Название | Es ist nie zu spät... |
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Автор произведения | Thomas Herholz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753191355 |
Herr Ludwig hatte Erleichterung, lobte die charmante Ärztin und versprach, pünktlich wieder zu erscheinen: Eine gute und zügige Schmerzbehandlung war immer noch die beste Werbung für die Praxis, das hatte sie in ihrer zweijährigen Assistentenzeit vom damaligen Chef gelernt…
Die nächsten Patienten stellten Britta heute vor keine großen Herausforderungen mehr: Sie machte ihre Zahn- Gebiss- und Gingiva- Befunde, entfernte einigen Zahnstein und vergab Termine für die ein oder andere Füllung. Fehlten ein paar Zähne, regte sie prothetischen Ersatz an und versuchte dabei überzeugend, aber nicht zu drängelig zu wirken. Übers Geld sprach sie ohnehin nicht gern und delegierte solche Gespräche an die Bürohelferin, die das leidige Thema eher halbherzig anging. Immerhin stand Britta nicht als geldgierig da wie manch andere Kollegen; die Leute ließen sich von ihr meist willig behandeln, vertagten aber teurere Zuzahlungsmaßnahmen gerne auf den Sanktnimmerleins-Tag.
Britta machte sich jedenfalls keinen Stress und kümmerte sich lieber um die Einrichtung ihrer gemeinsamen Wohnung und ums Wohlergehen ihres schwarzen Dressurpferdes. Eine große Laufbox im Kieler Hoppegarten war schnell gefunden, auch die große, sonnendurchflutete Reithalle hatte sie restlos überzeugt. Gut, der billigste Stall der Stadt war das hier nicht gerade, aber dafür gab´s immer genug Stroh in der Box und Heu und Hafer im Trog und alle zwei Jahre einen neuen Hallenboden, wie die Reiter das Geläuf aus Sand und Späne nannten.
Außerdem war der Reitlehrer ein hübscher Kerl, der schon einigen Mädels auf hübsch frisierten, teuren Pferden zu hübschen Siegerschleifen auf den Turnieren der ländlichen Umgebung der Landeshauptstadt verholfen hatte; das sollte ihr auch bald gelingen…
Sein schneidiges Auftreten imponierte Britta, er ging mit Tier und Mensch ganz anders um als ihr immer schnell fahrig werdender Herbert.
Immerhin hatte der sich nach dem Schwedenecker Surf-Desaster, das er wohl als „Schuss vor den Bug“ und rechtzeitigen Weckruf betrachtete, ein überlegteres und konsequenteres Auftreten – auch im Beruf – vorgenommen.
Gleich am kommenden Montag wollte er das umsetzen. Hatte Herr Dr. Blanke vom Zahnärzteverein nicht gerade letzte Woche beim Kollegentreff erläutert, wie es gehen musste? „Abdingung“ hieß das Gebot der Stunde. Um sich nicht mit den Brosamen der Kassenabrechnung begnügen zu müssen, sollte man jede Gelegenheit nutzen, die private Gebührenordnung anzusetzen – auch und gerade bei Kassenpatienten, die ja meist mit über 90% das Gros des Klientels stellten: Kleine Optimierungen bei Material oder Optik würden doch schließlich reichen, um das Honorar glatt zu verdoppeln. Hilfreich wäre natürlich eine schriftliche Einverständniserklärung, am besten gleich beim ersten Besuch vom Patienten unterschrieben, zu den Akten zu nehmen, damit bliebe man immer auf der „sicheren Seite“.
Am Montag erschien also Herr Meier, sein unterer 7er sollte überkront werden. Der war nach langwieriger Wurzelbehandlung jetzt mehrmals abgebrochen, da hielt wirklich keine Füllung mehr. Meier hatte sich zunächst für die günstigste Variante entschieden: silbrig glänzende Hülsenkrone in Edelstahl, solide, praktisch, zweckmäßig und preiswert – Eigenanteil nach Abzug des Krankenkassenzuschusses: 85 D-Mark!
Während der Behandlung konnte Herr Meier – flach auf dem Rücken liegend und mit Absaugrohr im Mund – nicht so viel plaudern wie es sonst im Wartezimmer und im Anmeldebereich in endlosen Tiraden seine Gewohnheit war.
Das war der richtige Zeitpunkt, ihn vom Mehrwert einer voll keramikverblendeten, hochästhetisch zahnfarbenen Superkrone zu überzeugen. Mit dem vergrößernden Handspiegel demonstrierte Herbert kurz, wie ansonsten jedermann den chromblinkenden Kunstzahn hässlich funkeln sehen könnte; dabei zog er Meiers Zunge, unter der der 7er normalerweise unsichtbar verschwand, ordentlich zur Seite.
Na also, Meier nickte verdutzt und wunderte sich noch mehr, als Herbert mit einem merkwürdigen Gestänge erschien. „Die hoch abriebfeste Keramikoberfläche erfordert natürlich eine zumindest halbindividuelle Registrierung der cranio-mandibulären Situation mittels Gesichtsbogen“ flötete der etwas offenbar Fachchinesisches heraus, was Meier aber schon nicht mehr mitbekam, weil Herbert ihm flugs die Ohrhalterungen des Bogens in die Gehörgänge stopfte. „Jetzt einmal schön in diese wachsbelegte Bissgabel einbeißen, alles horizontal ausrichten – und fertig“ murmelte Herbert mehr zu sich selbst als zu dem überrumpelten Meier. „Schnell verdienter Hunderter extra“ dachte er im Stillen, wohl wissend, dass die Superregistrierung zur Herstellung einer Einzelkrone von den meisten Fachleuten für eher überflüssig gehalten wurde.
Zusammen mit dem Mehrhonorar für die Keramik und der größer werdenden Laborleistung würde Herr Meier nächste Woche gut 260 Mark mehr zahlen müssen als er vielleicht glaubte; der dicke Mercer, mit dem er immer vorfuhr, verriet doch wohl, dass er es auch konnte…
Nachdem noch die üblichen Abdrücke genommen und das Provisorium auf den Zahnstumpf gesetzt war, bedankte sich der Patient für die zügige und schmerzfreie Behandlung und versprach, in acht Tagen wie üblich pünktlich zu erscheinen.
Dann würde es sich wieder einmal auszahlen, dass Herbert eine fundierte, wenn auch manchmal als schikanös empfundene Ausbildung an der renommierten Tübinger Zahnklinik genossen hatte. Wehmütig dachte er an die spannende Zeit des klinischen Studiums zurück, das er vor gut zweieinhalb Jahren abgeschlossen hatte:
Nach dem ziemlich schwierigen Physikum, das er nur im praktischen Prothetikteil gut, ansonsten eher schwach bestanden hatte - die Paukerei in den medizinischen Grundlagen der Anatomie, Physiologie und Biochemie war nicht gerade sein Ding gewesen - hatte er sich auf die Arbeit am Patienten gefreut, die ihm liegen würde und den Kopf nicht so rauchen lassen sollte.
Sein Vater in Burgwedel hatte angeblich immer Freude am Beruf und der Arbeit mit dankbaren Patienten gehabt und ihn auch schon kleine Behandlungen unter Aufsicht machen lassen: Sogar einfache Extraktionen durfte er bei gutmütigen Patienten das ein oder andere Mal ausführen. Auch Füllungen aus Zement, Amalgam und Kunststoff hatte Herbert schon einige Male fabriziert, nachdem der Vater die Zähne gut ausgebohrt und vorbereitet hatte.
So machte ihm die Arbeit am Gummikopf, die im ersten klinischen Semester auf ihn zukam, wenig aus. Die Kunststoffzähne, die in die Kiefer des „Phantomkopfs“ eingeschraubt waren, zu präparieren, machte ihm sogar Spaß, obwohl es indirekt, mit Funzellicht und Zahnarztspiegel, gar nicht so einfach war: Wer erwischt wurde, dass er den Kunststoffkiefer oder einzelne Zähne aus dem Kopf herausschraubte, um alles schneller in der Hand zu beschleifen, wurde disqualifiziert und musste den Kurs wiederholen. Das war tatsächlich seinem Freund Diether aus der Physikums- Arbeitsgruppe passiert, mit dem sich Herbert den Kursplatz geteilt hatte.
Sie assistierten sich wechselseitig als „Helferin“ und teilten Freud und Leid. So sollte es eigentlich auch im 2.Klinischen Semester weitergehen, wo man an echte Patienten kommen sollte.
Aus dem Plan wurde nichts. Der arrogante Chef des Phantomkurses wollte ein Exempel statuieren, obwohl Diether ihm versicherte, er hätte bei dem schönen Sommerwetter nur etwas früher nach Hause gehen wollen und könnte ihm seine Fähigkeiten im indirekten Präparieren durchaus demonstrieren.
„Dann haben Sie jetzt ja viel Zeit fürs Freibad“ meinte der Professor süffisant und bat ihn, sich erst zu Beginn des nächsten Semesters wieder zu melden.
Dem geschickten Herbert blieb in diesem Semester auch ohne Schummelei genug Zeit fürs Freibad, das hatte er sich nach der Plackerei bis zum Physikum auch redlich verdient.
Im Tübinger Schwimmbad, neckaraufwärts am südwestlichen Stadtrand direkt neben dem Fluss gelegen, vergnügte sich an warmen Sommertagen jeder Student, der es sich irgendwie erlauben konnte, auch wenn es mal ziemlich eng wurde. Herbert konnte es sich erlauben, war aber nicht wenig überrascht als er eines Nachmittags aus dösender Trägheit durch ein Kitzeln am großen Zeh geweckt wurde. Er blinzelte und vor ihm stand –