Juma. Ralf Lothar Knop

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Название Juma
Автор произведения Ralf Lothar Knop
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753191225



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als was sich regt und wegt in seinem Herzen.‘ Ich glaube, das ist etwas völlig anderes als der Unsinn, den Sie da zitiert haben.“

      „Mein lieber Herr Augustinus, das soll für heute genügen, wir sehen uns in einer Woche wieder. Friedrich Nietzsche ist ein Zeitgenosse von Karl Marx, ich möchte Sie bitten bis zur nächsten Woche dessen Schrift ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ zu lesen. Leben Sie wohl!“

      „Ich weiß weder, was ich mit Karl Marx zu tun habe, noch mit Friedrich Nietzsche, aber wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich diese Schrift lesen. Leben Sie wohl, mein lieber Jung!“

      Unmittelbar nach der Therapiestunde flog Karl alias Augustinus von Zürich nach London zurück, wo er in der Campden Hill Road in der Nähe von Holland Park eine Wohnung hatte. Da er die überfüllten Londoner U-Bahnen hasste, nahm er sich am Flughafen Heathrow ein Taxi zur Hyde Park Corner, von dort schlenderte er durch den Green Park zum Buckingham Palace, wo er jedoch von den vielen Touristen genervt wurde, die auf den Palace schauten, als würden sie von dort ihre Erlösung erwarten. Deshalb ging er weiter durch den St. James’s Park, wo er sich bei dem sonnigen Wetter für eine Weile auf eine Bank setzte und auf den St. James’s Park Lake schaute.

      Anschließend ging er weiter zur Westminster Abbey, da er ein kurzes Gebet sprechen wollte, doch leider war der Eingang von der Polizei abgesperrt, weil mal wieder irgendein ausländischer Politiker unbedingt diese Abbey besichtigen musste, deshalb ging er weiter hinüber zu den Houses of Parliament, wo er eine Weile stehen blieb und sich vorstellte, welche wichtigen Entscheidungen in diesem Haus getroffen wurden, von hier ging er durch die Downing Street zurück zum St. James’s Park, am Buckingham Palace vorbei durch den Green Park, den Hyde Park, Kensington Gardens und durch die Holland Street schließlich zu seiner Wohnung in der Campden Hill Road, wo er sich vollkommen erschöpft erst einmal auf sein Bett fallen ließ und sofort einschlief.

      Als er mitten in der Nacht wieder aufwachte, musste er sich zunächst einmal orientieren, indem er die Ereignisse des vergangenen Tages noch einmal im Geiste durchlief. Dieser Carl Gustav Jung war schon ein sehr merkwürdiger Vogel, aber sein Freund Friedrich hatte ihn in den höchsten Tönen gelobt, er sollte angeblich eine anerkannte Kapazität sein, die einen völlig neuen Zugang zur menschlichen Seele gefunden habe. Trotzdem wusste Karl, alias Augustinus, nicht, ob er die Therapie fortsetzen sollte, da er sich eigentlich vollkommen gesund fühlte, es waren ja die anderen Menschen, die ihm diese Therapie empfohlen hatten.

      Er konnte es zwar nicht leugnen, dass er immer noch nicht die Beziehung zu seiner Mama verarbeitet hatte, doch das war schließlich keine Krankheit. Einerseits liebte er seine Mama Monnica und er war ihr außerordentlich dankbar, weil sie sich ihr ganzes Leben lang um ihn gekümmert hatte. War sie es doch, die ihn aus der Irrlehre des Manichäismus befreit hatte und sie hatte auch in den Jahren seines lasterhaften Lebens zu ihm gehalten, obwohl es ihr so manches Mal die Tränen in die Augen getrieben hatte, wenn sie sah, dass sein einstiges Leben von Diebstählen, Lügen und vor allem der Raserei der Lust geprägt war.

      Sie hatte es wirklich nicht verdient, dass er sie so kläglich hinterging, als er ohne sie nach Rom abreisen wollte. Da sie ihn einfach nicht loslassen wollte, hat er sie getäuscht und belogen und fuhr heimlich in der Nacht fort und am nächsten Morgen stand sie fassungslos vor Schmerz mit Klagen und Seufzen an der Küste, denn sie hing ja nach Art der Mütter an ihrem Beisammensein mit ihm und trotz seiner Falschheit und Grausamkeit betete sie wieder für ihren Sohn. Liebesstark im Glauben ist sie Gott sei Dank dann später jedoch, als er schon in Mailand war, mit seinem Bruder nachgekommen und sie waren wieder vereint.

      Im Gegensatz zu Karl alias Augustinus, der in seinen frühen Jahren dem Alkohol sehr zugetan war und dem das Loblied der Nüchternheit genauso zum Ekel war, wie der wassergemischte Trunk dem Säufer, hatte bei seiner Mama die Trunksucht keinerlei Macht über ihren Geist.

      Andererseits hatte seine Mama dafür gesorgt, dass die Beziehung zu seiner über alles geliebten Aemilia beendet wurde, wodurch auch seinem Sohn Adeodatus die Mutter genommen wurde und das konnte er ihr auf keinen Fall verzeihen. Die Wunde, die die Trennung von der Geliebten geschlagen hatte, wollte nicht heilen und schmerzte noch lange, weshalb er sich auch sogleich nach der Trennung als ein Sklave der Lust einer anderen Frau hingab, um die Sucht seiner kranken Seele nicht nur zu befriedigen, sondern sie in üppigen Orgien bis zur Ekstase zu steigern, wodurch sich der wühlende Schmerz über den Verlust der Geliebten von einer Entzündung in Fäulnis verwandelte.

      Fressen, Saufen und Huren, das war sein Leben, er konnte sich gar nicht erinnern, mit wie vielen Frauen er es getrieben hatte, selbst als er schon mit seiner Geliebten Aemilia zusammen war, hatte er immer wieder Beziehungen zu anderen Frauen gehabt. Aber selbst mit Aemilia war er ja nicht verheiratet, da sie für ihn nicht standesgemäß war; er lebte also mit ihr in einer unzüchtigen Beziehung. Karl, alias Augustinus, war froh, dass seine Mutter seine Bekehrung noch erleben durfte, andererseits war er sehr traurig, dass sie viel zu früh gestorben war.

      Aber es war keine Frage, ohne seine Mama wäre sein Leben vollkommen anders verlaufen, obwohl der eigentliche Wendepunkt in seinem Leben einen anderen Grund hatte, den er wohl niemals vergessen wird, diese Kinderstimme, die ihm immer und immer wieder sagte: Tolle, lege! Und was las er dann in der Heiligen Schrift:

       Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.

      Karl alias Augustinus wunderte sich doch sehr über all diese Gedanken, weshalb er den übrigen Teil der Nacht wach auf seinem Bett liegen blieb. Er stellte fest, dass all diese Bilder in seinem Gedächtnis noch sehr lebendig waren und sie in ihm immer noch ein außerordentliches Wohlgefallen verursachten, besonders im Schlaf konnten diese Bilder ihm Gefühle vermitteln, derer er im wachen Zustand nicht fähig war. Dann fragte er sich: „Bin ich dann nicht ich? Wahrhaftig solch ein Unterschied ist zwischen mir und mir, dass die gesehene Wirklichkeit mir vollkommen gefühllos erscheint.“

      Am nächsten Morgen machte er sich gleich nach dem Frühstück an die Lektüre von ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ von Friedrich Nietzsche und er stellte natürlich sehr schnell fest, dass Carl ihn mit dieser Schrift offensichtlich nur provozieren wollte. Da behauptet zum Beispiel dieser Nietzsche, dass ‚der starke Glaube nur seine Stärke, nicht die Wahrheit des Geglaubten beweist‘. Einen solchen Unsinn konnte doch nur jemand schreiben, der die Gaben des Heiligen Geistes nicht empfangen hatte.

      Es wurde jedoch noch grotesker, wenn Nietzsche aussagt, dass der Glaube daran, dass ein Gott das Schicksal der Welt bestimme, längst nicht mehr existiere und dass deshalb ‚die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Welt umspannende Ziele stellen‘ müsse. Mehr noch, er behauptet sogar, dass möglicherweise im Interesse der Bedürfnisse der Menschheit ‚unter Umständen sogar böse Aufgaben zu stellen‘ seien. Was war das nur für ein verderbter Mensch, der solche Lügen und Irrtümer in die Welt setzte. Man musste sich wirklich fragen, ob solche Frechheiten wirklich verbreitet werden durften. Er selbst hatte ja persönlich ein Erweckungserlebnis gehabt und nur durch die Kraft seines Glaubens konnte er sein liederliches, sündhaftes Leben beenden und zu einem gottgefälligen Leben übergehen.

      Schließlich kommt jedoch noch der absolute Höhepunkt in den Ausführungen von Nietzsche, wenn er dazu auffordert, alle Vorstellungen über ‚die christliche Seelennot, das Seufzen über die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil‘ zu vernichten, weil es sich hier um Vorstellungen handle, die auf Irrtümern der Vernunft beruhen. Wie konnte er nur jemals behaupten, dass der ‚Glaube an Wert und Würdigkeit des Lebens‘ ausschließlich auf unreinem Denken beruhe und dass ‚das Mitgefühl für das allgemeine Leben und Leiden der Menschheit sehr schwach im Individuum entwickelt‘ sei. Auch hier konnte Karl, alias Augustinus, aus voller Überzeugung sagen, dass es genau umgekehrt sei, nämlich dass das Denken dieses Herrn Nietzsche sehr schwach entwickelt sei.

      Selbstverständlich ist es auch vollkommen falsch, dass der junge Mensch sich gerne der Metaphysik zuwende, weil er durch sie die Möglichkeit habe, in den Dingen, die er an sich selbst missbilligt, „das innerste Welträtsel oder Weltelend“ zu erkennen. Es war einfach falsch, dass der Mensch auch durch