Die deutschen Auswanderer. Jakob

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Название Die deutschen Auswanderer
Автор произведения Jakob
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783754184851



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Kantonsystem basierende preußische Armee zur Folge.

      4.2. Ökonomische Ursachen

      Die ökonomischen Ursachen der Massenemigration gehen insbesondere auf die Zeit des langfristigen Bevölkerungswachstums zurück, welches in Deutschland das gesamte 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte. Wie bereits zuvor erwähnt, erreichte die Bevölkerung nach einer signifikanten Abnahme infolge zahlreicher Kriege und Epidemien bereits gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wieder das Niveau der Anfangszeit des 17. Jahrhunderts und betrug 1750 23 Millionen Menschen, stieg bis 1790 auf 25 Millionen und bis 1816 bereits auf 29,6 Millionen Menschen an. Das Bevölkerungswachstum ging mit einem Mangel an landwirtschaftlicher Nutzfläche, einer ständig wachsenden Zahl an Betrieben und einer abnehmenden Größe ihrer Flächen einher. Die Bauern, deren Grundbesitz fortwährend abnahm, waren nicht dazu in der Lage, landwirtschaftliche Güter im für die Ernährung ihrer Familien nötigen Umfang zu produzieren, geschweige denn einen Anteil davon zu verkaufen, um dadurch die für die Bezahlung der zahlreichen und unangemessenen Abgaben und Steuern nötigen Gelder zu erhalten.

      Werfen wir am Beispiel des Bistums Würzburg einen genaueren Blick auf das Problem, das sich damals durch den steigenden Druck der schnell anwachsenden Bevölkerung auf die zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen und die in diesem Zusammenhang entstandenen Emigrationsprozesse ergeben hatte.

      Würzburg war damals das Zentrum eines Bistums, welches Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war und von einem Fürstbischof regiert wurde, der nicht nur priesterliche Funktionen ausübte, sondern auch die säkulare Macht über das von ihm verwaltete Gebiet innehatte. Das Bistum Würzburg stellte ein besonderes und wichtiges geistliches Zentrum des Heiligen Römischen Reiches dar. Laut historischen Quellen lebten 1600 135.000 Staatsangehörige im Fürstentum, zu welchem 29 Städte, 575 Dörfer und 59 einzelne Höfe und Mühlen gehörten. Ihre Zahl stieg 1704 auf 170.100 und in den letzten 50 Jahren vor der 1803 in Bayern durchgeführten Säkularisierung auf 250.000 - 280.000 Menschen an. Die Fläche des Bistums betrug 1802 5.290 Quadratkilometer.2 Ähnliche Daten über das Bevölkerungswachstum gehen auch aus einer anderen Quelle hervor, der zufolge 1700 30 Bewohner auf einem Quadratkilometer lebten, 1750 47 Bewohner und 1812 bereits 60 Bewohner.3

      Wie wir also sehen, kam es im Fürstentum zu einem sprunghaften Bevölkerungsanstieg, in welchem die wesentliche Ursache für die übermäßige Teilung und Verkleinerung des Grundbesitzes einzelner Familien und die sich in der Bevölkerung ausbreitende Armut und Hungersnot zu sehen ist. In Tabelle 2 werden Berechnungen angeführt, die eine solche negative Tendenz eindrucksvoll belegen. Als Grundlage dienen die Fläche der bearbeiteten Ländereien (Ackerland, Wiese und Weingärten), die 235.708 Hektar betrug, die Bevölkerungsdynamik und die durchschnittliche Familiengröße von 4,5 Menschen.4

      In der Region Würzburg musste eine Familie fünf bis acht Hektar Land mit qualitativ hochwertigen Böden bearbeiten, um sich ernähren und die zahlreichen Steuern und Abgaben bezahlen zu können.3

      Таbelle 2

      Änderung der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Fürstentum Würzburg

Jahr 1680 1700 1730 1750 1790 1812
Einwohner 140.000 160.000 210.000 250.000 290.000 310.000*
Hektar pro Einwohner 1,44 1,27 0,96 0,80 0,72 0,66
Hektar pro Familie 6,48 5,71 4,32 3,60 3,24 2,97

      *Anmerkung. 1812 lag die Bevölkerung im Großherzogtum Würzburg bei 353.775 Menschen, die Fläche betrug 6.183 Km2. Die in der Tabelle angegebenen Einwohnerzahlen stellen Näherungswerte innerhalb der alten Grenzen des Herzogtums vor der Säkularisierung und dem Anschluss an Bayern dar.4

      Wie aus der Tabelle hervorgeht, verfügten die deutschen Bauern im Fürstentum bereits 1730 nicht über genügend Nutzfläche, um ihren Familien eine normale Existenz zu ermöglichen. In den Folgeperioden verschlimmerte sich ihre Lage weiterhin dramatisch. Die ihnen zur Verfügung stehenden Ländereien hatten in der Mitte des 18. Jahrhunderts nur die Hälfte der Fläche, die sie für ein Leben ohne Hunger benötigten, zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es sogar noch weniger. Dabei verbergen sich hinter den angeführten Durchschnittswerten sowohl Teile der Bauernschaft, die über Land im Überfluss verfügten, als auch eine noch wesentlich größere Anzahl von Dorfbewohnern, deren Nutzflächen zu klein waren oder die überhaupt keine Nutzflächen besaßen. Zudem mussten sich die Bauern mit den Folgen der Jagdlust ihres Bischofs und seiner Entourage anfreunden – diese konnte nämlich dazu führen, dass Hunderte Wildschweine und Hirsche über ihre Wiesen getrieben wurden. Der Kampf mit dem herrschaftlichen Wild, welches über ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen lief und diese als Weide nutzte, war Teil des Alltags. Dabei war den Bauern der Kampf mit dem Wild, welches ihre Felder zerstörte, untersagt, galt doch die Jagd als alleiniges Recht und vornehmster Zeitvertreib des Herrschers. Wie auch in anderen Ländern waren die Bauern zur Bezahlung zahlreicher Steuern für den Unterhalt des Bischofs und seines Hofes und zur Abgabe eines Zehntels ihrer Feldfrüchte, ihres Weins, ihrer Kartoffeln, ihres Heus, Tabaks, Fleisches, ihrer Milch und weiterer Nahrungsmittel verpflichtet, außerdem mussten sie acht bis 156 Tage im Jahr umsonst für ihren Gutsherren arbeiten. Zum bäuerlichen Frondienst gehörten Arbeiten wie die Bestellung und Ernte der Felder, der Hausbau, die Teilnahme am Treiben des Wildes während der Jagd und viele weitere Aufgaben. Die schwere und oftmals ausweglose Situation wurde durch die in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden ertragsschwachen Jahre und das Viehsterben weiter verschärft. All das zwang die Bauern dazu, in hoffnungsloser Armut zu leben, Hunger zu leiden und führte zu einem ständigen Anstieg der Verschuldung und letztendlich zum Verlust der eigenen Höfe.

      Zu einer solchen Lage der Dinge trug in vielerlei Hinsicht auch das damals in Deutschland geltende Erbrecht der Bauernhöfe bei, welches die Erbfolge nach dem in östlichen und nördlichen Regionen geltenden „Anerbrecht“ oder der in den südlichen und westlichen Landesteilen verbreiteten „Realerbteilung“ vorsah.

      Die Erbfolge nach dem Prinzip der “Realerbteilung“ sah die Aufteilung des Landes und Vermögens eines Bauernhofes auf alle gesetzlichen Erben vor. Dies führte zu einer ständig wachsenden Zahl bäuerlicher Betriebe und zu deren Verkleinerung. Je kleiner jedoch der Betrieb wurde, umso stärker wurde jede flächenmäßige Einheit mit verschiedenen Steuern, Zahlungen und Dienstleistungen belastet, was die Wirtschaft und deren Stabilität zerstörte. In Regionen, in denen das „Anerbrecht“ verbreitet war, gab es nur einen Haupterben, der den Bauernhof samt den dazugehörenden Ländereien erbte. Dies ermöglichte es, die Größe eines Hofes zu erhalten und seine Nutzfläche nicht aufzuteilen. Der Haupterbe musste seinen Brüdern und Schwestern ihren Erbteil ausbezahlen, was in der Regel in Teilen und über viele Jahre hinweg geschah, und seinen Eltern eine Unterkunft bereitstellen. Die Erben, die keine Ländereien erhielten, konnten auf den Kauf eines neuen Bauernhofes hoffen, wenn die Familie ein gutes Auskommen besaß, durch Eheschließung in einen fremden Bauernhof einziehen oder in Gegenden umziehen, in denen Ländereien neu erschlossen wurden. Dies war allerdings aufgrund des Mangels an freien und fruchtbaren Ländereien äußerst selten der Fall. Daher mussten sie sich meistens als Knecht oder Magd bei vermögenden Bauern verdingen oder versuchen, Arbeit als Geselle zu finden und trugen so zur steigenden Anzahl verarmter Dorfbewohner ohne Grundbesitz bei.

      Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren schon etwa zwei Drittel der Dorfbevölkerung