GRABESDUNKEL STEHT DER WALD. Eberhard Weidner

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Название GRABESDUNKEL STEHT DER WALD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053609



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Arme unter den Körper und hob ihn mühelos hoch. Er wandte sich um, ging zurück zur Grabgrube und stieg mitsamt seiner Last hinein. Obwohl er kein Mitleid oder Mitgefühl für sein Opfer empfand – weder, als er es getötet hatte, noch jetzt, da es tot war – widerstrebte es ihm dennoch, allzu grob mit der Leiche umzugehen. Deshalb ließ er sie auch nicht einfach zu Boden fallen wie einen Sack Zement, was der tote Mann ohnehin weder gespürt, noch übelgenommen hätte, sondern bückte sich und legte ihn geradezu behutsam auf den Boden der ausgehobenen Grube. Anschließend wandte er sich rasch ab und stieg wieder hinaus. Er hob die Schaufel vom Boden auf und warf einen letzten Blick auf sein Opfer.

      Was er sah, ließ ihn unwillkürlich erschaudern, denn das fahle Licht des Mondes, das nun ungehindert auf den reglosen Körper fiel, ließ diesen aussehen, als würde er in einem unirdischen Licht von innen heraus erstrahlen. Gleichzeitig erweckte der Mann in der Grabgrube den Eindruck, als wäre er noch immer quicklebendig und würde sich jeden Moment bewegen und aufsetzen, um sich beispielsweise über eine fehlende Grabrede zu beschweren.

      Die linke Hand der Person im Kapuzenpulli zuckte automatisch zur Brust, als wollte sie sich bekreuzigen – zweifellos ein hartnäckiges Überbleibsel einer katholischen Erziehung –, verharrte jedoch wieder, noch bevor sie mit dem Kreuzzeichen beginnen konnte, als ihr jäh bewusst wurde, was sie da tat. Stattdessen schüttelte sie nur den Kopf und unterdrückte jeden Laut des Entsetzens, das sie bei diesem widernatürlichen Anblick empfand. Schnell stieß sie das Schaufelblatt in den Erdhaufen neben der Grube und begann dann mit energischen, schon beinahe verzweifelt wirkenden Bewegungen damit, Erde auf den Körper zu schaufeln, um nicht nur dieses merkwürdige Schauspiel zu beenden, das der Mond mit dem Leichnam veranstaltete, sondern vor allem auch, um hier fertig zu werden und diesen gottverlassenen Ort endlich hinter sich lassen zu können.

      Die Erde fiel auf den reglosen Körper im Grab. Zahlreiche Erdbröckchen kullerten herunter und häuften sich zu beiden Seiten an. Doch der größte Teil blieb auf dem Brustkorb, dem Bauch, dem Unterleib und den Beinen liegen.

      Der Totengräber begann schon bald wieder, laut zu keuchen, während er unermüdlich schaufelte und keinen weiteren Blick für den Mann in der Grube vergeudete. Er verzichtete nun sogar darauf, ab und zu innezuhalten, um einen Blick auf seine Umgebung zu werfen und konzentriert zu lauschen, so wie er es noch beim Ausheben des Grabes getan hatte.

      Als daher völlig unvermittelt ganz in der Nähe mit einem lauten Knacken, das die Stille des nächtlichen Waldes wie ein Axthieb spaltete, ein Ast zerbrach und als Reaktion darauf ein Kauz schrie, erstarrte er und sah sich mit ruckartigen Bewegungen in alle Richtungen um. Sein Keuchen war abrupt verstummt, als er die Luft anhielt, um besser lauschen und auch noch das leiseste Geräusch wahrnehmen zu können. Doch keiner der vorherigen Laute wiederholte sich. Und auch sonst war nichts zu hören oder zu sehen, das ihn glauben ließ, er wäre nicht länger allein an diesem Ort und es gäbe einen unliebsamen Zeugen seines Tuns.

      Er kam deshalb rasch zu der Überzeugung, dass es sich beim Verursacher des Knackens um ein nachtaktives Tier gehandelt haben musste, das in diesem Wald heimisch war. Ein großes Tier zwar, wenn er von der Lautstärke des brechenden Astes auf dessen Größe schloss, nichtsdestotrotz aber nur ein Tier und deshalb kein Grund zur Beunruhigung.

      Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, entspannte er sich, stieß die angehaltene Luft aus und atmete tief ein. Ein rascher Blick auf das flache Grab zeigte ihm, dass es schon fast vollständig gefüllt war. Von dem Mann, den er getötet hatte, war kaum noch etwas zu sehen. Vom Hals abwärts bis zu den Zehen war er bereits komplett von Erde bedeckt. Nicht einmal die Konturen seines Körpers waren darunter noch zu erahnen. Lediglich das Gesicht hatte er bislang noch ausgespart, als hätte er Hemmungen gehabt, Erde darauf zu schippen.

      Er nahm daher rasch mehrere Schaufeln voller Erde und kippte sie auf das Gesicht des Opfers, bis es vollständig bedeckt war. Anschließend arbeitete er noch rascher, als es vor dem knackenden Ast der Fall gewesen war, als hätte dieser ihn zur Eile angetrieben, bis das Grab wenige Augenblicke später gefüllt und der Erdhaufen daneben vollständig abgetragen war.

      Der Mond beschien die Grabstelle noch immer, doch nachdem sein Opfer nun unter der Erde lag und er es nicht mehr sehen musste, beunruhigte ihn das nicht länger. Im fahlen Licht war nur noch ein flacher Erdhügel zu erkennen, der sich über dem hier vergrabenen Körper erhob. Allerdings war noch immer deutlich zu sehen, dass hier gegraben worden war, da die Fichtennadelschicht fehlte. Deshalb bückte er sich und schob mit den Händen Fichtennadeln von den Seiten auf das frische Grab und verteilte sie dort, bis sie wieder eine durchgehende, makellose Schicht bildeten. Sie war zwar dort, wo sich das Grab befand, noch etwas feucht und daher dunkler als in der Umgebung, doch bis zum Sonnenaufgang war sie bestimmt getrocknet, sodass niemand vermuten würde, dass hier unlängst gegraben worden war, solange er nicht ausdrücklich danach suchte. Allerdings rechnete er ohnehin nicht damit, dass hier jemand zufällig vorbeikam.

      Zufrieden mit seinem Werk richtete er sich schließlich auf und klopfte die Hände an seiner Hose ab. Dann nahm er die Schaufel, legte sie sich über die Schulter und machte sich auf den Rückweg zu seinem Wagen, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen.

      Wozu auch? Sein Opfer war tot und begraben, und mehr hatte er nicht gewollt.

      ERSTES KAPITEL

      1

      Als Cora Eichholz nach dem schnurlosen Telefon griff, um den Anruf entgegenzunehmen, hatte sie ein merkwürdiges Gefühl, so als ahnte sie bereits, dass dieser Anruf ihr Leben auf dramatische Weise verändern würde. Und das nicht unbedingt zum Besseren.

      »Ja«, meldete sie sich deshalb in aller Knappheit und Vorsicht, ohne ihren Namen preiszugeben, und lauschte dann mit angehaltenem Atem, dass der Anrufer sprach und ihr mitteilte, wer er war und was er von ihr wollte.

      »Spreche ich mit Frau Eichholz?« Es handelte sich um die Stimme einer Frau, die Cora zwar bekannt vorkam, der sie aber trotz intensiven Nachdenkens nicht sofort ein Gesicht zuordnen konnte.

      »Ja. Und … und wer sind Sie?«

      »Hier ist Kriminalhauptkommissarin Anja Spangenberg von der Vermisstenstelle der Kripo München.«

      Schon beim dritten Wort, dem Dienstgrad der Anruferin, bekam die Stimme in Coras Bewusstsein endlich ein Gesicht, denn auch wenn sie die Stimme nicht gleich erkannt hatte, so blieb ihr die Frau, der sie gehörte, gleichwohl unvergesslich.

      Anja Spangenberg war Ermittlerin im Kommissariat 14, der sogenannten Vermisstenstelle, und – wie der Name ihrer Abteilung sofort deutlich machte – für vermisste Personen zuständig. Cora schätzte sie altersmäßig auf Mitte bis Ende dreißig und größenmäßig auf ein Meter siebzig. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht mit hohen, markanten Wangenknochen und grünen Augen. Dazu eine schmale gerade Nase und einen um eine Winzigkeit zu breiten Mund mit schmalen Lippen. Ihr dunkelblondes Haar war kurz geschnitten und zerzaust. Als sie Cora vor drei Monaten besucht hatte, hatte sie eine enge, graue Jeans, ein langärmliges, weißes Shirt und schwarze Stiefeletten mit neun Zentimeter hohen, schmalen Absätzen getragen. Dazu eine Blousonjacke aus schwarzer Seide, um die Tatsache zu verbergen, dass sie darunter in einem Schulterholster eine Waffe trug.

      Doch nicht deshalb war die Kriminalhauptkommissarin Cora so deutlich in Erinnerung geblieben, obwohl sie sich nur ein einziges Mal begegnet waren, sondern in erster Linie aus dem Grund, weil Anja Spangenberg nach Coras Ehemann Markus suchte, der beinahe auf den Tag genau vor drei Monaten von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht war.

      »Frau Eichholz? Sind Sie noch dran?«

      Cora stieß die Luft aus, die sie erneut angehalten hatte, ohne es überhaupt zu bemerken. »Natürlich bin ich noch dran!«, versetzte sie dann in einem aggressiveren Tonfall, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.

      Die Polizistin erwiderte nichts darauf und hüllte sich in Schweigen. Nicht einmal das Geräusch ihres Atmens war durch die Telefonverbindung zu hören. Zweifellos hatte sie von den Angehörigen der Vermissten, nach denen sie tagtäglich suchte, schon so manches zu hören bekommen und wusste daher auch damit umzugehen,