ECHNATON. Wieland Barthelmess

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Название ECHNATON
Автор произведения Wieland Barthelmess
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053777



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wurde. Pharao hingegen war noch immer in seinem Ornat und hatte sich lediglich von den Zeptern und der schweren Doppelkrone befreit. Ani sah ihn zum ersten Mal ohne Kopfbedeckung oder Perücke. Es war eine Weile her, dass Pharao sich den Kopf hatte rasieren lassen, so dass einige letzte verschwitzte Strähnen von seinem fast kahlen Kopf abstanden. „So, der erste Abend wäre überstanden“, seufzte er erleichtert. „Morgen geht es weiter. Dann haben wir den nächsten Empfang für die nächsten acht unserer Fürsten. Übermorgen Abend haben wir Ruhe, dann zwei weitere Tage mit Empfängen, dann wieder ein Ruhetag und zum Abschluss der Feierlichkeiten zum Opet-Fest abermals zwei Abende mit Empfängen.“ Pharao richtete sich auf. „Aber der erste Abend ist doch wunderbar gelaufen, meint ihr nicht auch?“ Er schaute fragend in die Runde und alle nickten zufrieden. „Sobald das Opet-Fest vorbei ist, werde ich mit Thutmosis und Amenhotep aufbrechen. Amenhotep werden wir unterwegs in Achmim absetzen, wo er sich dann seinen Kunst- und Architekturstudien widmen kann. Thutmosis und ich werden nach Men-nefer weiterfahren, um der Beisetzung des Apis-Stieres beizuwohnen. Die Herren aus Men-nefer haben sich offenbar kooperativ gezeigt?“

      Stolz berichtete Amenhotep von seinem Gespräch mit Huy, dem Sohn das Gaufürsten Heby von Men-nefer. „Sein Interesse ist alles was die Amun-Priester schwächen könnte, damit Men-nefer wieder an Einfluss und Macht gewinnt. Huy ist Leiter der Feste des Ptah und wollte nicht ausschließen, dass der Gott anlässlich der Beisetzung des Apis-Stieres sich in einem Orakelspruch unter den Schutz von Thutmosis zu stellen wünscht.“

      Pharao war begeistert. „Wir werden die Gelegenheit unseres Besuches in Men-nefer nutzen, um ausführlich mit ihm zu reden. Es wäre vorteilhaft, Thutmosis“, wandte er sich an seinen ältesten Sohn, „wenn du erkennen ließest, dass du als Pharao einer Rückverlegung der Hauptstadt nach Men-nefer unter gewissen Umständen nicht abgeneigt gegenüberstündest …“

      Thutmosis nickte. „Ich werde ihm schon sagen, was er hören will.“

      „Was ist mit Haremhab?“ Pharao schaute in die Runde. „Ich möchte seine Karriere unbedingt fördern, hat er doch felsenfesten Rückhalt bei seinen Soldaten.“

      „Kein Problem“, wusste Thutmosis zu berichten. „Ich hab ihm versprochen, dass er seine Truppen nach Waset mitnehmen kann. Er hat sofort zugesagt.“

      „Das klingt gut“, meinte Pharao nachdenklich. „Aber ist auf ihn auch Verlass?“

      „Davon bin ich überzeugt“.“ Amenhotep lächelte. „Er ist durch und durch Militär und weder an Innenpolitik noch an Religion interessiert. Und außerdem gibt es an seiner Loyalität dem Reich und Pharao gegenüber keinen Zweifel.“

      „Sehr schön!“ Pharao lächelte zufrieden. „Aber was ist mit seiner Mutter? Re-ne-nutet liebt ihn abgöttisch und hat schon mehrfach seine Karriere behindert, da sie ihn nicht aus Hut-nesut fortgehen sehen möchte.“

      „Ich habe ihr ins Gewissen geredet.“ Teje zupfte ihre Kalasiris zurecht. „Sie wird ihn ziehen lassen.“

      „Oh, das ist eine gute Nachricht“, freute sich Pharao und wandte sich an Eje. „Schwager, sei so gut und nimm Haremhab ein wenig unter deine Fittiche. Nach allem was ich über ihn weiß, dürfte er zu den größten Hoffnungen Anlass geben. Es wäre schade, dieses Talent ungenutzt zu lassen.“

      Einer nach dem anderen berichtete nun kurz und knapp über die geführten Gespräche. Eje konnte Pharao der ungeminderten Loyalität seines Onkels Minemhat versichern, Sit-amun wusste aufgrund ihrer Plaudereien mit den Kindern der Gaufürsten über etliche Erkenntnisse zu berichten, die Ani sich vornahm, gleich morgen in deren Dossiers nachzutragen. Er war froh, als Pharao endlich die formlose Zusammenkunft für beendet erklärte, war er doch so müde, dass ihm die Augen zuzufallen drohten. „Morgen geht es weiter“, verkündete Pharao. „Und es wird gewiss kein leichterer Tag als heute.“

      In der Tat war keiner der nun folgenden Tage leichter, auch wenn jeder zweite Abend ohne Gäste blieb. Diese Abende wurden allerdings dazu genutzt, um sich innerhalb der königlichen Familie über die neuesten Erkenntnisse auszutauschen und die politischen Vorhaben der nächsten Zeit zu besprechen. Mit staunender Bewunderung sah Ani wie Pharao ohne zu klagen oder zu murren jeden Morgen bei Sonnenaufgang seine religiösen Pflichten wahrnahm, die sich manches Mal bis weit in den Tag hinein erstreckten, nur um sich des Abends wieder seinen Gästen oder der Familie zu widmen. Die üblichen tagespolitischen Verpflichtungen mussten irgendwann zwischendurch erledigt werden, auch wenn sie selten einmal von der Art waren, dass man sie nebenbei abarbeiten konnte. Mehr als ein paar Stunden Schlaf waren Pharao selten vergönnt. Teje, Mutemwia und Eje unterstützten ihn nach Leibeskräften, ebenso wie Thutmosis und Amenhotep, ja, sogar Sit-amun und Nofretete. Doch je länger das Opet-Fest dauerte, desto müder und erschöpfter sah Pharao aus, so dass Ani ihn schließlich aufrichtig bedauerte.

      Teje hatte ihm bei einer sich bietenden Gelegenheit ihre Sorgen über den Gesundheitszustand ihres Mannes anvertraut. Er sei neuerdings oftmals sehr erschöpft und überarbeitet, was sie früher nicht von ihm kannte. Teje vermutete, dass es vor allem auf die Zahnschmerzen zurückzuführen sei, die ihn mehr und mehr plagten und ihn auch oft genug des Nachts nicht zur Ruhe kommen ließen. „Ich habe ihm immer gesagt, dass er viel zuviel Brot isst. Seine Zähne sind durch den Sand, der sich wegen des Abriebs der Mahlsteine im Mehl befindet, arg in Mitleidenschaft gezogen. Aber“, sie zuckte mit den Schultern, „er hört ja nicht auf mich. Und außerdem isst er nun einmal nichts lieber als frisch gebackenes Brot. Er lässt sogar die ausgefallensten Leckerbissen dafür liegen.“ In der Tat: Wie oft hatte Ani selbst während der nächtlichen Festmahle Pharao beobachten können, wie er genüsslich auf einem Stück Brot herumkaute, das er sich in einem unbeobachteten Moment schnell in den Mund gesteckt hatte. Seit ihm vor ein paar Jahren einer der Backenzähne gezogen worden war, mied er die Ärzte allerdings wie die Pest. „Schreib das über seine Vorliebe für Brot aber besser nicht in sein Dossier, Ani“, blinzelte Teje ihn an. „Er würde sofort wissen, wer dir dies erzählt hat. Und er mag es überhaupt nicht, wenn jemand aus der Familie etwas über ihn ausplaudert.“

      Je besser Ani den Guten Gott kannte, desto menschlicher erschien er ihm. Gleichzeitig stieg jedoch seine Hochachtung, da er erkannte, wie viel Disziplin und Selbstbeherrschung das Hohe Amt von seinem Inhaber forderte. Manchmal gar schien es ihm geradezu übermenschlich, was der Gute Gott leistete. So waren es schließlich aufrichtige Bewunderung und tief empfundener Respekt, die Ani seinem höchsten Herrn entgegenbrachte.

      Wie im Fluge waren die Tage der Feierlichkeiten vergangen. Ani glaubte, beobachtet zu haben, dass sich der neue Landmann-Stil tatsächlich ausgebreitet zu haben schien. Immer mehr vor allem junge Familienmitglieder der abendlichen Gäste erprobten sich in der neuen Schlichtheit. Manchmal gar schien es ihm, als wollten die jungen Leute gegen die althergebrachten Traditionen der Elterngeneration aufbegehren und mit ihrer betont schlichten Aufmachung ein Zeichen setzen. In Gruppen standen sie während der Bankette zusammen und diskutierten ihre neuen Gedanken. Man lehnte die ansonsten übliche Heiratspolitik rundherum ab und propagierte die Heirat aus Liebe, so, wie es Pharao mit seiner Großen königlichen Gemahlin Teje vorlebte. Hatte er sich seinerzeit doch gegen alle Widerstände durchgesetzt, um eine Frau von niederem Stand zu heiraten. In den Augen der jungen Leute war die Familie nicht mehr die Keimzelle familienpolitischer Macht, sondern ein Hort der Zuneigung und Liebe, ein Ort der Geborgenheit und des Zusammenhalts. Insbesondere die jungen, gebildeten Frauen sahen in Tejes Stellung den Beleg dafür, dass Mann und Frau einander unterstützen und nicht dominieren sollten. Sie beschworen neue Zeiten herauf, in denen Mann und Frau einander ebenbürtig sein würden und in Liebe verbunden der Familie und letztendlich auch dem Staat vorstanden. Ihre Heldinnen waren Tetischeri, die maßgeblich an der Befreiung von der Fremdherrschaft der Hyksos beteiligt gewesen war und natürlich Hatschepsut, der ruhmreiche Pharao, der Ägypten zur Blüte geführt hatte und über dessen Weiblichkeit zu sprechen bislang als unschicklich galt. Warum sollten Frauen nicht gleichberechtigt neben ihren Männern stehen, wo sie doch keineswegs dümmer oder weniger willensstark waren, so wie es von den alten konservativen Kräften noch immer gern behauptet wurde.

      In zahlreichen Gesprächen hatte Ani feststellen können, dass dieses neue Gedankengut schließlich auch vor der religiösen