Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg

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Название Am Rande. Eine Bemerkung
Автор произведения Anna Lohg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742722935



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zu behalten. Mit Gebrüll wurde er zur Schlachtbank geführt, während er inständig hoffte, es möge ihm nichts schlimmes passieren. Dort stand er nun, als der auserwählte Nachschub für die verlustreiche Ostfront, als könnte ausgerechnet Edmund, wie der letzte Mann im Reich, dem Wahnwitz zum Sieg über die ganze Welt verhelfen.

      "Wer hat einen Führerschein?" Plötzlich, dort auf dem Appellplatz, bohrte sich diese Frage in sein Hirn. "Wer hat einen Führerschein?" Das Gebrüll war in seinem Kopf zu Mus geworden, frei von Verständlichkeit, bis diese Frage in sein Bewußtsein drang, klar wie der Ton einer vollendeten Glocke. Und Edmund schnellte ohne Zögern seinen rechten Arm gebieterisch empor. So stolz war er auf seinen Führerschein, dass er dort, als Soldat der Wehrmacht, in jauchiger Uniform, stramm seinen rechten Arm gen Himmel reckte, als wolle er Hitler begeistert Heil wünschen, sollte ihm diese Geste diesmal das Leben retten. Unter den gestreckten Händen wurden nur drei Mann aus den vorderen Reihen ausgesondert und genau da stand auch Edmund, zum ersten Mal in der ersten Reihe. "Austreten!" Er hatte keine Ahnung, wohin ihn dieser Austritt führen würde, doch statt im Schützengraben zu sterben, wollte er seinem Tod lieber in einem Automobil entgegen fahren.

      Das geschmiedete Glück bleibt ein Aberglaube, aber Edmund konnte sein Glück kaum glauben, als er und die beiden anderen Auserwählten zu Chauffeuren ernannt wurden, die Generäle kutschieren sollten, in stets sicherer Entfernung vom Schlachtfeld. Irgendwer muss schließlich abseits des Gemetzels die kleinen Zinnsoldaten auf einem großen Brett hin und her schieben, eine Schlacht führen, bei der namenlose Figürchen auf einem unwirklichen Gelände ihren Tod finden. Krieg ist für manche nur ein Planspiel. Und Edmund ward erkoren, solch rühmliche Spieler mit reichlich klimperndem Nippes an der Jacke, Meilen hinter der Front hin und her zu gondeln.

      Und so wurde der Krieg für Edmund zu einem unvergesslichen Abenteuer. Niemals hatte er auch nur gehofft, so viel von dieser Welt zu sehen, die es gut mit ihm meinte. Berge und Täler, Flüsse und Auen, beeindruckende Städte und andere wunderschöne Dörfer, mildes Wetter und fruchtbare Böden mit nie gesehenen Gewächsen. Wer, aus Zweiburgen, hatte vorher je Wassermelonen gesehen? Davon gekostet? Reife Wassermelonen direkt vom Feld. Wer hat sowas denn schon einmal probiert? Auf dem Weg nach Afrika rauschte der Briefträger von Zweiburgen an Küsten vorbei und sah das Meer. Dieses Meer, es war das schwarze, sollte ihn zutiefst beeindrucken, ihn, der bis dahin nur den Bach gesehen hatte. Dazu all die fremden Sprachen, die er zu hören bekam, kein einziges Wort davon konnte er verstehen, und all die herzlich netten Menschen, die ihm unterwegs begegneten. Nur ganz manchmal, von weit entfernt, hörte er Explosionen, aber Blut und Zerstörung hat er nirgends gesehen. Edmunds Krieg war ein wunderbarer Ausflug und diesen hätte er liebend gerne mit Mia geteilt.

      

      Soweit fand Mia keinen einzigen Grund zur Freude. Inzwischen war Seife längst nicht mehr knapp, es gab schlicht keine. Es war das Reich der Entbehrungen und es fühlte sich an, als würde es nicht tausend Jahre, sondern ewig währen. Drei Frauen waren in dem kleinen Haus verblieben, noch ihre Schwägerin und Edmunds gebrechliche Mutter, dazu die Kinder. In den anderen Häusern sah es ähnlich aus, kaum ein Mann irgendwo, weder in der Stube, noch auf der Straße, als hätte eine tödliche Krankheit sie dahin gerafft. Die gleiche Geschichte endlos wieder abgespult, als ließe sich die Vergangenheit durch Nachahmung überwinden, erlebte Mia die gleiche Aufführung wie ihre Mutter, die beharrlich ihr langes schwarzes Kleid trug. Da waren sie also wieder, diese Frauen, ganz auf sich gestellt organisierten sie das Patriarchat.

      Das Leben war eine einzige Einschränkung, während das Überleben von der Größe des Gartens abhing, oft genug vom Viehfutter. Immerhin, was das Stück Erde vor dem kleinen Haus hergab reichte zum durchhalten, aber mehr als eine magere Figur konnte Mia in ihrem fleckigen Spiegel nicht erkennen. Die Röcke liessen sich nur noch mit Bändern am Leib halten und ihre befransten Kleider baumelten bei dieser Flaute wie eine Fahne an der Stange. Selbst mit Stoffen zur Auswahl, sie hätte keine Freude daran gefunden, ihren dünner gewordenen Körper zu bekleiden, von dem die prachtvollen Pfunde abgefallen waren, wie reifes Obst. So nähte sie nur noch ungern oder für andere, sofern jene den Stoff mitbrachten, nunmehr meist in Form von alten Jacken, getragenen Hosen ihrer gefallenen Ehemänner, Söhne, Brüder.

      Erst jetzt, in dieser entbehrungsreichen Zeit, machten sich die Unterschiede bemerkbar, die den Unterschied ausmachen, kam es Mia so vor, als liessen jene, die in den fetten Jahren mehr abkriegen, in den mageren Jahren gar nichts mehr übrig. Da gab es diese paar Frauen im Dorf, die mussten gar nicht betteln gehen, nicht nach der Hilfe von anderen suchen, auch hatten sie unversehrte Ehemänner im Haus, die den Krieg zwar lauthals rechtfertigten, ihn jedoch nicht leibhaftig führten. Da war die Ehefrau des Fabrikanten, deren Kleider noch passten, die wie die Ehefrau vom Doktor wohlig nach einem Duftwässerchen roch oder Elfriede, die Ehefrau von Hans dem Bürgermeister, welche sogar neue Schuhe auftragen konnten. Das waren Privilegien, die deren Einfluss sichtbar machten, vielmehr aber Mias Ohnmacht. Erst jetzt, als Mia nicht einmal Freude finden konnte, sollte sie begreifen, was Luxus bedeutete, es war ihr eine Ungerechtigkeit, die sie förmlich schmerzte.

      Mia sagte nichts, biss einfach die Zähne zusammen, harrte mit verkniffenem Ausdruck aus, hoffte darauf, diese Zeit möge schnell ein Ende finden. Sie schob ihr Leben auf, wartete bis der Krieg vorüber wäre, den sie gar nicht gewollt hatte, wenigstens nicht, dass diese Veranstaltung sie so derart behelligte. Ihr Alltag versank doch inzwischen im Dreck, Seife gab es nur noch in ihren Träumen, in denen auch Edmund bald wiederkommen würde, wenn nicht er, dann wenigstens irgendein anderer, möglichst adretter Bursche. Und ja, es kamen endlich welche in das Dorf zurück, aber deren adrette Uniformen waren beschmutzt und verbraucht, so wie die Burschen darin. Dennoch gab dies Anlass zu manch harmlosem Vergnügen, da sollte sich Mia mal lustig verkleiden, mit ein paar anderen jungen Frauen die viel zu großen Uniformen überwerfen und neben den heimgekehrten Burschen für eine Fotographie posieren. Mit einem strahlenden Lachen blicken sie in die Kamera, zeigten allesamt stolz ihre Gewehre, war an jedem Ärmel das Hackenkreuz gut sichtbar drapiert, ganz unschuldig war dies wenigstens eine Ablenkung. Aber je mehr Burschen zurück kamen, mehr oder minder lebendig und immer mehr nur noch als Nachricht im Briefumschlag, desto näher rückte der Krieg. Der kam schließlich mit Bomben beladenen Flugzeugen direkt ins Dorf. Nun heulten allenthalben die Sirenen und Mia griff sich jedes Mal wie betäubt ihren Sohn Paul, den sie sowieso ständig in ihrer Nähe hielt. Mit dem Jungen auf dem Arm lief sie eilig neben einigen anderen in den Bunker.

      "Warum tun die das?", wollte sie an einem dieser Tage wissen. Dicht gedrängt kauerten sie dort in diesen Verlies unterhalb der Kahtedrale, suchten bange im spärlichen Schein der einzigen Öllampe die Mutter, die Schwester oder die Freundin, ob sie es rechtzeitig geschafft hätten. Der Pfarrer war stets als erster in diesem feuchten Unterschlupf und genauso zuverlässig sorgte er für die Beleuchtung. "Was haben wir denen denn getan?", wagte sie das eiserne Schweigen zu durchbrechen. Mia erwartete tatsächlich eine Antwort auf ihre Frage.

      Selbst durch das Erdreich drang das beißende Zischen zu ihnen vor, wenn eine Bombe fiel und draussen die Luft zerschnitt, gefolgt von einer Ewigkeit der Stille, bis sich mit einem Mal ein gewaltiger Druck entlud. Manchmal konnten sie ihn spüren, wie er ihren Körper durchfuhr, als würde er dort Spuren hinterlassen. Ihr vereintes Gebet wurde dann lauter, als könnten sie damit die Zerstörung abwenden, vielleicht vom eigenen auf ein anderes Haus umlenken.

      "Warum werfen die Bomben auf uns?", drängte Mia. Da saß sie, klammerte sich an ihren Sohn, verlangte unverdrossen von irgendwem eine vernünftige Erklärung für den Wahnsinn, als ließe sich dieser gleichsam damit bezähmen.

      "Wegen den vielen Straßen.", kam endlich eine geflüsterte Antwort aus dem Halbdunkel. Es war die Stimme einer alten Frau.

      "Straßen?", fragte Mia und verstand nicht, weil sie glaubte, Kriege folgten nur hehren Zielen, keinen banalen Gründen. Kriege würden geführt, um Reiche zu gründen, Völker aus der Unterjochung zu befreien, doch am Ende wurden bloß Dörfer bombardiert, nur weil es dort viele Straßen gab, aber schon lange keine Seife mehr. Offenbar war der Krieg nur ein einfallsloses Gemetzel, bei dem sogar hehre Ziele vernichtet wurden. "Straßen!", wiederholte Mia ernüchtert.

      "Auf einer Landkarte," setzte die Stimme wieder leise an, "sieht Zweiburgen