Der Tod des Houke Nowa. Eike Stern

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Название Der Tod des Houke Nowa
Автор произведения Eike Stern
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738065879



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erreicht.“

      Sein Leben lang hatte Houke die Vorzüge der Sklaverei nie in Frage gestellt. Als ob das Leben nicht ohnedies kompliziert genug wäre, überlegte er, doch es rüttelte erheblich an seinem Weltbild, und Semiris nahm gleich wieder den Faden auf. „Prodikus, dem meine Mutter gehörte, ließ mich zunächst bei meiner Mutter. Sie war damals schon auf den Tod krank und starb, ehe ich zehn war. Sie war schwindsüchtig, und noch heute sehe ich oft im Traum ihre großen, schwarzen Augen, von Schatten umflort, die der Tod schon gezeichnet hatte. Ich durfte ihr helfen, schwärmten wir zur Lese auf den Weinberg aus, und wenn die Kiepe voll wurde, dann durch mich. Oft musste ich sie stützen, und die schlechte Behandlung auf dem Feld beschleunigte den Verlauf ihrer Krankheit, ehe unser damaliger Herr ein Einsehen mit ihr hatte und sie zur Betreuung seiner greisen Mutter ins Haus abrief.“

      Houke griff verlegen nach seiner Nase, und Semiris zog ernst die Brauen hoch, um nicht von ihm unterbrochen zu werden. „Nie jammerte sie über Beschwerden und hatte doch einen Leistenbruch, der sie fast am Gehen hinderte, da ihr ganzer Unterleib mit Bandagen gewickelt war. Sie machte kein Geheimnis daraus, wie sehr sie den Tag herbeisehnte, an dem sie zu den Schatten ihrer Lieben hinabsteigen würde. Sie war fest überzeugt von einem weiteren Leben nach diesem irdischen. Ich sehe mich noch auf ihrem Schoß sitzen, unter lauter fremden, stummen Menschen an Bord eines Seglers. Ich sehe, wie wir im Licht einer feurigen Sonne am unirdisch leuchtenden Tempel von Lindos vorbeidriften, bevor in der Nähe Anker ausgeworfen werden. Und schon damals ging es mir durch den Kopf, welch seltsam widersprüchliche Früchte das Trachten der Mensch doch hervorbringt: Da fahren Schiffe, mit allem Elend des Erdkreises beladen, an weißen Tempeln auf hochragenden Felsen vorbei, und wenn in den Schiffsleibern die Elenden verrecken, opfern da oben weißgekleidete Priester vor vergoldeten Götterbildern. Damals schienen mir all die hehren Tempel zum Verderben der Armen und Elenden errichtet…“

      „Und dann starb sie?“

      „Auf dem Sklavenmarkt von Delos. Auf dem drehbaren Podest am Eingang hatten sie einige wohlgestaltete Nubier aufgebaut und bestrichen ihnen zum Zeichen, erst kürzlich aus Übersee eingetroffen, einen Fuß mit Gips. Hinterher sollten wir wie Ramschware weggehen, doch sackte sie mir dort wie vom Blitz getroffen in die Arme, ich konnte sie nicht halten. Man zog mich von ihr fort, umsonst klammerte ich mich an sie. Ich habe keine Ahnung, wo ihre Gebeine liegen.“

      Houke ahnte, wie sie damals litt und sah sie mit herabgefallenem Kiefer an. „Warum wurdet ihr verkauft?“

      „Eine Haussklavin kriegt es mit, wenn den Herrschaften die Felle wegschwimmen. Prodikos Wohlstand muss wohl den Neid eines Gottes erregt haben. Irgendwann breitete sich Mehltau über die Weinberge aus. Wir mühten uns, die kranken Rebstöcke auszumerzen, doch vergebens. Die Weinlese brachte dermaßen klägliche Ergebnisse, dass Prodikos den Weinberg hätte neu bepflanzen müssen, und dafür fehlten die Mittel. So wälzte er das Verhängnis auf seine Sklaven ab und stieg auf Schafzucht um. Alle Sklaven, bis auf zwei, kamen unter den Hammer.“

      Als Houke erschüttert nickte, sprach Semiris aus, was sie in dem Augenblick dachte. „Schade, wir werden uns wohl aus den Augen verlieren.“

      Mochte sie ihn? Bedauerte sie es wirklich?, fragte sich Houke.

      „Du sagst doch, du gehörst so wenig zu dieser Bruderschaft wie ich“, erinnerte sie ihn. Ihr Blick forderte ihn heraus. „Magst du mich, Houke?“

      Er schluckte. Die Augen streiften zur Holzdecke hinauf. Dann sah er sie freudig an. „Ja, ich mag dich, Semiris. Du hast das schönste Kinn, das eine Frau haben kann, so gerade wie ich mir das Antlitz der hellenischen Arthemis vorstelle. Deine Art zu reden erinnert mich an meine große Schwester, aber mit der habe ich mich zuletzt manchmal gestritten wie ein altes Paar. Ich glaube, mit dir geht das gar nicht.“

      Die hohe Stirn gesenkt, ließ sie auf sich einwirken, was er sagte. Es machte sie verlegen und regte ihr Herz an, schneller zu schlagen. „Weißt du warum ich dich mag? Weil ich mich in deiner Nähe stärker fühle.“ Sie strich sich das lange Haar aus den Augen. „Ich spüre, dass du mich gegen jeden verteidigen würdest. Und du hast so einen Zug um die Mundwinkel, der gefällt mir - ebenso wie deine Augen.“

      Es tat Houke gut und machte ihm Mut. „Schmeichelhaft“, seufzte er. „Schön, wenn man über die gleichen Dinge lachen muss.“

      Aber sie hatte ihm noch mehr mitzuteilen. „Ja, das finde ich auch. Gut, dann komme mit mir, wenn ich in Memphis an Land geschickt werde“, forderte sie. „Warum springst du in Memphis nicht einfach von Bord und verschwindest im Hafen? Wir könnten uns überlegen, wo wir uns wiedertreffen. Bei einem Tempel vielleicht.“

      Houke überschlug im Geiste sein Verhältnis zu Leuten wie Archaz oder Larban, der ihn immerhin aus Distanz grüßte, und dann seine Beziehung zu Hasdrubal und sagte leise: „Hasdrubal ist mir gewogen, für die beiden Ringe, die es ihm einbringt, falls wir für die nächsten Tage hier wohnen. Aber Hiram hat ein wachsames Auge auf mich. Ich glaube, er würde mir nachspringen.“

      Sie lauschte seiner Stimme und fasste, als wären sie längst Mann und Frau, enthusiastisch nach seinem Handgelenk. „Bitte lass mich nicht allein, sind wir in Memphis.“

      In dieser Sekunde begriff er, wie ernst es Semiris mit ihrem Vorsatz sein musste. Sie schob ihm die Entscheidung zu, wie wichtig es ihm war, sie nicht wieder aus den Augen zu verlieren.

      Bisher hatte er für sie eine Zuneigung gefühlt, ähnlich dem, was er für früher für Alda empfand, die ihn so oft vertröstete, oder für seine Schwestern, die ja jetzt vielleicht in Aschkelon im Garten auf der Steinbank den Abend erlebten und über ihn redeten. Mehr nicht, weil er mehr nicht zu hoffen wagte. Auf einmal wurde ihm klar, ihre Nähe gab ihm eine Wärme, die keine andere Frau ihm geben konnte. Er hatte sie nie als Sklavin gesehen, eher als Frau mit einem warmherzigen Lächeln, viel zu schön für ihn. In seinem Herzen wühlte die Befürchtung, für sie ledig der Schützling von Pollugs zu sein, und seine Schüchternheit beschwor ein Problem herauf. Beides hatte sie ihm mit ihrer plötzlichen Offenheit genommen, und es war an ihm, zu entscheiden, was er in dieser Stunde daraus machte.

      „Ja“, sagte er leise, „ich komme mit. Aber du musst Geduld aufbringen.“

      Von dem Moment an hätte Semiris ihm keine Bitte mehr abgeschlagen. Zufrieden streckte sie sich auf dem Bett aus. So dringlich war es mit der Flucht jetzt gar nicht mehr, dass man nicht das Pläne schmieden auf einen späteren Zeitpunkt verschieben könnte.

      Mit einem gelösten Schmunzeln merkte sie wie er die Hand auf ihr Knie verlagerte und das Leinenkleid nach oben schob, sodass es sich über ihrem Bauchnabel bauschte. Das Haar an ihrem Schoß war so dunkel wie das unter ihren Achseln. Semiris empfand keinerlei Scham, doch das Herz klopfte ihr wie an dem Tag, an dem sie ihre Unschuld verlor, und sie erinnerte sich der Zeit, die sie bei Nikia in Agia Photia zubrachte, im Haushalt eines alten Gutsherren auf Kreta. Dessen Berührungen hatten sie nie erregen können. Von Houkes Hand ging ein Reiz aus, unter dem sie erschauerte. Sie strich um ihre Schenkel und suchte die Lenden - und plötzlich lagen sie übereinander, küssten sich, und fühlten, wie sehr sie zusammengehörten. Niemand hörte sie seufzen in dieser Stunde, aber Semiris fühlte sich geliebt – eine ganz neue Erfahrung für sie. Lieber wäre sie gestorben, als Houke danach noch wieder aufzugeben.

      Es geschah, während Kirsa leise aber hörbar im Hintergrund schnarchte, fast wie ein zur Kabine gehörendes, kleines Kätzchen. Die erste Kerze war heruntergebrannt, es war Mitternacht, und sie lagen danach nebeneinander und starrten zur Holzdecke empor, auf der Schritte umherwanderten, weil jemand übers Deck schlich. Sehr genau ließ sich sagen, oben hatten sich einige aus der Mannschaft am Mastbaum getroffen und warfen Gegenstände wie Ringe und Steinchen nach einem fast verblichenen Strich. In ungleichen Abständen kullerte immer wieder etwas klackernd über die Decke der Kabine.

      „Um was sie wohl werfen?“, rätselte Houke und tropfte die nächste Kerze fest.

      Da klopfte es. Er nahm den Riegel ab, und Pollugs trat ein. „Diesmal geht Suteman anders vor. Sie haben sich geeinigt, das nächste Schiff, das diesen Arm des Deltas nimmt, zu kapern. Sie wollen kein Getreide, sondern Schmuck. Schmuck ist nun einmal das beste Zahlungsmittel.“

      Houke