Ingeborg. Bernhard Kellermann

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Название Ingeborg
Автор произведения Bernhard Kellermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754181539



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Es war Sonntag, alles ruhig und leer. Die Sonne schien, so daß die Pflugschar gleißte und mir zuweilen in die Augen schnitt.

      Pazzo lag in der Sonne, die Füße steif von sich gestreckt, weiß und blau sah er aus, er warf einen hellblauen schmalen Schatten, der jedes abstehende Härchen wiedergab. Er blinzelte und schien zu lächeln, weil ich mich ungeschickt anstellte. Und wenn ich ihn anblickte, so schlug er mit dem Schwanz auf den Boden, als wolle er sich für dieses Lächeln entschuldigen und mich milde stimmen.

      Unvermittelt mußte ich an Ingeborg denken. Gewiß, dachte ich, hat sie dies vom Weißbrot und dem Karpfenteich irgendwo gelesen. Oder wenigstens schon oft gesagt und nicht erst in jenem Augenblicke erfunden. Nein, sicher hat sie es gelesen. Kam es mir nicht gleich bekannt vor? Ich werde sie fragen.

       Haha, werde ich zu ihr sagen, Fräulein Giselher, diese Geschichte vom Weißbrot und dem Karpfenteich habe ich nun in einem Buche entdeckt. Was sagen Sie dazu?

      Gewiß wird sie dann nicht leugnen.

      Ich werde ihr sagen, daß ich mich freuen würde, sie öfters zu sehen. Ich habe vier junge Füchse, kleine drollige Spitzbuben — die Knechte nahmen einen Bau aus — kommen Sie und schauen Sie sich diese Füchse an, Fräulein Giselher.

      Der Schweiß rann mir über das Gesicht und tropfte auf meine Hand, die schon schmutzig und fettig geworden war. Das Gewinde der Schraube schien verdorben zu sein.

      Alles Ernstes, ich würde ein langes Gespräch mit ihr führen!

      Fräulein Giselher, so würde ich beginnen, ich habe lange Jahre auf Sie gewartet, ohne es zu wissen.

      Hahaha!

      Weshalb sie nun lache? — Ohne es selbst zu wissen auf Sie gewartet. Sehnsucht und Träume viele Jahre. Ich strecke meine Arme des Nachts zum Fenster hinaus, um einen Nacken zu umschlingen — niemand ist da. Es pocht an meine Türe. Herein! rufe ich und erschrecke, denn endlich kommt sie. Aber niemand ist da. Nun aber — —

       Hahaha!

      Ja, das sind lauter Lügen, gewiß Fräulein Giselher. Ich liebe es zu lügen und ich habe ein großes Geschick dazu. Die Kinder und ich, was lügen wir doch zusammen! Aber eines sage ich Ihnen — Sie kennen mich nicht, meine Freundin. Nein. Ich rauche meine Pfeife und lächle vor mich hin, niemand weiß, was ich denke. Niemand weiß, was ich zuweilen denke, wenn der Wald wehklagt. Wäre es nicht möglich, daß ich ein Herz hätte? Ich sehe die Leute an und denke: sie kennen dich nicht und das stimmt mich heiter.

      Da hob Pazzo den Kopf und zuckte mit den Ohren.

      Ein Wagen rasselte die Straße herauf und flog am offenen Tor vorüber.

      Ingeborg kutschierte. Niemand saß sonst im Wagen, den zwei glänzende Füchse zogen.

      Ich grüßte, und Ingeborg neigte den Kopf, kühl und zurückhaltend, als kenne sie mich gar nicht.

      Mußte ich aber auch gerade in Hemdärmeln im Hofe stehen. In Hemdärmeln, hohen Stiefeln, und dazu hatte ich schmutzige aufgequollene Hände.

      Ich hatte kein Glück . . .

      Da empfand ich, daß ich träumte, und ich erwachte! Es knatterte in der Ferne. Es klang, als würden Nüsse aus einem Sack auf die Erde geschüttet und zerschlagen.

       Ich lag in meinem Zimmer. Was träumte ich doch! dachte ich.

      Das Knattern aber verstärkte sich, und nun hörte ich, daß ein Wagen die Straße herauf kam. Die Pferde mußten scharf in den Boden einschlagen, da die Straße steil anstieg.

      Ingeborg flog in einem Jagdwagen heran. Hinter ihr saß steif, die Arme verschränkt, ein Lakai.

      Ingeborg hielt die Zügel und knallte mit der Peitsche.

      Sie blickte an den Fenstern entlang und lächelte, als sie mich gewahrte. Die Peitsche knallte, so daß es klang wie feine Schüsse.

      Ich verneigte mich und lächelte. Ich dachte an den sonderbaren Traum.

      Aber am Abend blieb ich zu Hause. Ich hatte keine Lust, unter Menschen zu gehen. Dieser Abend war ein einziger, schöner Traum und ich schlief erst ein, als die Hähne krähten. Ich dachte an Liselotte.

      Rothaarige Liselotte, geborene Weikersbach, was ist mit uns beiden? Wir sehen uns an, lächeln, haben verborgene dunkle Sünde in den Augen. Was wird wohl dein Ehegemahl sagen?

      Ich ging hinunter in die Dorfkirche von Hohenficht und besah mir Liselottes Epitaphium. Ich las die wenigen Daten, las den Namen, Liselotte, geborene Weikersbach, und ward traurig und dunkel in der Seele.

      Liselotte, dich würde ich lieben, wenn du lebtest! Ja, das weiß ich!

      Wunderbare Abenteuer habe ich mit Liselotte erlebt.

      Sie gäben ein dickes Buch, wollte ich sie aufschreiben. Ein Buch, über das man viel lachen müßte. Alle meine Abenteuer mit Liselotte sind heiterer Natur. — Habe ich giftige Beeren gegessen?

      AAn einem regnerischen Nachmittage im Mai saß Liselotte in meinem Zimmer, als ich nach Hause kam. Ich war mit Pazzo im Walde gewesen.

      Es war nicht Liselotte, es war Ingeborg, Ingeborg Giselher, die schöne Tochter des Holzfällers drinnen im schwarzen Hochwalde. Aber es war dämmerig in meinem Zimmer und auf den ersten Blick glaubte ich Liselotte, die Rothaarige, vor mir zu sehen. Und dann als ich längst wußte, daß es Ingeborg Giselher war, die Goldblonde, nahm mein Besuch immer wieder Liselottes Bild an, und alles schwankte vor meinen Augen.

      Liselotte kam, um mit mir zu sprechen. Ja, nun saß sie da, wir kannten uns aus den Träumen, wir wußten viel von einander, wir zwei.

      Es war Ingeborg, natürlich, sie hatten gar keine Ähnlichkeit, Liselotte und die Tochter des Holzfällers, und doch war es schwer für mich, Liselotte nicht zu sehen in Ingeborg, Liselotte nicht zu hören aus Ingeborgs Stimme.

      Die süße Luft des Frühlings hatte mir den Sinn betäubt. Den ganzen Tag über hatte ich an Liselotte gedacht und mir zu erklären versucht, wie es kam, daß ich sie lieben mußte, obschon sie doch längst tot war. Ich war die Nacht vorher vor ihrem Bilde gesessen, bis mir die Augen zufielen.

      Ingeborg kam, um mit mir zu sprechen. Sie schlug eine unangenehme Taste an. Gewiß, es war nicht angenehm, diese Dinge zu hören.

      Zuerst sagte sie etwas von einer Jagd, und daß sie Grüße bringe, recht herzliche Grüße von Graf Flüggen.

      „Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie in diesen hohen Stiefeln und der alten Joppe begrüße, Fräulein Giselher,“ sagte ich, „ich komme von der Jagd.“

      Bitte, bitte!

      „Ich bringe recht herzliche Grüße von Papa. Er wollte Sie gerne einmal wieder bei sich sehen! Er wird Sie zur nächsten Jagd einladen.“

      Dank und Gegengrüße.

      Wir sahen uns an, und ich ging ans Fenster, um mich mit den Vorhängen zu beschäftigen. Ingeborg war geschmückt wie eine Prinzessin, sie sah aus wie eine Erscheinung aus den Bildern Botticellis.

       Sie trug einen weißen breitrandigen Strohhut und ihre sorgfältig gelockten Haare hingen wie goldene Quasten über die Wangen herab.

      Sie sah sich in meinem Zimmer um, das so groß war wie ein Saal, voll von Schränkchen, Vasen, Büchern. Es war etwas in Unordnung.

      „Sie wohnen wie ein Dichter!“ sagte sie lächelnd.

      „Ich bin noch bei keinem Dichter gewesen, aber ich glaube, so wohnen sie, die Dichter.“

      Ich hörte ihr zu. Liselotte? dachte ich. Liselottes Bild an der Wand begann zu lächeln.

      Wer diese Frau an der Wand dort sei?

      „Liselotte, eine geborene Weikersbach,“ antwortete ich und mußte lächeln. „Eine schöne und lebenslustige