Der Tod des Houke Nowa. Eike Stern

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Название Der Tod des Houke Nowa
Автор произведения Eike Stern
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738065879



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ging, der nächsten Kaperfahrt gefasst entgegen zu sehen. Er erneuerte nur in Gedanken den Bund mit Pollugs. Pollugs war perfekt mit seiner minoischen Doppelaxt und bei seiner Geschicklichkeit so gut wie unverwundbar. Durch ihn würde er auch den nächsten Kampf überstehen. Er wünschte, es läge schon hinter ihm.

      Pollugs’ Blick fiel auf die brennende Kerze. „Das weckt Erinnerungen“, bemerkte er, „an die Kaperzüge, von denen keiner aus der Bruderschaft gerne erzählt.“

      „Du vergisst das Erz, das sich zu den Kerzen noch anfand. Das sind mindestens zwanzig Deben.“

      „Stimmt. Eisenerz ist wertvoller als Gold“, gab ihm Pollugs Recht. „Aber ich habe schon erlebt, dass wir ein Schiff geentert haben und nur einen Laderaum voll Weinfässer gewannen. Die Leute stolperten nachher mit roter Nase an Deck umher, bis Suteman anordnete, den Laderaum zu bewachen. Den Rest haben wir in Anheba verhökert - gegen zwanzig Schekel in Silber.“

      Houke und Semiris hielten sich die Bäuche vor Lachen, und Kirsa, die nicht so recht wusste, ob Lachen angebracht war, kicherte leise. Pollugs fügte hinzu: „Ein anderes Mal fanden sich zwei Hände voll Eunuchen im Laderaum. Aber Hasdrubal hat in Ugarit immerhin fünfzehn Schekel Silber dafür herausgeschlagen.“

      Houke nickte nur, denn ihm fiel wieder ein, was Suteman als nächstes plante. „Mir ist flau bei dem Gedanken an Morgen“, erklärte er.

      Pollugs betrachtete ihn einen Augenblick wie ein Vater, der sich fragt, ob sein Sohn schon selbstständig ist, und sagte, „ich habe auch ein ungutes Gefühl. Ich glaube, morgen sterbe ich.“

      Houke stand auf einmal aufrecht vor ihm in der Kammer. „Werde nicht sentimental Pollugs. Visionen sind den Priestern vorbehalten - du denkst, es könnte so sein, und hast dich da böse in etwas hineingesteigert.“

      Es kränkte ihn nicht, Pollugs lachte ihn an. „Du kannst es mir glauben – oder nicht. Was in mir vorgeht, bilde ich mir nicht ein. Es ist ein Gefühl, wie es eine Blume haben könnte, die sich schließen will.“

      „Du sprichst manchmal eine seltsame Sprache“, entgegnete Houke. Durch das tägliche Zusammensein mit Pollugs war er in den letzten Tagen aufgeblüht zu einem freieren Menschen. Durch ihn verstand er es mittlerweile meisterhaft, nach dem Blutstrich zu werfen. Machte er mit, gewann er jedenfalls meistens. Ja, sein Ansehen hatte zugenommen – nur die Beliebtheit litt. Als er zurückrechnete zu dem Tag, an dem das Schiff seines Vaters brennen musste, lag das 22 Tage zurück. Eine Stimme in seinem Hinterkopf riet ihm, nicht länger als bis Memphis dabeizubleiben. Der einzige Freund, auf den er neben Pollugs rechnen konnte, war Archaz, der Armenier. Doch was konnte er von dem erwarten? Und Larban? Der lächelte zwar wohlwollend, sahen sie sich manchmal von Ruderbank zu Ruderbank an, zeigte ihm jedoch oben eher die kalte Schulter, und Houke wurde unwohl bei der Vorstellung, Pollugs könnte wirklich etwas zustoßen.

      5. Kapitel

      Der Felsen, in dessen Schatten die Bireme vor Anker lag, leuchtete in der Vormittagssonne wie Kreide, und an den Kräutern, die hier und da an der Steilwand blühten, summten wilde Bienen. Houke hatte das langatmige Warten schon einmal durchgemacht und musste an die Kerze denken, die unterdessen in der Kammer weiterbrannte.

      Die Mädchen beobachteten verträumt die Wasserspiele einer Schar wandernder Delfine, deren elegante Spindelkörper sich spielend auf und nieder schwangen, und Pollugs erklärte ihnen; „das sind im Delta ungern gesehene Gäste. Die wollen sich in den reichen Fischgründen des Nils die Bäuche vollschlagen.“

      Houke strich über das blanke Leder, das ihn umgab. Nach dem letzten Entern entschloss er sich auf Pollugs Drängen, sich künftig vor jedem Kaperzug in den Harnisch eines Hopliten zu zwängen. Zufällig schaute er zur Flusskurve, als eben ein hoher Steven zum Vorschein kam. Er stieß Pollugs an, da rief Archaz schon aus der Mastkorbtonne: „Eine Feluke – kommt vom unteren Nil!“

      Zwei Leute holten in Windeseile den bronzebeschwerten Anker ein, das Segel entrollte sich, und Houke stürzte wie die anderen zu den Ruderbänken. Jetzt hieß es kräftig die Riemen durchziehen. Kaleb nahm schon seinen Platz vor dem Eichenblock ein und schlug den Takt. Wer wo saß, das gab die Hackordnung vor; die Besten besetzten die vorderen Bänke, um schneller beim Handgemenge mitwirken zu können. Da waren zunächst Chaqu, der Mann in flammendem Rot aus Kardesch und Tamuraz, den sie den Berber nannten. Dazu Abbin Jussuf und Karsim, beide aus Sidon, sowie Anuhlada, dessen feuchte Schulter schimmerte wie Pech. Sie und der Assyrer gehörten mit Hiram am längsten dazu und entledigten sich einst auf hoher See des ursprünglichen Eigners des Schiffes.

      Die Verfolgung dauerte nicht lange. Suteman fuhr noch einmal flüchtig mit dem Daumen über die Klinge seiner Axt und lauerte mit Hiram auf eine Gelegenheit zum Überspringen. Schon krallte sich knirschend der Enterhaken in die fremde Bordwandung, das Seil spannte sich. Hasdrubal lachte wölfisch auf. Kaum prallten die Schiffe aneinander, schwang er sich an einer gelösten Stage hinüber.

      Man hätte keinen Apfel essen können, bis die wenigen Decksleute überwältigt waren. Nur ein Gegner in Leder und einem blauen Lendenrock verblieb. Er hatte hellblondes lockiges Haar wie die Menschen des Seevolks aus dem Westen. Suteman selbst knöpfte sich ihn vor. Doch jener duckte sich flink vor dem anschwirrenden Enterbeil und war mit einem Satz bei ihm. Suteman hatte plötzlich keine rechte Hand mehr. Erstaunen stand in seinen Augen. Er hob fassungslos den Arm, doch statt einer Hand ragte ein glänzender Stumpf in die Höhe. Hellrotes Blut sprudelte heraus wie aus einer frischen Quelle, und er mahlte mit den Zähnen, während Kaleb sein Hemd in Streifen riss und damit provisorisch den Stumpf umwickelte. Schnaufend vor Schmerz schickte er Abin Jussuf, Karsim und Tamuraz gegen den Jüngling im blauen Hüftrock. Der sprang in ihre Mitte und wirbelte das Schwert schneller als Houke die Bilder registrierte. Zwei fielen mit dem Kopf voran auf die Planken. Tamuraz verlor beim Schlagabtausch sein Bronzeschwert und zog sich schleunigst zurück.

      Alle Kraft zusammennehmend drückte Suteman den Stoff gegen die offenen Adern, um nicht zu verbluten. Sein Gesicht war kalkweiß, und Pollugs kümmerte sich um ihn.

      „Komm, wir müssen zur Zerberus“, empfahl er Suteman. „Hast du Nähfaden in deinem Baldachin, um die Armbeuge sauber abzubinden?“

      Damit fiel es Hiram zu, den Fremden, dem es Suteman verdankte, irgendwie unschädlich zu machen. Auf einmal verfügte der über zwei Schwerter, und Chaqu drang auf ihn ein. Jeris der Hebräuer agierte unter dem Schellen winziger Glöckchen mit einer acht Fuß langen Peitsche, und Chaqu hieb immer verbissener zu, während aus dem Hintergrund dann und wann die Peitsche vorknallte. Dann taumelte Chaqu zurück, hielt sich den Bauch und wandte sich auf Deck, dass Houke es nicht mitansehen mochte. Im nächsten Augenblick traf es auch Jeris. Tamurazs Kurzschwert haftete in seiner Hüfte, und er brach lautlos zusammen und regte sich nicht mehr. Der Gegner war einfach zu wendig. Mit dem Ellbogen wischte er eine lange Locke aus seiner hohen Stirn, hielt nun in jeder Hand eine Klinge und erwartete breitbeinig den nächsten Angreifer. In seinen stahlblauen Augen blitzte ein gefährlich wacher Geist.

      „Was ist denn das für einer?“, fragte Hiram entgeistert die um ihn Versammelten. Der Mann, der ihnen solche Schwierigkeiten bereitete, hatte ein sauber rasiertes Gesicht, wie man es eher von Mädchen oder Kindern kennt. Sein goldenes Haar, befremend kurz geschnitten, abgesehen von einer kühnen Stirnlocke, ließ seine Züge seltsam kantig und nackt wirken.

      „Ein Phryger vielleicht oder einer von dem Seevolk aus dem Westen“, raunte Sanherib. „Aber bartlos könnte auch einer von euch so aussehen.“

      Houke wünschte, er hätte sich eben mit Pollugs in die Deckskabine verdrückt. Nur hätte das bei allen den Eindruck geweckt, er könnte an Pollugs Rockzipfel kleben. Er rieb sich fahrig die Stirn. Suteman war ihr stärkster Mann und im Handumdrehen kampfunfähig gemacht worden. Wie dieser Mann im tiefblauen Hüftrock mit zwei Schwertern hantierte, grenzte an Zauberei.

      Die anderen wechselten unschlüssig Blicke. Dann sprang ihm Anuhlada mit seiner drei Ellen langen Keule entgegen. Wieder wich der Mann aus, als sei er nicht aus Fleisch und Blut. Sein Gegenstoß erfolgte so geschwind, man nahm ihn kaum wahr. Houke sah noch den Nubier vor ihm auf die Knie stürzen