Gefahren - Abwehr. Jürgen Ruhr

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Название Gefahren - Abwehr
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742716774



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Wasser in den Nacken, aber einen Regenschirm wollte ich als in einem Auftrag befindlicher Privatdetektiv nicht tragen. Das sah einfach nicht so gut aus.

      Gisbert stand schon auf dem Bahnsteig und sah mir erwartungsvoll entgegen. Ein knallroter Schirm schützte ihn. „Guten Morgen Jonathan“, begrüßte er mich und ich war froh, dass der junge Mann den Tag nicht schon wieder mit seinen nervigen lateinischen Sprüchen begann. „Du siehst aber ziemlich nass aus. Da nützt dir dieser merkwürdige Damenhut auch nichts.“

      „Unisex“, knurrte ich. Wie kamen alle darauf, dass dies ein Damenhut sei? Gut, selbst die Verkäuferin damals beharrte darauf, dass es ein Damenhut sei. Aber hatte die Frau wirklich Ahnung davon gehabt, wovon sie redete?

      „Facta loquuntur“, grinste der Praktikant und schob auch gleich die unerwünschte Übersetzung nach: „Die Fakten sprechen, Jonathan.“

      „Dir auch einen fröhlichen guten Morgen“, bemerkte ich nur und sehnte mich danach, endlich in den Zug steigen zu können. Erneut rann ein kleiner Bach kalten Wassers meinen Rücken hinunter und ich zuckte unwillkürlich zusammen.

      „Du kannst gerne unter meinen Schirm kommen“, bot Gisbert an, trat näher und schob den Schirm halb über mich. Bevor ich ihn noch zur Seite schieben konnte, fuhr der Zug in den Bahnhof ein und ich atmete erleichtert auf.

      Die Fahrt verlief ruhig und bald schon suchten wir nach den Schließfächern.

      „Hier entlang, Jonathan“, wusste der Praktikant es wieder einmal besser und zeigte in eine bestimmte Richtung. Allerdings sagte mir mein Spürsinn, dass wir dort nie und nimmer die Schließfächer finden würden.

      „Wie kommst du denn darauf?“, seufzte ich und setzte meinen Weg fort.

      „Weil das Schild dort in die andere Richtung zeigt.“

      Ich blieb abrupt stehen. Und wirklich: Ein Hinweisschild verkündete ‚Zu den Schließfächern‘. Achselzuckend änderte ich die Richtung. Wer in aller Welt plante solch einen Bahnhof, wo sich die Schließfächer dort befanden, wo sie nicht hingehörten?

      „Vierhundertsechsundzwanzig“, beschied ich Gisbert nach einem Blick auf den Schlüssel und die dort eingestanzte Nummer. „Schau einmal, ob du das Fach finden kannst.“

      Gisbert deutete auf ein Hinweisschild vor den Gängen: „Da vorne müsste es sein.“

      Frohen Mutes schritt ich auf das Schließfach zu. Dann stutzte ich: Das Fach stand weit offen.

      „Scheiße“, murmelte ich und bemerkte im selben Moment, wie Gisbert neben mich trat.

      „Si haec ita sunt ...“, erklang es auch schon und ich trat zornig gegen ein Schließfach auf Kniehöhe.

      „Und was soll das jetzt wieder heißen?“

      „Wenn die Dinge so stehen ...“

      Ich drehte mich zu Gisbert um und sah ihm ins Gesicht: „Du mit deinen blöden Lateinsprüchen. Mach dir mal lieber Gedanken, wie es jetzt weitergehen soll. Dies war unsere einzige Spur. Und alle Bahnhöfe in anderen Städten können wir ja schlecht abklappern!“ Ich hatte mich in Rage geredet. Hier endete nun unsere Spur und wir würden jetzt unverrichteter Dinge zu Bernd zurückkehren.

      „Machen wir doch einfach, was Bernd vorgeschlagen hat“, grinste der vorlaute Praktikant und deutete auf den Schlüssel in meiner Hand.

      Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, dass Bernd irgendetwas vorgeschlagen hatte. „Was meinst du, Gisbert? Wann hat Bernd etwas ‚vorgeschlagen‘?“

      Der junge Mann seufzte und zum ersten Mal meinte ich so etwas wie leichte Resignation in seinem Gesicht erkennen zu können. Die Situation war aber auch zu vertrackt. Kein Wunder, dass dieser unerfahrene Detektivpraktikant die Flinte ins Korn werfen wollte.

      „Jonathan, hörst du denn niemals richtig zu? Bernd meinte doch, dass wir uns an einen Bahnangestellten wenden sollten, wenn sich das Schließfach nicht hier in Düsseldorf befindet. Vielleicht kann uns jemand helfen, den Schlüssel zu identifizieren. Oder uns wenigstens einen Tipp geben.“

      Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Natürlich! Bernd musste so etwas erwähnt haben, als ich noch über Curry - Erwin nachdachte.

      „Aha, jetzt erinnerst du dich?“, stichelte der Besserwisser und nur der Gedanke daran, dass er ebenfalls - so wie ich auch - ein Fan von Curry - Erwin war, ließ mich eine bissige Bemerkung herunterschlucken.

      „Gut, suchen wir einen Angestellten der Bahn“, schlug ich vor und sah mich suchend um.

      Wieder wollte der Praktikant es besser wissen: „Gehen wir zur Information vorne in der Halle. Dort wird man uns bestimmt weiterhelfen können.“

      „Genau das wollte ich eben sagen, wenn du mich einmal zu Wort kommen lassen würdest! Du scheinst mir ein wenig vorlaut zu sein.“ Es wurde Zeit, dass der Junge lernte, den Worten seines Meisters zu lauschen.

      „Guten Tag, können sie uns weiterhelfen?“ Ich blickte den Mann an der Information freundlich an und tippte mit einem Finger an die Krempe meines Hutes. Jedenfalls sollte der Finger dort landen, rutschte aber ab und bohrte sich in meine Stirn. Der Mann sah mich ablehnend an.

      „Sie wünschen?“, fragte er reserviert und blickte weiterhin auf meine Stirn. Fast schien er durch mich hindurchzusehen.

      „Ich habe hier einen Schlüssel, der gehört zu einem Schließfach.“

      „Aha.“ Er betrachtete immer noch meine Stirn. Den Finger hatte ich aber schon längst heruntergenommen.

      „Ja und jetzt wüssten wir gerne, zu welchem Schließfach er gehört.“

      „Aha.“ Sein Blick wanderte zu meiner Hand, mit der ich ihm den Schlüssel hinhielt. Ohne ein weiteres Wort griff er danach. „Vierhundertsechsundzwanzig“, meinte er dann und blickte wieder auf meine Stirn. „Schließfach vierhundertsechsundzwanzig“, wiederholte er, gab mir den Schlüssel zurück und bemerkte: „Und zeigen sie mir nie wieder einen Vogel. Sonst werde ich sie wegen Beamtenbeleidigung verklagen!“

      Damit drehte er sich um und ließ Gisbert und mich allein am leeren Schalter zurück.

      Ziemlich ratlos blickte ich meinen Gehilfen an: „Der war aber unfreundlich! Und was nun?“

      „Secundo conatus - lass mich mal machen. Wir starten einen zweiten Versuch! Warte du einfach hier.“

      Bevor mein junger Freund noch ganz ausgesprochen hatte, trat er auch schon an einen anderen Schalter und stellte sich am Ende der ziemlich langen Schlange an. Ich wartete geduldig und machte mir derweil Gedanken, wie wir das Essen bei Curry - Erwin zu etwas Besonderem machen konnten. Anstatt zur Mittagszeit dort hinzugehen, vielleicht doch eine kleine Detektiv - Lärpers Feier nach Arbeitsschluss? Würde Jennifer eventuell auch mitkommen? Ich müsste sie einfach einmal fragen. Was aber bedeutete ‚Secundo conatus‘? Das hatte mir Gisbert diesmal nicht übersetzt.

      Gut dreißig Minuten später trat er wieder zu mir und grinste zufrieden. „Na“, meinte ich, „alles secondu coratus?“

      „Secundo conatus. Das bedeutet so viel wie ‚zweiter Versuch‘ oder ‚zweite Anstrengung‘. Und die hat sich gelohnt. Wir müssen mit dem Schlüssel zum Gepäckcenter. Mit ein wenig Glück befindet sich dort der Inhalt des Schließfaches.“

      Ich sah meinen Praktikanten von der Seite an: „Warum sollte sich der Inhalt eines Schließfaches im Gepäckcenter befinden?“

      „Weil das Schließfach nach zweiundsiebzig Stunden geleert wird. Die Sachen bleiben dann vier Wochen im Gepäckcenter und wandern danach zur Fundstelle. So hat man es mir jedenfalls erklärt. Mit ein wenig Glück handelt es sich bei dem Schließfach wirklich um das von uns Gesuchte. Wenn Herr Weser am Samstag mit dem Flugzeug angekommen ist, dann sind ja mehr als zweiundsiebzig Stunden vergangen.“

      „Konnte der Mann an der Information denn nichts zu dem Schlüssel sagen? Ob er wirklich hier von Düsseldorf stammt oder so?“

      Gisbert