Tod des Helden. Volkmar Kuhnle

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Название Tod des Helden
Автор произведения Volkmar Kuhnle
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753186979



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ich zurückkomme, werde ich dich zu meiner Königin machen“, sagte Rerik.

      „Ich will keine verdammte Königin sein, du dämlicher ...“ Deria stampfte auf und atmete dann durch. „Bin ich nicht jetzt schon deine Königin?“

      „Es tut mir leid.“ Die Worte klangen schon hohl, bevor sie seinen Mund verließen.

      Deria funkelte ihn noch einen Moment lang an, dann wirbelte sie herum, sodass ihr Zopf flog, und stapfte über die Straße davon. Diesmal folgte Rerik ihr nicht. Der Wald begann zu leuchten, und sein Blut erstarrte. Blaue Wirbel kringelten sich in die Luft. Das Laub der Bäume hing still. Nebel waberte um ihre Stämme.

      Rerik erhob sich zitternd von seinem kalten Stein. Der Wind um ihn herum sang. Das Lied schwirrte durch seine Ohren direkt hinter seine Stirn und verursachte einen stechenden Schmerz. Mit jedem Schritt wurde es lauter.

      Der Nebelschein teilte sich vor ihm und schloss sich hinter seinem Rücken. Als Rerik den Kopf wandte, konnte er weder den Hügel noch Deria erkennen, nur ein Dickicht aus Bäumen und Dunst. Das Licht strömte über ihn hinweg, ohne zu seiner Quelle zu führen. Er blinzelte langsam und schluckte die Bitternis in seinem Hals hinunter. Dann begann er seine Wanderung in den Wald der Seelen.

      Je weiter er ins Unterholz vordrang, umso dunkler wurde es. Es gab keinen Weg, aber manchmal schien es ihm, als würden die Bäume eine Gasse formen. Stille umschwebte ihn und wurde mit jedem Schritt dichter. Ein Schwarm grüner Glühwürmchen flatterte über ihn hinweg. War es schon Nacht geworden? Das Blätterdach über seinem Kopf war so dicht, dass er keinen Himmel erkennen konnte.

      Obwohl er eine geraume Weile umherirrte und seine Füße in den Schuhen schmerzten, hatte er weder Hunger noch Durst. Ein neuer Schein führte ihn auf eine Lichtung, die die Finsternis verschont hatte. Rerik näherte sich langsam und begriff, dass er nicht mehr allein war.

      Ein Mann saß an einen Baum gelehnt. Er trug ein kostbar besticktes rotes Wams. Die Haare, die ihm in die Stirn fielen, waren grau und verrieten lediglich anhand einiger Strähnen noch einen rötlichen Schimmer. Auf ihnen lag eine Krone. Golden und schlicht, bis auf die Rubinsplitter in den Zacken. Rerik ballte die Hände zu Fäusten. Seine Krone! Der Fremde trug seine Krone. Hatte irgendeine Laune des Schicksals ausgerechnet den Thronräuber in den Seelenwald verschlagen?

      Rerik hielt kurz die Luft an und starrte hinüber. Der Mann regte sich nicht. Sein Kopf war ein wenig zur Seite gesackt. Eigentlich hätte die Krone herunterfallen müssen. Doch sie tat es nicht. Rerik zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, und führte seine Hand langsam zu dem Messer an seinem Gürtel. Der Holzgriff fühlte sich viel zu kalt unter seinen schwitzenden Fingern an.

      Wenn das wirklich der Thronräuber war, dann konnte er mächtige Magie bewirken. Sobald er einen Angreifer bemerkte, würde er ihn mit Feuer vernichten. Rerik setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ein Zweig knackte unter seiner Sohle. Ein warmer Windzug streifte seine Wange.

      Rerik näherte sich mit klopfendem Herzen, ohne dass der Mann auf ihn reagierte. Erst als er direkt vor ihm stand, erkannte er, warum. Blut aus einer Wunde am Kopf verklebte seine Haare und besprenkelte das Metall der Krone. Der Schatten hatte die Verletzung von weitem verborgen. Rerik atmete aus und steckte zitternd sein Messer weg.

      Ein Toter trug seine Krone. Das Blut glänzte noch feucht und hatte die Hälfte seines Gesichtes mit Schlieren überzogen. Rerik schluckte die aufkeimende Übelkeit hinunter. Her mit der Krone! Es war seine. Vorsichtig griff er an eine der Zacken und versuchte, sie so vom Kopf des Mannes zu streifen, doch es wollte nicht gelingen. Fluchend nahm er die zweite Hand zu Hilfe und berührte versehentlich die Haut der Leiche.

      Warm. Seine Stirn war warm. Rerik zuckte zurück. Der Mann musste eben erst gestorben sein. Dann war sein Mörder womöglich noch hier.

      Über ihm raschelten Blätter. Ihre Zwischenräume offenbarten Sprengsel wie glimmende Kohlen. Die Luft lastete wie Drachenatem auf ihm. Das Messer entglitt seinen Fingern. Rerik bückte sich langsam.

      Kein Flammeninferno ging auf ihn nieder. Ein Ton wie von einer Harfensaite schwirrte über ihn hinweg. Dann bemerkte er, dass sich die Brust des Fremden kaum merklich hob und senkte.

      Rerik schluckte ein paarmal. Er bildete es sich nicht ein. Der Mann war am Leben. Wie war das möglich? Rerik lachte unwillkürlich auf. Er befand sich im Wald der Seelen und fragte sich, wie etwas möglich sein sollte? Wegen der Magie war er doch hergekommen. Rerik trat entschlossen einen Schritt vor, schnappte sich die Krone und zog sie dem Verwundeten von der Stirn. Dann wirbelte er herum und rannte.

      Er folgte einem Geflecht aus Wurzeln. Vielleicht war es ein Pfad, eigens für ihn. Vielleicht auch nicht. Seine Schuhe platschten durch Pfützen. Einige Blätter wirbelten an ihm vorbei.

      Nach einer Weile war Rerik außer Atem und das rote Funkeln mitsamt dem Verwundeten hinter ihm verschwunden. Außerdem war er noch am Leben und hatte seine Krone wieder. Rerik lachte auf. Leider noch nicht sein Königreich.

      Sie fühlte sich seltsam schwer an. Am Blut konnte es nicht liegen. Rerik drehte sie in der Hand. Es war so dunkel, dass er bis auf einen metallischen Schimmer kaum etwas erkennen konnte. Blassgrüne Lichtreflexe.

      Rerik folgte dem Schein. Dessen Quelle lag nun vor ihm am Boden und verdichtete sich nach wenigen Schritten. Dort breitete sich ein Teich aus, die Oberfläche so glatt, als bestünde sie aus Glas. Die Farbe schimmerte unter dem Wasser und nicht vom Himmel herab. Rerik näherte sich langsam, um die Krone in den matten Glanz zu tauchen. Im Wasser trieben leuchtende Schlieren, ohne die Oberfläche aufzuwühlen. Das Metall war zu schwer. Die Zacken zu lang. Das Gold summte zu heiß. Wann hatte es jemals gesummt? Das konnte nicht sein.

      „Ahh“, sagte Rerik in die Stille des Waldes hinein. Es war nicht seine Krone. Seine war eine Nachbildung anhand eines Porträts des legendären Karyan, weil die echte verschollen war. Auf diesem Bild blickte ein jüngerer Mann über den Betrachter hinweg, aber er mochte zwanzig Jahre später vielleicht so aussehen wie der Verwundete.

      Der Wald der Seelen. Rerik nickte. Die Magie war hier anders. Bot Möglichkeiten. Es war sogar möglich, eine Legende zu erwecken und sein Königreich zurückzugewinnen.

      Rerik drehte den Metallreif in den Händen. Als erster seit gut fünfhundert Jahren vermutlich. Das Blut war fast trocken. Der Teich leuchtete heller. Oder war es nur Einbildung? Rerik senkte die Krone hinab zur Oberfläche, und die Luft schwirrte wieder. Der Harfenton. Er war noch nie angenehm gewesen. Hinter ihm lag irgendwo der sterbende Körper des legendären Königs, dem er seine Krone gestohlen hatte. Musste er zurück?

      Das Wasser schwappte über das Gold und spülte das ganze Blut herunter. Ein roter Faden trieb in die Tiefe und verwirbelte zu einem Strudel. Andere Farben flossen hinein und vermengten sich zu einem unruhigen Bild.

      Dann lag die Oberfläche des Teichs wieder still. Das Gesicht, das sich darin spiegelte, war nicht das von Rerik. Es gehörte dem Verwundeten. Vermutlich. Blass, aber nicht totenbleich. Die Haare kupferfarben und nicht von Blut verklebt, sondern ordentlich gekämmt. Die Haut glatt, die Augen hellwach. Vielleicht war es der grüne Schleier der Wasseroberfläche, der sie so grell erscheinen ließ. Rerik wandte einen Moment lang das Gesicht ab und sah, dass der Schein des Teiches auch die umliegenden Bäume erfasste. Funken wirbelten durch die Luft. Vielleicht waren es Glühwürmchen. Rerik warf die Krone ins Gras.

      „Interessant.“ Die Lippen des Mannes bewegten sich, aber seine Stimme schien von überall her zu kommen und drang durch Reriks Kopf hindurch bis in seine Brust hinab.

      „Karyan?“, fragte er.

      Die Lippen des Mannes kräuselten sich. „Keine Ahnung. Ich bin eben erwacht.“

      „Du bist nur ein Geist“, stellte Rerik fest. Das grüne Licht drückte auf seine Schultern. „Ich dachte, du wärst real.“

      „Geister sind also nicht real.“ Karyan blinzelte langsam und schirmte damit für einen Moment das stechende Grün seiner Augen vor Rerik ab.

      Rerik holte tief Luft. „Es ist-“

      Spritzer schossen aus dem Wasser