Название | Ingeborg |
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Автор произведения | Bernhard Kellermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754181539 |
Harry Usedom verbeugte sich und errötete. Er ging, ich stellte mich hinter einen Baum und blickte ihm nach. Er hielt den Kopf gesenkt, schwang den Hut, wie vorhin, und gab sich den Anschein, als setze er in aller Ruhe seine Promenade fort. Aber ich bemerkte wohl, daß er übernatürlich große Schritte machte.
Ich lachte.
Ich, Axel, der Patron der Liebenden! Einen Heiligenschein um den Kopf, Liebestränke in der Flasche!
Ich wünschte den beiden Glück.
Es ist Frühling und Gott will, daß sich die roten Münder finden!
4
Man soll die Tage der heißen lodernden Wünsche loben, auch sie! Sie sind wie Sensenhiebe in schläfriges Unkraut, sie tragen den Samen glänzender fremder Blüten ins Herz, die Blut anstatt Honig haben und nach Mord und Vernichtung duften, sie sind wie ein schwarzes Wetter im schwülen Sommer, das Blitze sät und morsche Bäume fortlacht. Sie machen demütig und stolz, auch sie soll man loben.
Man soll das Leben in jeder Form loben, den Mord und die Liebe, heilig sind Mord und Liebe.
Meine wunschlosen Tage waren gekommen. Sie zogen still vorüber wie Leute, die aus der Kirche kommen. Mit einem warmen, weichen Herzen ging ich einher und oft habe ich in mich hineingekichert, wenn ich allein war im Walde.
Vor einigen Jahren war ich draußen in der weiten Welt. Ich tanzte. Über Menschen und heilige Bücher bin ich hinweggetanzt, gewiß habe ich manches Unheil angerichtet, hier und da habe ich auch einer armen Seele eine kleine Freude bereitet.
Nun lebte ich allein für mich, ich brauchte niemand, ich war mir allein genug.
Ich hatte nie Langeweile, nein, niemals.
Tag und Nacht flogen vorbei, und von vielen wußte ich nicht, wie sie vergingen.
Es gab keine Uhren in meinem Hause, in meiner Tasche. Es gab ohnedies genug Uhren, die Sonne, das Laub der Bäume, der Brunnen im Parke. Er rauschte am Tag anders als in der Nacht, um Mitternacht anders als gegen Morgen. Auch der Geruch des Waldes war eine Uhr. Auch die kleinen, kleinsten Geräusche, deren Ursache man nicht kennt, sie hatten ihre bestimmten Stunden. Übergenug Uhren gab es ohnehin.
Ich denke daran, wie diese Tage vergingen, da mein Herz ohne Wünsche war.
Ich pfiff Pazzo, und wir streunten im Walde umher. Zuweilen zog ich die hohen Stiefel an und ging mit dem Gesinde auf die Felder. Ich schaufelte und harkte. Hinter dem Pfluge ging ich einher, scherzte und schnupfte und trank aus irdenen Krügen. Ich ging in die Bibliothek, zog ein Buch heraus und las. Ich fand einen berückenden Gedanken, erschrak über seine Schönheit, seine Tiefe, stellte ihn mir vor, verfolgte ihn. Eine Krone diesem Mann! dachte ich, eine Krone und ein Kaiserreich. Es hat Köpfe in der Welt gegeben . . .
Ich setzte mich ans Klavier und schlug eine Taste an und ließ den Ton durch mein Blut rieseln. Lange Stunden konnte ich damit verbringen. Dieser Flügel war ein allwissendes, allempfindendes Wesen. Des Menschen wildes, zuckendes Herz war darin verborgen, sein süßes Weinen und sein irrsinniges Lachen. Ich lauschte. Was ist das? dachte ich und erschrak. Und ich wagte es nicht, den folgenden Akkord anzuschlagen, ich wagte es nicht. Ich hatte soviel Schmerz in einem Auge gesehen und konnte dieses Auge nicht mehr vergessen.
Es wurde dunkel, die Welt verlor die Farben, und in meinem Kopfe erwachten sie. Korallenwälder und ein Meer aus Regenbogen, Wände von Katzenaugen und eine silberne Unendlichkeit. Kreisende Kometen an meinen Augendeckeln. Haha!
Ich konnte mir die Welt nach Gutdünken und Belieben zeichnen und malen. Kohlschwarze Flüsse, rote Himmel, grüne Menschen, wie ich wollte. Das Unmögliche konnte ich vollbringen. Es ist schwer, den Teufel auf eine Nadelspitze zu setzen, aber ich konnte es, und ich konnte mich ergötzen an seinem jämmerlichen Gesichte, ich konnte Jehovah vorüberwandeln lassen, die Sonne am Siegelring, ich konnte alles was ich wollte. So herrlich waren die Visionen hinter den geschlossenen Augenlidern, daß ich mir zuweilen wünschte, blind zu sein. Blind, so unsinnig der Gedanke ist.
Zum Beispiel, ja, gut, ich schließe die Augen und warte. Ich sehe eine bronzegrüne Luft. Etwas Weißes erscheint. Es ist der Leib eines Weibes, eines schlanken Mädchens. Das Mädchen richtet seine sanften, warmen Blicke auf mich, still und steif steht es, die Hände leicht gegen die Brüste gedrückt. Ich lasse sie nicht aus den Augen und warte. Da beginnen die Brüste zu blühen, ihre Knospen springen auf und durchsichtige Blumenkelche wachsen heraus. Die Finger des Weibes blühen und kleine weiße Blüten liegen wie Milchtropfen auf ihnen. Feine Korallenästchen sind die Adern der Hände und Arme. Die Lippen des Weibes blühen purpurrot, die Haare verwandeln sich in goldene Blütengehänge und fallen über Schultern und Leib. Eine kristallhelle blaue Tulpe wächst aus der Stirne, aus den Knien wächst eine kristallhelle blaue Tulpe. Das Weib bewegt die Lippen und öffnet sie und flüstert, ein winziger Schmetterling schwebt aus dem Munde, wieder einer, ein Schwarm in allen Farben, und sie umgaukeln das blühende Weib gleich fliegenden Blüten. Das Weib schließt die Lider, da erscheinen in diamantener Schrift rätselhafte Zeichen auf den Lidern, das Weib öffnet die Augen und die Augen sind strahlend weiß wie Lichter. Nun fangen auch die Wimpern zu blühen an . . . . .
Manche Nacht habe ich mit solchen Träumen verbracht. Sollte ich Langeweile haben? Nein, meine Tage vergingen. —
Ich bekam eine Einladung zu einer Abendgesellschaft von Graf Flüggen zugeschickt.
Papa erwartet Sie bestimmt, stand darunter geschrieben.
Soll er warten. Ich habe keine Zeit.
Harry Usedom ging an meinem Hause vorüber, in einen phantastischen Mantel eingehüllt, es regnete. Er hatte es sehr eilig. Ich saß am Klavier und sah ihn die Straße heraufkommen. Ich hielt inne im Spiel. Denn gewiß horchte er mit seinen feinen Ohren, er wollte mein Herz belauschen. Ein wunderlicher Gedanke war dies, aber er zwang mich innezuhalten.
Viele Grüße! dachte ich und lächelte. —
Ich erinnere mich so deutlich an die Nächte dieses Frühlings. Sie waren so wunderbar still, so still, daß man auf die Stille horchen mußte. Sie waren schwarz wie Samt mit vielen, vielen Sternen. Ich lag häufig vor meinem Hause im Grase und sah in die Sterne empor. Ein herber Duft fiel aus den Kastanien. Sie standen in Blüte, wie große Christbäume sahen sie aus und ihre Kerzen erschienen wiederum wie Christbäumchen, ganz aus Licht. Ich roch Wiesensalbei und Waldmeister.
Da lag ich, auf dem Rücken, und sah in den Himmel hinein. Das Hirn Gottes mit seinen Gedanken? Sah ich in Gottes Hirn hinein und sah seine Gedanken brennen? Die Sterne blickten mich an und es rieselte durch meinen Leib. Soll ich in die Knie sinken? dachte ich. Und ich wünschte ein Pfeil zu sein, hineingeschossen zu werden in den Himmel, und eine Sekunde da droben stille zu stehen und mich zu drehen und umzublicken, bevor ich wieder zur Erde fiel. Und ich sah solange in die Sterne hinein, bis sie auf mich heruntertropften, und ich zusammenschrak. Ein Hirn voller Sterne trug ich ins Haus und dann träumte ich, daß ich im Grase läge und in die Sterne blickte.
Ich war reich und glücklich.
Meine wunschlosen Tage waren dies.
Die Abendgesellschaft bei Graf Flüggen fand an einem Sonntage statt. Am Nachmittage jenes Sonntags fuhr Ingeborg im offenen Jagdwagen am Schlosse vorüber. Sie kutschierte selbst, knallte mit der Peitsche und nickte zu mir herauf.
Es war ganz eigentümlich. Ich träumte zuerst von ihr. Da stand ich im Hofe, in Hemdärmeln