Herr Gars soll heiraten. Eva-Maria Landwehr

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Название Herr Gars soll heiraten
Автор произведения Eva-Maria Landwehr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742749703



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      Auf der Suche nach den Ursachen für die Auffälligkeit Albrecht Friedrichs haben sich die preußischen Ärzte intensiv mit den herzoglichen Ahnentafeln befasst und akribisch die Namen verhaltensauffälliger Familienmitglieder zusammengetragen. Es ist den Nachforschungen des Herrn von Birkholz zu verdanken, dass man in den Besitz einer Abschrift dieser Liste gekommen ist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Je höher man in die Verzweigungen und Verästelungen des preußischen Stammbaums klettert, desto fündiger wird man:

      Die Braunschweiger stellen das größte mental angeschlagene Kontingent. Das betrifft Anna Maria von Braunschweig-Calenberg, die Mutter des Herzogs, ihren Großvater Friedrich von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg sowie dessen Bruder Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel.

      Aber auch die Mutter und die Großmutter Anna Marias, Elisabeth von Brandenburg und Elisabeth von Dänemark, sind in dieser Liste aufgeführt. Fatalerweise scheint auch die väterliche Linie mit dem Großvater Herzog Albrechts, Friedrich II. von Brandenburg-Ansbach, betroffen.

      Selbst gesund an Leib und Seele, dürfte sich aber auch im Körper von Albrecht Friedrichs Gemahlin Maria Eleonora ein tückisches Erbe verbergen.

      Da steht in vorderster Linie ihr Bruder, Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, der als melancholisch und schwermütig bekannt gewesen ist. Bei ihm, der vor fünf Jahren kinderlos verstarb, hatte sich eine ähnliche Symptomatik wie bei seinem preußischen Amtskollegen gezeigt: schwere Melancholie, Verfolgungswahn, die ständige Angst, vergiftet zu werden. Auch bei ihm sind diese ungesunden Dispositionen aus beiden Haupttrieben des Stammbaums gespeist worden.

      Sein Großvater väterlicherseits, Johann III., hat als simples Gemüt mit einem kleinen Gehirn gegolten. Seinem Ururgroßvater, Gerhard II. von Berg und Jülich, hatte man wegen seiner psychischen Probleme die Regierungsfähigkeit abgesprochen.

      Dass Maria Eleonora von Preußens schwermütige Mutter Maria von Österreich nicht nur die Tochter Kaiser Ferdinands I., sondern auch die Enkelin Johannas, genannt ‚die Wahnsinnige‘, von Kastilien gewesen ist, bedeutet wohl nur einen weiteren passgenauen Stein in diesem Mosaik mentaler Labilität.

      Seine geistigen Gebrechen haben Seine Gnaden Albrecht Friedrich von Preußen bewiesenermaßen nicht daran gehindert, sich erfolgreich fortzupflanzen. Herzogin Anna, die Mutter von Fräulein Maria Eleonora, ist eine von fünf gesunden Töchtern. Bedenklich muss jedoch stimmen, dass die einzigen beiden männlichen Nachkommen in Preußen bereits im Säuglingsalter gestorben sind.

      Unter Berücksichtigung aller bekannten Fakten muss man also bedauerlicherweise konstatieren, dass in den brandenburgischen Hohenzollern belastetes Blut von fürstlichen Familien aus allen Himmelsrichtungen Europas zirkuliert. Nur an kommenden Generationen wird sich zeigen, wann und an welcher Stelle diese Gebrechen wieder zutage treten werden.

      Womit sich der Unterzeichnende gefälligst erlaubt, zum zweiten Punkt der gewünschten Nachforschungen zu kommen:

      Mit den Berliner Finanzen ist, das Wortspiel sei erlaubt, kein Staat zu machen. Der Kurfürst hat immense Schulden, die er anteilig von seinem Vater geerbt, in einem gerüttelten Maß aber selbst zu verantworten hat. Bei seinem Regierungsantritt haben die Stände der Kurmark das tiefe Loch von 700 000 Talern, das in der brandenburgischen Kasse klaffte, murrend aufgefüllt. Sie taten dies völlig umsonst.

      Seine Gnaden Kurfürst Johann Sigismund ist kein besonnener Wirtschafter und konfrontiert sich nur äußerst unwillig mit den Zwängen einer ökonomischen Hofhaltung. Sparsamkeit und vorausschauende Etatplanung sind seine Sache nicht, nie kommt er mit seiner jährlichen Apanage über die Runden, nie erreicht der Berliner Haushalt ein ausgeglichenes Niveau. Nichtsdestotrotz leistet sich der brandenburgische Hof einen übermäßig aufgeblähten Reisehofstaat, summa summarum 100 Personen, davon 16 Edelknaben und Kammerdiener sowie eine mehrköpfige Kanzlei.

      Mit seiner Passion für die Jagd und das Trinken gibt sich der Kurfürst standesüblichen, aber de facto nicht wirklich kostspieligen Ausschweifungen hin. Es ist vielmehr ein konsequentes ‚Über-die-eigenen-Verhältnisse-leben‘ und sein vermutlich angeborenes Talent zur Verdrängung, das ihn in unangenehme und eines Tages vielleicht ausweglose Situationen bringen wird.

      Es ist unmöglich einzuschätzen, ob es der fatalistische Sarkasmus des bekennenden Sünders oder bloß kindische Trotzhaltung ist, die ihn seine ungehemmte Prasserei in einem Brief, der unserem Verbindungmann vorlag, als schöne ordentliche und wohlbestallte Staathalterei bezeichnen ließ. Die Momente der Einsicht, in denen Seine Gnaden bereut, die Berliner Hofhaltung zu vernachlässigen und damit Betrug und Bereicherung in sein Haus geholt zu haben, sind jedenfalls rar gesät.

      Und so nimmt es nicht Wunder, dass der Unbelehrbare die Mühe scheut, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Stattdessen erschließt er alternative, leichter zugängliche Geldquellen. Aus Preußen zieht er regelmäßig Mittel ab, die Brandenburg gar nicht zustehen. Und das, obwohl man in Königsberg seine liebe Not hat, den jährlichen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Lehnsherrn Polen nachzukommen.

      Ungeniert leiht er sich Geld, bei Verwandten, bei seiner Frau, Ihrer Gnaden Kurfürstin Anna, gelegentlich sogar bei seiner Dienerschaft. Die Angst vor peinlichen Situationen scheint ihm wesensfremd, er hat ein geradezu schlafwandlerisches Talent für das Falsche im falschen Moment: Es wird kolportiert, dass der Kurfürst während der Hochzeitsfeierlichkeiten für seine älteste Tochter Anna Sophia in Braunschweig seinem Schwiegersohn Herzog Friedrich Ulrich noch während der Feierlichkeiten eine größere Summe Geldes abschwatzte.

      Trotzdem dreht sich die Schuldenspirale in Brandenburg immer weiter. Es existieren Verbindlichkeiten bei Hoflieferanten, Beamte bekommen zeitweise kein Gehalt mehr, von der drückenden Hypothek, die auf dem kurfürstlichen Grundbesitz lastet, ganz zu schweigen.

      Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Johann Sigismund aus der protestantischen Union wird ausscheiden müssen, weil er seine Beitragszahlungen nicht mehr leisten kann. Was in hohem Maße beschämend und kaum geheim zu halten sein wird.

      Äußerst Besorgnis erregend ist der schleichende Verlust der kurfürstlichen Autorität sowie die Tatsache, dass Seiner Gnaden kaum noch der nötige Respekt entgegengebracht wird: So macht man sich bei Hof offen darüber lustig, dass der drohende Notverkauf von Kleinodien aus der kurfürstlichen Schatzkammer den Kurfürsten weniger schmerzen könnte, als der bedenklich zur Neige gehende Vorrat an Rheinwein im Keller der Residenz.

      In der Hoffnung, Eurer Königlichen Hoheit dienlich und der Sache förderlich gewesen zu sein, verbleibe ich als Euer getreuer

      Oxenstierna m. p.

      Im Brandenburgischen bei Küstrin, Juli 1615

      Der investigative Aktionsradius des Agenten Hieronymus von Birkholz, eines mecklenburgischen Adeligen, erstreckte sich rund um die Ostsee. Bereits seit fünf Jahren versorgte er, unterstützt durch ein Netz von Korrespondenten, das kriegswillige Schweden mit Informationen zu Polen. Er war nicht der einzige Ausländer, der regelmäßig in Stockholm vorstellig wurde, um durch persönliche Berichterstattung den unsicheren Postweg zu vermeiden.

      Das einer ungeübten Kehle nur mühsam zu entlockende Schwedisch beherrschte er auch nach Jahren nicht gut genug, um Briefe übersetzen zu können. Aber da am Hof Französisch und Deutsch gesprochen wurde, stellte ihn das vor keine größeren Probleme.

      Dass ihn Axel Oxenstierna als ‚guten Freund‘ bezeichnete, war weniger der Gefühlslage des schwedischen Reichskanzlers geschuldet als vielmehr eine kalkulierte Anerkennung für exzellent geleistete Dienste. Birkholz wusste das und zeigte seine Verbundenheit mit seinem Patron, wie dies für seinen Berufsstand üblich war, durch die Übersendung luxuriöser Geschenke zum Jahreswechsel. Weder krankheitsbedingte Indisponiertheit noch finanzielle Engpässe konnten ihn, ehrgeizig wie er war, von diesen Loyalitätsbeweisen abhalten.

      Die Diplomatie, dachte er so manches Mal, wenn ihm nach Philosophieren zumute war, war schon ein seltsames Geschäft. Man konnte sie am besten mit einem Gewand aus kostbarer Seide vergleichen, dessen angeschmutzter Saum erst auf den zweiten Blick ins Auge fiel. Dieser Schmutz aber war schmierig