Название | Von alten und neuen Bürowelten |
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Автор произведения | Maik Marten |
Жанр | Зарубежная деловая литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная деловая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752926736 |
Die Verfechter des Scientific Managements reagierten auf die neuen verhaltenswissenschaftlichen Ansätze rein pragmatisch. Wenn die menschliche Psyche ein wichtiger Faktor der Arbeitsproduktivität ist, dann sollte man menschliches Verhalten einfach mit in das Kalkül aufnehmen; es analysieren, bewerten und daraufhin entsprechende Beurteilungskriterien entwickeln.2 Das Ergebnis waren mehr oder weniger ausgeklügelte Persönlichkeitstests, die man den Arbeitgebern überreichte, um sie bei den Bewerbungsverfahren oder den regelmäßigen Mitarbeiterevaluationen anzuwenden. Mit ihrer Hilfe wollte man die Arbeiter finden, deren Persönlichkeiten am geeignetsten erschienen, die im Scientific Management begründeten Arbeitsschritte möglichst folgsam und konform auszuführen. Von einer schönen neuen Welt, in der die Arbeiter gleichberechtigt anerkannt und respektiert wurden, war man noch einige Jahre entfernt. Bevor sich die Verhaltenswissenschaften ihren Weg bahnten, überwog bei Unternehmern, Managern und Entscheidern die nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der die Gesamtrechnung vorerst nur um einige wenige, (psychologische) Determinanten erweitert wurde.
Die Bell Labs
Das Scientific Management hatte die Zusammenarbeit in den Fabriken und Verwaltungen der Unternehmen rund um die Welt definiert. Ein gnadenloser Konkurrenzkampf um Märkte und Kunden forderte von allen Markteilnehmern ähnlich harsche Rationalisierungsbemühungen. Nur wenige konnten den Zwängen entkommen: kleinere Büros und Firmen, die in geschützten Märkten mit weniger Wachstumsdruck konfrontiert wurden; dazu die staatlichen Verwaltungen und Behörden, Universitäten, freiberufliche Praxen und Kanzleien, wohlhabende Kaufleute und Immobilienbesitzer. Aber auch einige Privatunternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells oder ihrer technologischen Bedingungen eine besondere Stellung einnahmen, konnten sich den Luxus leisten, zumindest in Teilen ihrer Organisationen andere Managementpraktiken zu verfolgen. Eines dieser Unternehmen in den USA war die American Telephone & Telegraph Company, kurz AT&T. Hervorgegangen war AT&T aus der Bell Telephone Company, die im Jahr 1877 von Alexander Graham Bell gegründet wurde. AT&T war mit dem Ausbau des Fernsprechnetzes um die Jahrhundertwende zu einem riesigen Monopol herangewachsen. Mehrere Unternehmen, darunter die New England Telephone Company, Pacific Bell und Western Electric zählten zu ihrem Konglomerat. Viele Jahrzehnte hinweg war AT&T sogar die größte Telefongesellschaft der Welt.
Dieser Erfolg basierte hauptsächlich auf zwei Faktoren. Zum einen besaß AT&T Jahrzehnte lang ein vom Staat geschütztes Monopol, das dem Unternehmen eine kontinuierlich wachsende Einnahmequelle aus den Telefonabonnements amerikanischer Haushalte bescherte. Jeder Amerikaner, der ein Telefon besaß, zahlte in AT&Ts Kasse ein. Der zweite Erfolgsfaktor war ihre außerordentliche Innovationsfähigkeit. Man muss sich bewusst machen: Als man damals die Bell Telephone Company gründete, war das Telefon nur eine vage Idee einiger Erfinder und Tüftler. Alles, was es zu einem Telefonnetz brauchte: Telefonapparate, Verbindungstechnik, Relaystationen, Dispatcher, kilometerlang im Boden verlegte Kabel, Verstärker, die die Signale über weite Strecken übertragen konnten etc., musste erst noch mühsam entwickelt werden. AT&T nutzte dafür seine immensen finanziellen Ressourcen und investierte massiv in Forschung und Entwicklung. Während es sich als Mutterunternehmen um Ausbau und Betreibung des Netzes kümmerte, oblag der Tochtergesellschaft Western Electric die Entwicklung der dafür notwendigen Technologie. Und sie war darin sehr erfolgreich. Unzählige Erfindungen und Entwicklungen stammen aus ihrem Hause. Um nur einige der bedeutendsten aufzuzählen: der Transistor, der die Grundlage der heutigen Computerchips bildet; die ersten passiven und aktiven Satelliten; die Grundsätze der Informationstheorie; das Radar und Sonar; die Sendetechnik für Radio- und Fernsehapparate; die Programmiersprache Unix; das moderne Glasfaserkabel und sogar die Grundlagen unserer heutigen Mobilfunktechnologie.
Diese und viele weitere technische Erfindungen wurden binnen weniger Jahrzehnte nur von einem einzigen Unternehmen geschaffen. Undenkbar, dass so viel konzentrierte kreative Energie in den hiesigen white-collar factories entstanden sein sollte. Es musste vielmehr auf dem Verstand genialer Denker beruhen, die unter völlig anderen Arbeitsbedingungen ihren Erfindergeist ausleben konnten. Die Frage lautet: Wie sah die besondere Arbeitsumgebung bei AT&T am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aus?
Es begann in New York City, auf der West Street, im Stadtviertel Greenwich Village. Dort besaß Western Electric ein großes Gebäude. Im Inneren dehnten sich offene Hallen aus, in denen alle paar Meter mächtige Säulen die schwere Decke stützten. Auf mehreren Etagen, an langen Tischreihen, arbeiteten Männer in schwarzen Anzügen und weißen Hemden. Damals gab es noch handbetriebene Fahrstühle, mit denen man von Stockwerk zu Stockwerk gelangte. Die Mehrheit der Arbeiter waren Ingenieure. Im Laufe der Zeit kamen aber auch immer mehr theoretisch arbeitende Wissenschaftler dazu. Als den Unternehmenslenkern bewusst wurde, dass der Erfolg von AT&T mit der Entwicklung der Technologie eng verschmolzen war, gründete man 1924 ein eigenständiges Unternehmen, die Bell Telephone Laboratories Inc., kurz die Bell Labs. Man verteilte die Zuständigkeiten: Die Bell Labs sollten ausschließlich forschen und entwickeln, Western Electric würde daraufhin die neu entwickelten technischen Anlagen bauen und AT&T das Netz betreiben. Finanziert wurde das Ganze über die Einnahmen der Telefonabonnements des Mutterunternehmens. Zu Beginn stellte man den Bell Labs über 12 Millionen Dollar zur Verfügung (entspricht heute ca. 150 Millionen Dollar). Unter der neuen Firma sollten bald Hunderte von Wissenschaftlern aus der Physik, Chemie und Metallurgie in interprofessionellen Teams zusammenarbeiten. Die Bell Labs verfolgten damit einen völlig neuen Ansatz: Bis dato hatte sich die Entwicklungsarbeit von Unternehmen auf die angewandte Wissenschaft beschränkt. Man scheute die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung, wenn keine konkreten Produkte zu erwarten waren. Die Bell Labs waren das erste Industrie-Entwicklungslabor, das den Willen, den langen Atem und die Weitsicht besaß, sich eine intensive Grundlagenforschung zu leisten. Theoretische Wissenschaftler waren bei ihnen genauso gefragt und angesehen, wie Ingenieure, die an der Verwirklichung von konkreten Produkten arbeiteten. Der erste Präsident der Bell Labs, Frank Jewett, erklärte in einem Vortrag die grundlegende Idee seiner neuen Firma:
An industrial lab is merely an organization of intelligent men, presumably of creative capacity, specially trained in a knowledge of the things and methods of science, and provided with the facilities and wherewithtal to study and develop the particular industry with which they are associated. In short, modern industrial research was meant to apply science to the „common affairs“ of everyday life. It is an instrument capable of avoiding many of the mistakes of a blind cut-and-try experiment.1
Es waren Wissensarbeiter, die beauftragt wurden, an völlig neuen Ideen und Visionen zu arbeiten, statt sich nur mit der Verbesserung von bestehenden Produkten und Technologien zufriedenzugeben. Das Management erkannte, dass es dazu aber auch eines anderen Führungsstils bedurfte. Menschen zu managen, ist etwas vollkommen anderes, als Ideen zu managen. Mit dieser Einsicht nahmen die Bell Labs damals eine Sonderstellung ein. Erst viele Jahrzehnte später, als sich Innovationsfähigkeit branchenübergreifend zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil heraus kristallisierte, sollten dies auch andere Unternehmen erkennen und dem Weg der Bell Labs folgen.
Mitte der 1920er Jahre war die Mitarbeiterschaft der Bell Labs derart angewachsen, dass das alte Gebäude an der West Street drohte, aus allen Nähten zu platzen. Frank Jewett entwickelte daraufhin Pläne, einen neuen Standort aufzubauen. Vieles sprach für einen Auszug aus Manhattan in den ruhigen Vorort Murray Hill in New Jersey, der etwa 25 Meilen vor NYC liegt: Da gab es zum einen die verbesserten Testbedingungen. Die Bell Labs forschten zu jener Zeit intensiv