ECHNATON. Wieland Barthelmess

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Название ECHNATON
Автор произведения Wieland Barthelmess
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053777



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ihren persönlichen Einfluss zu mehren und um darauf zu achten, dass Frauen ihnen ihre Stellung nicht streitig machen konnten. Das gesamte religiöse System Ägyptens schien ihnen zu einem bloßen Machtapparat verkommen zu sein, wie Ani mehrfach aus ihren Bemerkungen heraushören konnte. Waren nicht auch Schu und Tefnut gleichberechtigt? Die beiden ersten Götter, die der Schöpfergott Atum am Anfang allen Seins hervorgebracht hatte und die einer ohne den anderen nicht denkbar waren. So, wie Pharao und seine Große königliche Gemahlin Teje, die ebenso eine Einheit bildeten und einander in Liebe und Vertrauen zugetan waren. Ja, einige von den Priestern gern als Extremisten bezeichnete junge Hitzköpfe gingen sogar soweit, zu behaupten, dass eine große Zahl der Götter lediglich aus regionalen Interessen erfunden worden sei. Hatte doch jede Stadt Ägyptens, ja, fast ein jedes Dorf, einen eigenen Gott, von denen sich manche im Lauf der Jahrhunderte zu Reichsgöttern entwickelt hatten, die schließlich im ganzen Land verehrt wurden. Mit Erschrecken musste Ani feststellen, dass sogar eindeutig ketzerische Gedanken freimütig von den jungen Leuten diskutiert wurden. War ein jeder der zahllosen Götter letztendlich nicht nur jeweils ein Aspekt einer einzigen göttlichen Macht? Ani musste an seinen allerersten Tag bei Hofe denken, als er mit Amenhotep zum Einbalsamierungshaus fuhr, um sich von seinem Vater zu verabschieden. Amenhotep hatte ihn damals gewarnt, derartiges Gedankengut niemals außerhalb der Familie zu äußern. Und nun sah Ani die jungen, schlicht gekleideten Menschen aus den besten Familien Ägyptens, wie sie freimütig über all dies diskutierten. „Ihr Stand und ihre Herkunft schützen sie“, flüsterte ihm Amenhotep ins Ohr. „Sind es doch die Kinder, Neffen und Nichten oder Enkel und Urenkel der Oberpriester und Gaufürsten.“ Auf Anis Frage, warum dann der Pharao und seine Familie derartiges nicht öffentlich äußern dürften, antwortete Amenhotep nur knapp: „Weil Pharao die Macht hat, solche Überlegungen tatsächlich zur Wahrheit werden zu lassen. Und du wirst dir denken können, dass es Kräfte gibt, die alles daran setzen werden, dies zu verhindern. Es würde das Land in einen Bruderkrieg stürzen und auf Jahre hinaus schwächen. Noch ist es zu früh dazu. Aber Thutmosis wird dies vielleicht eines Tages ändern können.“

      Am Abend bevor Amun zum Ende des Opet-Festes wieder in seinen dunklen Tempel gesperrt wurde, wo er dann bis zum nächsten Jahr verborgen blieb, wurde bei Hofe das letzte Festmahl veranstaltet. Pharao hatte Meri-ptah an jenem Abend geladen, den Obersten Priester des Amun, der sich durch die schamlose Anhäufung von Reichtum und Macht zur grauen Eminenz des Reiches intrigiert hatte. Er stand für die konservativen Kräfte im Land und stellte für die jungen, von neuen Ideen beseelten Menschen das Feindbild schlechthin dar. Aber Pharao hatte auch Aper-El und seine Gemahlin Weria geladen, einen hochgebildeten Syrer aus Ugarit, dessen Klugheit und umfassendes Wissen er für sich zu nutzen wusste. Aper-El war als Sohn des Königs Ammistamru bereits als Kind an den Hof Pharaos gekommen, um seinen Vater zeit seines Lebens dazu zu veranlassen, sich in Wohlverhalten gegenüber dem Reich am Nil zu üben. In Aper-Els Dossier hatte Pharao das Wort Geisel irgendwann einmal eigenhändig gestrichen und durch das Wort Gast ersetzt. Erst im vergangenen Jahr hatte Pharao ihn zum Königlichen Siegelbewahrer und Schreiber ernannt, was einiges an Aufsehen verursacht hatte, da man einen Fremden in einer derart hohen Stellung voller Misstrauen betrachtete. Insbesondere da sein Name übersetzt „Diener des El“ bedeutete, der als Hauptgott der ugaritischen Religion galt und von den Adeligen seiner Heimat sogar als einziger Schöpfergott verehrt wurde. Aber gerade diese Tatsache, machte ihn bei den jungen Adeligen Ägyptens besonders beliebt.

      An jenem Abend ließ Pharao durch Rechmire verkünden, dass Aper-El sämtliche Beamte, die mit auswärtigen Dingen befasst waren, in der akkadischen Sprache und Keilschrift unterweisen solle, damit die königliche Korrespondenz mit den Fremdländern fürderhin hoffentlich ohne die üblichen Ungenauigkeiten in der Übersetzung auskommen würde. Meri-ptah wagte es tatsächlich, in aller Öffentlichkeit zu protestieren. Denn ein Fremder, der einem fremden Glauben anhing und im Namen Pharaos in fremder Sprache korrespondierte, konnte nichts anderes bedeuten als den langsamen Niedergang der ägyptischen Kultur. Habe man doch schon bei den Hyksos gesehen, wohin das führe, wenn man Fremdländischen zu viele Freiheiten gestatte. Man nimmt sie bei sich auf und irgendwann reißen sie dann die Macht an sich …

      Dieser Einwand, der teils mit heftigem Murren, teils mit beifälligem Raunen bedacht wurde, war nicht nur ein Verstoß gegen die höfische Etikette, sondern stellte einen ungeheuerlichen Affront dar. Wagte Meri-ptah es doch, den Entschluss des Guten Gottes in aller Öffentlichkeit in Frage zu stellen. Nur Tejes Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass der hochrot angelaufene Pharao nicht doch noch restlos seine Haltung verlor. Schon war er aufgestanden, blieb aber regungslos stehen, ohne ein Wort von sich zu geben. Er hatte in Tejes Augen gesehen, so hatte Ani beobachten können, und vertraute der Mahnung, die er darin sah. Teje stellte sich neben ihrem Mann auf und zeigte ein nichtssagendes Lächeln. „Der Gute Gott zieht sich nun zurück, um sich auf die Verabschiedung Amuns vorzubereiten.“ Einige junge Leute lachten frech ob der Zweideutigkeit, während Meri-ptah sich besann und der Länge nach zu Boden fiel. Er hatte es gewagt, den Guten Gott in aller Öffentlichkeit anzugreifen. Er hatte an der Richtigkeit der göttlichen Entscheidungen gezweifelt. Und er wusste nur allzu gut, dass darauf eigentlich der Tod stand. Ani konnte sehen wie Meri-ptah zitterte, als er die Hände flehentlich erhob. Doch weder Pharao noch Teje würdigten ihn eines Blickes und waren, nachdem Pharao Rechmire etwas zugeflüstert hatte, ohne sich noch einmal umzusehen gegangen. „Die Feierlichkeiten“, verkündete Rechmire hoheitsvoll, „mögen weitergehen, auch wenn Pharao nun andere Pflichten zu erfüllen hat. Zur Vervollkommnung des Abends hat Pharao bestimmt, den königlichen Siegelbewahrer und Schreiber Aper-El zum Wesir von Unterägypten zu ernennen.“ Jetzt, wo der Gute Gott nicht mehr unter ihnen war, jubelten die einen ungeniert, während die anderen zaghaft murrten. Rechmire stieß seinen Stab auf den Boden. „Die Große königliche Gemahlin Mutemwia, der Gottessohn und Thronfolger Thutmosis sowie die anderen Gottessöhne und Gottestöchter werden nun Augen und Ohren für euer Glück, aber auch für eure Sorgen und Nöte haben.“ Womit nichts anderes gemeint war, als dass die noch anwesenden Mitglieder der königlichen Familie sich nun zum Plausch unter ihre Untertanen mischten.

      Dies war eindeutig der lebhafteste der sechs Abende gewesen, dachte Ani, umgeben von lauthals miteinander diskutierenden Menschen. Einen Augenblick überlegte er, ob er dem völlig verängstigten Meri-ptah aufhelfen solle, der noch immer unbeachtet vor dem leeren Podest im Staub lag. Doch dann fiel ihm ein, dass Meri-ptah als Oberpriester des Amun es letztendlich war, der den Tod seines Vaters zu verantworten hatte. Thutmosis war inzwischen zu dem am Boden Liegenden getreten. „Wie es scheint, so hast du dich dieses Mal überschätzt, Meri-ptah“, sagte er mit kalter Stimme und stellte seinen Fuß direkt vor dessen Gesicht. „Du kannst jetzt nur noch auf Pharaos Gnade hoffen.“

      Ani wandte sich ab und ging zu Amenhotep, der bereits angeregt mit Aper-El sprach. Er kam an jener kleinen Tür für Diener vorbei, die er so häufig schon benutzt hatte, um schnell von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Jemand hatte sie offen gelassen. Und aus irgendeinem der fernen Flure hörte Ani eine Stimme brüllen: „Und ich will seinen Kopf!“ Er wusste, dass es Pharaos Stimme war.

      Aper-El war ganz erschüttert über die Vorgänge, die er ausgelöst hatte. Er war gerade einmal fünf Jahre alt gewesen, so erzählte er aufgewühlt, als er in Pharaos Obhut übergeben worden war. Und obwohl er um seine Herkunft wusste und wohl auch noch ein paar Erinnerungsfetzen an seine Kindheit hatte, fühlte er sich vollkommen als Ägypter. Weria, seine Frau, stand kreidebleich neben ihm. Sie entstammte einer der wenigen Hyksos-Familien, die nicht ermordet oder vertrieben worden waren; vielleicht weil sie zu einflussreich oder aber einfach auch nur unverzichtbar waren. Amenhotep redete freundlich auf die beiden ein, doch sie konnten sich kaum über die so unerwartete wie außergewöhnliche Ehrung durch Pharao freuen. Also stellte Amenhotep Aper-El den königlichen Schreiber und Freund des Gottessohnes Ani vor, wobei er auch nicht vergaß, dessen gegenwärtige Aufgabe zu erwähnen. „Er kann Pharaos Pläne mit dir bestätigen. Frag ihn, wenn du willst.“ Ani antwortete ungefragt und berichtete von Pharaos längst schon schriftlich festgehaltenen Entschluss, Aper-El zum Wesir zu ernennen. „Nun ist es ein wenig früher geschehen als geplant“, endete Ani. „Aber nicht weniger gerechtfertigt.“ Aper-El schien sehr erleichtert zu sein, als er dies hörte.

      Wurde sonst an solchen Abenden eigentlich immer nur berichtet, was in den einzelnen Familien während des