenheit unzweideutig und klar. Aufgrund eines kaiserlichen Privilegs von 1546 war sie, Anna, als Tochter der ältesten Schwester des Herzogs vorrangig erbberechtigt. In seltener Eintracht hatten ihr Mann, Johann Sigismund von Brandenburg, und ihr Onkel Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihre Bevollmächtigten an den Rhein geschickt, deren Präsenz jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Erbabsichten zerstreuen sollte. Kaiser Rudolf war verständlicherweise mit diesem eigenmächtigen Vorgehen ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Und tatsächlich war wenig später schon sein Kommissar vor den Toren Jülichs gestanden, um vorerst das Regiment zu übernehmen.

      Es war vorhersehbar gewesen, dass der übergangene Kaiser jetzt seine Autorität demonstrieren musste. Er wolle den Erbfall einer Prüfung unterziehen, hatte es geheißen, und auch die Ansprüche derjenigen berücksichtigen, die sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen in die vorderste Reihe drängelten und allerlei obskure Dokumente vorlegten. Zu denen gehörte auch ihr Schwager, Christian von Sachsen, der in dieser zunehmend vergifteten Diskussion das große Wort führte und seine empörten Mitbewerber unter Einsatz aggressiver Drohgebärden