Der Tod des Houke Nowa. Eike Stern

Читать онлайн.
Название Der Tod des Houke Nowa
Автор произведения Eike Stern
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738065879



Скачать книгу

aus, und Larban könnte bei ihrem Lebensstil leicht etwas zustoßen.

      „Bist du ein Hauptmann gewesen?“

      „Ein einfacher Mann, aber einer, auf dessen Rat du etwas geben kannst“, wischte Decgalor seine weiteren Fragen dazu vom Tisch. „Ihr habt mir mein Schwert noch nicht zurückgegeben“, bemerkte er bei der Gelegenheit. „Ohne Schwert bin ich keine gute Leibwache. Du solltest es mir nicht länger vorenthalten.“

      „Ich trage es selbst“, sagte er. Decgalor hatte das schon lange vorher bemerkt. Da jener ihn offenbar hofierte, wollte er sehen, wie weit Hiram ihm wirklich vertraute.

      Der würgte angegriffen und spuckte übelriechenden Schleim unter den Tisch, gab ihm aber tatsächlich sein Schwert. „Auch einem Fuchs unterlaufen Fehler. Aber es ist in Ordnung, Decgalor, dass du mich daran erinnert hast. Das steht dir zu. Ich denke, du bist ein Kämpfer wie Sanherib und unser Berber.“

      Semiris wurde fast zerdrückt zwischen Houke und dem Berber und nippte befangen an ihrer Schale. Dieser Ort war ihr nicht geheuer. Von Gästen wie sie hier verkehrten, ging Gefahr aus. Die bulligen, rabenschwarzen Gesichter mit den leuchtenden weißen Augen waren ihr unheimlich, und Erinnerungen an das, was Kirsa mitunter aus ihrer Heimat erzählte, stiegen auf. Eine Geschichte um einen Hexenmeister beschäftigte sie, der mit seinen Dämonen über eine Stadt namens Llanka herrschte. Von den Schwarzen dort sagte man, sie glichen den Dämonen der Nacht.

      Fünf Nubier gesellten sich zu ihrer Runde und wurden mit einem Gelage in die Bruderschaft der Schwertfischer eingeführt. Einer war größer als der andere. Nampamos überragte selbst den Berber noch um einen Kopf und trug ein quer über die Brust gezogenes Leopardfell mit dazu passendem Köcher um den massigen Leib. Er besaß einen Bogen, so gewaltig wie er selbst und ein vier Ellen langes Schwert, bezeichnete sich als Schwertjünger der Rakshana und sprach drei Sprachen, das Altbabylonische, Punisch und die Buschsprache. Es bereicherte die Bruderschaft um einen Jünger, mit dem sich auch Decgalor ungern anlegen würde. Außer den Nubiern traten noch Tubal und Seneb bei, einer in einer staubigen Kutte, der andere ein Egypter und ausgemergelt wie ein Bettler. Hiram nahm jeden. Die meisten Ruderbänke füllten sich wieder, und was sie nach Menê trieb, war erledigt. Um in der Gunst seiner Mannschaft zu steigen, zeigte sich Hiram von seiner besten Seite. „Suteman hat offenbar seit Jahren alle Perlen, die in ihre Hände fielen, in eine Amphore geworfen“, verkündete er. „Joktan hat sie gestern gefunden.“

      Das bedeutete für Houke wie für seinen Freund, den Atlanter, 13 Perlen. Sie beschlossen, sich mit Semiris und zwei Karaffen Wein an den Rand des Palmenhains am Wasser zu setzen und ganz für sich zu feiern. Bald saß der Atlanter alleine dort und wohnte aus der Ferne dem nächtlichen Treiben im Schein der Lagerfeuer bei. Houke hätte kaum zu hoffen gewagt, sobald mit Semiris unter vier Augen zu sein und wollte sie verführen. Doch ihr war mehr nach Reden zumute. So streckte sie zwar angenehm berührt das Bein aus, während er ihr den nackten Fuß massierte, fragte aber leise, „an was glaubst du?“

      „Wie meinst du das?“

      „Ich meine: Wie stellst du dir die Götter vor?“

      Houke blickte sie an, als hätte er Spaß daran, ihr diese Frage zu beantworten. „Ich habe meinen Vater des Öfteren begleitet beim Opfergang zum Baal. Als ich ihn fragte, ob ihn das Lamm nicht dauerte, erwiderte er: Es gibt Götter oder nicht, und es ist darum nicht unklug, wenn man ihnen vorsorglich opfert. Aber das hat mich nicht überzeugen können.“

      „Ich denke, irgendwo gibt es sie doch“, widersprach Semiris. „Weißt du, es gibt Leute wie Pollugs – oder den Atlanter, und von denen geht etwas aus, das sich schwer in Worte fassen lässt. Hinterher meint so mancher wohl, wenn er mit einem besonders tatkräftigen und starken Menschen zu tun hatte - das war sicherlich Apollon, oder Hermes, der Götterbote. Die Egypter glauben ja sogar steif und fest, die Pharaonen seien lebende Götter, egal ob sie aus Fleisch und Blut sind. Und das Reich am Nil währt seit Jahrtausenden – welches Reich ist älter?“

      „Gut, wenn du so willst“, pflichtete Houke bei, „kann sich durchaus der eine oder andere hellenische Gott auf diese Welt verirrt haben.“

      Er betrachtete sie verliebt. „Mir gefällt, was der Atlanter dazu sagt. Es geht darum, mit ganzem Herzen um eine Sache zu kämpfen, dann braucht man keine Götter. Aber was soll ich tun, damit du wieder so lieb zu mir bist wie das eine Mal in Hirams Kabine?“

      Sie lachte vergnügt. „Sei so zärtlich wie du es vermagst“, flüsterte sie ihm.

      Houke versuchte es, und begriff: Semiris genoss es, begehrt zu werden. In den Pfützen des nie wirklich stillen Urwalds quakten die Frösche, während sie sich gegenseitig von den Kleidern befreiten und in die Arme fielen. Hinterher unterhielten sie sich wieder. Anfangs über einen kecken Bettler, der einmal in der kühlen Felsgruft überwinterte, die dem Haus Nowa als Keller diente, dann regte sie die Frage an, ob sie einmal Kinder haben wollten. Sie plauderten, bis der Mond verblich und zur Morgendämmerung die Frühnebel über der versandeten Bucht wallten. Gegen morgen fanden sich alle wieder am Anleger ein und Hiram berichtete seinen Leuten von einem vielversprechenden Gespräch der letzten Nacht: „Es gibt einen Händler in Menê, der gibt jedem, der ihm guten Schmuck bietet, Schwerter mit einer Stahlklinge, wie sie nur das Seevolk herzustellen vermag.“

      Nach der Beschreibung des Zuträgers gelangten Houke und Semiris mit den anderen zu einem abbruchreifen Haus aus Akazienholz, das sich an einen hohen Uferfelsen lehnte. Sanherib, der mit Hasdrubal und Hiram die Spitze ihrer Gruppe bildete, klopfte an eine verwitterte Holztür. Niemand antwortete, da trat er ein und führte sie eine kleine Treppe hinab, in ein von einer Fackel erhelltes Gewölbe unterhalb des Wohnraums. Im Schatten einer Ecke stand ein Schwarzer mit leuchtenden Augen und fragte dumpf: „Wer schickt euch?“

      „Motta“ entgegnete Hiram mit seiner meistens heiseren Stimme, und Semiris schlug das Herz bis in den Hals, ohne zu wissen, wovor sie sich eigentlich fürchtete. Da schwang im undurchschaubaren Dunkel des Raumes eine Tür auf und ein Dutzend Schwarze mit langen Schwertern brachen herein. Decgalor war mit einem Satz bei der Treppe und streckte den schwarzen Krieger, der sie versperrte, mit einem schnellen Streich nieder. Hastig nach Semiris Hand angelnd, hetzte Houke ihm nach.

      Seine Geistesgegenwart vereitelte den Anschlag auf ihr Leben. Der Sarde nutzte nämlich die Schreckenssekunde aus, spuckte sich in die Hand und griff nach der Fackel. Leise zischend wurde es stockduster. Houke erreichte mit Decgalor und Semiris das Freie und fand sich atemlos unter einem klaren Sternenteppich wieder.

      Durch den fast vollen Mond war es nicht einmal besonders dunkel, und sie erreichten außer einem allesamt die frische Luft. Hiram musste husten und verschluckte sich, während Nampamos jeden seiner Landsleute, der ihnen folgten wollte, niederhieb und beweisen konnte, was in ihm steckte.

      „Ein verdammter Hinterhalt war das“, fluchte Hasdrubal, und Decgalor setzte einem verletzten Wegelagerer das Schwert an den Kehlkopf. „Wer trachtet uns nach dem Leben?“, fuhr Hiram den Mann an und trat nach ihm.

      „Sprich, sonst bist du gleich tot“, forderte der Atlanter und drückte die Klinge gegen den Hals, bis ein Blutstropfen hervorsickerte.

      „Einer, der sich Marach nennt“, raunte der Schwarze stockend.

      Decgalor ließ ihn aufstehen und verabreichte ihm einen Tritt, woraufhin der Nubier sein Heil in der Flucht suchte.

      „Das ist ein alter Freund von Suteman“, besann sich Hasdrubal.

      „Musstest du auch in tönender Lautstärke erzählen, ich hätte Suteman das Lebenslicht ausgeblasen!“ brüllte ihn Hiram an. Dann knirschte er mit den Zähnen. Sein zorniger Blick streifte den Atlanter im Kreis. „Und du lässt ihn laufen. Weshalb?“

      „Ihm werden wir andernorts kaum wieder begegnen“, beschwichtigte der ihn.

      „Na denn“, beschloss Hiram in seiner Ohnmacht. „Ich glaube, wir haben hier keine Freunde. Fehlt eigentlich nur: gleich kommt ein Köter und pinkelt mir ans Bein. Mögen die Heuschrecken über dieses heimtückische Nest kommen! Mich zieht es zum Schiff, Leute.“