erlebt als sonst in einem ganzen Monat. Ach was. In einem ganzen Jahr. Mächtig stolz auf sich, dass alles so reibungslos geklappt hatte, war sie auf jeden Fall. Schließlich hatte sie sich vor ihren Eltern verstecken und an zwei Wachen des Hofes vorbei schleichen können. Und da sage mal noch jemand, sie sei zu nichts fähig. Nun musste sie sich aber umziehen und etwas sauber machen. Ihre Eltern erwarteten sie nämlich gleich schon zum Abendessen. Sie sollten auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Also wusch sie sich den Dreck vom Körper, kämmte ihr Haar gründlich durch und zog sich das blaue Kleid an, das sie am Morgen getragen hatte. Prüfend schaute sie sich im Spiegel an, ob sie auch ja keinen verräterischen Fleck vergessen hatte und der Verband an ihrem Kopf auch richtig saß. Schnell rückte sie ihn noch einmal zurecht, auch wenn sie ihn eigentlich gar nicht mehr gebraucht hätte. Aber zur Tarnung musste sie ihn tragen. Und das genau an der Stelle, an der die Wunde gewesen war. Nun machte sie sich auf den Weg zum Speisesaal, wobei sie, beabsichtigt laut, die Tür ihrer Gemächer aufwarf, damit die Wache sie auch ja bemerken würde. Erschrocken zuckte der Mann zusammen und verbeugte sich hastig vor Max, als diese auf den Flur heraus getreten kam. Schlapp ließ sie ihre Schultern hängen und setzte ein müdes, wehleidiges Gesicht auf, während sie keine weitere Notiz von der Wache nahm, die seinen Posten verließ, um Max zu begleiten. Scheinbar kaufte der Mann ihr das gespielte Leid ab, wenn man den besorgten Blicken Glauben schenkte, die er ihr ab und zu zuwarf. Max gab sich auch alle Mühe, man sollte ihr ja auch bloß nicht anmerken, wie gut es ihr eigentlich wieder ging. Schließlich wollte sie nicht auffliegen und am Ende noch mehr Arbeit aufgebrummt bekommen, als sie es sonst, unter normalen Umständen, gehabt hätte. Seufzend betrat sie den Speisesaal, als sie diesen erreicht hatte, um ihrer Rolle der Verletzten noch einmal mehr Ausdruck zu verleihen und hoffte, dass sie es trotzdem aber nicht übertriebe. Ihre Eltern saßen schon am Tisch, der wieder einmal reich gedeckt war, so dass man von der hölzernen Platte kaum noch etwas sah. „Oh Max. Ich hatte gehofft du würdest zum Abendessen herkommen. Wie geht es dir?“, begrüßte Isabella sie gleich mit ihrer manchmal etwas überfürsorglichen Art. „Bisschen besser“, antwortete Max träge und setzte sich auf den Stuhl, der für sie vorgesehen war. Schnaufend nahm sie erst mal einen Schluck aus ihrem Becher, da sie von ihrem Ausflug ziemlichen Durst hatte. Schließlich hatte sie zuletzt etwas zum Frühstück getrunken, was ja schon eine Weile her gewesen war. Trotzdem riss sie sich zusammen nicht zu hastig zu trinken, da auch dies sie zum einen hätte verraten können, aber es sich zum anderen für eine Prinzessin auch nicht geziemte „Was hast du denn heute alles schönes gemacht“, fragte ihr Vater Don, der sich eines der duftenden Brötchen nahm. „Ich habe mich ausgeruht und gelesen. Nichts Spannendes“, antwortete sie seufzend und nahm sich ebenso eines der Brötchen. „Morgen werde ich wohl auch nicht viel mehr machen“, ergänzte sie und schnitt das Brötchen auf. „Oh je. Dir scheint es wirklich nicht gut zu gehen“, stellte Isabella zu Maxillias Zufriedenheit fest und strich ihrer Tochter über den Arm. „Ja, das geht es mir wirklich nicht“, log Max, die innerlich regelrecht grinste. „Was hast du denn gelesen?“, wollte Isabella wissen und brachte ihre Tochter unbewusst in die Bredouille. Zum Glück verschaffte ihr der Bissen in ihrem Mund einen kurzen Moment zum Nachdenken. Angestrengt überlegte sie und kaute absichtlich besonders lange, um sich ein wenig mehr Zeit zu verschaffen. Was sollte sie nur antworten? Sie hatte sich nicht einmal die Titel der Bücher angesehen, die die Wache ihr auf ihre Gemächer gebracht hatte. Leider fiel ihr auch kein Titel ein, den sie schon einmal gelesen hatte. Das letzte Mal, dass sie einen Roman oder ein anderes Buch gelesen hatte, das nicht relevant für den Unterricht gewesen war, war schon ewig her. Auf jeden Fall war zu viel Zeit verstrichen, um sich noch an die Handlung oder gar an den Namen erinnern zu können. Vielleicht könnte sie es ja ausnutzen und die Frage als Vorlage missbrauchen, um das Thema auf die Rekruten zu lenken. Irgendwie musste sie ihren Eltern sowieso ihren Wunsch unterbreiten, dass die Rekruten mehr Freizeit bekämen und eine Erklärung dazu liefern, die nicht der Wahrheit entsprach. Sie konnte ja schlecht von ihrem Ausflug erzählen und von der Frau, der sie dazu noch ein Versprechen gegeben hatte. „Ich habe eine recht dramatische Geschichte gelesen, die mich zum Nachdenken angeregt hat“, begann Maxillia vorsichtig und wartete einen kurzen Moment ab, um die Reaktion ihrer Eltern war zu nehmen. Verwundert sahen diese zu ihr auf und runzelten die Stirn. Sie wussten, dass Maxillia keine Dramen leiden konnte und solche Geschichten lieber immer gemieden hatte. „Es war die Geschichte eines jungen Mannes, der sich hat rekrutieren lassen. Er ist von seiner Familie fortgegangen und hat sie nie wiedergesehen. Die Eltern wurden krank und starben, weil der Kummer sie zerfressen hatte. Als der Rekrut das erfuhr, bekam er ein so schlechtes Gewissen, dass er sich selbst das Leben nahm“, dachte Maxillia es sich spontan aus, der ihre blühende Fantasie dabei zugutekam. Sie hoffte mit dieser zugespitzten Dramatik die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen mit ihrem Vorschlag durchzukommen, den sie ihren Eltern unterbreiten musste. Denn nur so hatte sie den Hauch einer Chance der Frau aus der Schmiede helfen zu können. „Das ist ja furchtbar. Von der Geschichte habe ich aber noch nie etwas gehört“, wunderte Isabella sich räuspernd, der scheinbar ein Krümel im Hals stecken geblieben war. „Ja. Das ist es. Mich hat das so an unsere Rekruten erinnert, die nicht mal in ihrer freien Zeit das Burggelände verlassen dürfen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Familien vom Kummer zerfressen sind. Ich habe jetzt ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich an die jungen Männer und Frauen denke, die ihre Familien für uns verlassen haben“, bohrte Maxillia weiter darauf herum. „Wo hast du denn nur eine solche Geschichte gefunden?“, wollte Don nun wissen, den das Ganze ein wenig an sich selbst erinnerte. Schließlich hatte auch er sich rekrutieren lassen und seine Familie in viel Kummer gestürzt. „Die Wache vor meinen Gemächern hatte die Bücher geholt. Er meinte er habe einfach irgendwelche Bücher aus den Regalen genommen und nicht ganz darauf geachtet was in ihnen steht“, antwortete Max in der Halbwahrheit. Mit gerunzelter Stirn nahm ihr Vater das so hin, schien ihr aber nicht zu hundert Prozent zu glauben. Doch jetzt durfte sie sich nicht beirren lassen und musste an ihrer Geschichte festhalten. Schließlich würde sie noch unglaubwürdiger werden, wenn sie sich selbst widerspräche. „Ich finde wir sollten den Rekruten mehr Freizeit geben. So viel, dass sie ab und zu ihre Familien besuchen können. Ich möchte nicht, dass so etwas wirklich irgendwann passiert. Wer weiß. Vielleicht ist es auch schon geschehen, ohne dass wir das so genau wissen. Ich kann mir das ehrlich gesagt sogar vorstellen, wenn ich daran denke, wie es Oma damals ging, als du dich hast rekrutieren lassen, Papa“, schlug Maxillia vor, die auf eine positive Reaktion hoffte, sich aber sehr weit in verbotenes Terrain begeben hatte. Das Thema war nämlich auch nach so vielen Jahren ihrem Vater gegenüber eigentlich tabu und brachte die Gefahr großen Zorns mit sich. Aber sie hatte irgendwie nicht viele Möglichkeiten das Thema sonst auf eine richtige Bahn zu bringen und musste so das Risiko eingehen. Es gab nun zwei Möglichkeiten der Reaktion. Die eine war Einsicht und Begeisterung über diese Idee, die andere jedoch furchtbaren Ärger. Dabei war letzteres doch deutlich wahrscheinlicher. Aber das musste sie jetzt in Kauf nehmen. „Was soll das, Max?“, fragte Don, dessen Miene sich verdunkelte. Erschrocken wich sie unwillkürlich zurück, auch wenn sie eigentlich schon darauf vorbereitet gewesen war. Sie hatte bei ihm aber den Nerv getroffen, den sie hatte treffen wollen, auch wenn es ihr anders lieber gewesen wäre. „Naja. Mir ist einfach aufgefallen, dass die meisten der Rekruten ihre Eltern seit Beginn der Ausbildung nicht mehr gesehen haben. Daher habe ich nun die Sorge, dass sich solch furchtbare Geschichte irgendwann bewahrheitet“, erklärte Max angespannt. „Willst du mich schlecht machen? Deinen Vater? Oder willst du unsere Entscheidungen in Frage stellen? Es gibt nunmal Dinge, durch die jeder Rekrut durchmuss. Und wenn jemand dies nicht verkraftet, hat er in der Armee auch nichts zu suchen“, entgegnete Don erbost mit einem wütenden Funkeln in den Augen. „Nein. Ich will dich nicht schlecht machen. Ich finde es ehrenwert, wenn man sich rekrutieren lässt, aber“, stotterte Maxillia angespannt, deren Satz Don einfach unterbrach. „Es wird sich nichts ändern. Wir haben ohnehin schon zu wenig Nachwuchs für die Armee, und deine Anspielung ist nicht akzeptabel“, donnerte dieser. In Maxillia brodelte der Zorn plötzlich auf, die es hasste, wenn man ihr nicht bis zum Ende zuhörte und sie einfach unterbrach. Besonders, wenn sie sich gerade erklären wollte, um die Situation vielleicht noch zu retten. Mit viel Mühe riss sie sich zusammen und versuchte noch einmal zu einer Erklärung anzusetzen, wurde aber sofort von ihrem Vater mit erhobenem Zeigefinger aufgehalten. Wie eine Explosion schoss die Wut durch ihren Körper, während unbewusst sich all der Frust, der sich über ihr Leben hinweg angestaut hatte, entlud. Wütend sprang sie auf, dass der Stuhl hinter ihr umfiel und alle Angst ihrem