die Einheit des göttlichen und menschlichen Wesens aus dem Sinne zu schlagen, hilft man sich mit der Vorstellung, daß Gott als das unendliche Wesen eine
unendliche Fülle von verschiedenen Prädikaten sei, von welchen wir hier nur
einige, und zwar die
uns analogen oder
ähnlichen, die andern aber, welchen zufolge also Gott auch ein ganz andres Wesen sei, als ein menschliches oder menschenähnliches, erst in der Zukunft, d. h. im Jenseits erkennen. Allein eine unendliche Fülle oder Menge von Prädikaten, die
wirklich verschieden sind, so verschieden, daß nicht mit dem einen unmittelbar auch das andere erkannt und gesetzt wird, verwirklicht und bewährt sich nur in einer unendlichen Fülle oder Menge
verschiedener Wesen oder Individuen. So ist das menschliche Wesen ein unendlicher Reichtum von verschiedenen Prädikaten, aber eben deswegen ein unendlicher Reichtum von verschiedenen Individuen. Jeder neue Mensch ist gleichsam ein neues Prädikat, ein neues Talent der Menschheit. So viele Menschen sind, so viel Kräfte, so viel Eigenschaften hat die Menschheit. Dieselbe Kraft, die in allen, ist wohl in jedem einzelnen, aber doch so bestimmt und geartet, daß sie als eine eigne, eine neue Kraft erscheint. Das Geheimnis der unerschöpflichen Fülle der göttlichen Bestimmungen ist daher nichts andres als das Geheimnis des menschlichen als eines
unendlich verschiedenartigen, unendlich bestimmbaren, aber eben deswegen
sinnlichen Wesens. Nur
in der Sinnlichkeit, nur
in Raum und Zeit hat ein
unendliches, ein
wirklich unendliches, bestimmungsreiches Wesen Platz. Wo wahrhaft
verschiedene Prädikate, sind
verschiedene Zeiten. Dieser Mensch ist ein ausgezeichneter Musiker, ein ausgezeichneter Schriftsteller, ein ausgezeichneter Arzt; aber er kann nicht zu gleicher Zeit musizieren, schriftstellern und kurieren. Nicht die Hegelsche Dialektik – die Zeit ist das Mittel, Gegensätze, Widersprüche in einem und demselben Wesen zu vereinigen. Aber mit dem Begriffe Gottes verbunden, unterschieden und abgetrennt vom Wesen des Menschen, ist die unendliche Vielheit verschiedener Prädikate eine Vorstellung
ohne Realität – eine
bloße Phantasie –, die
Vorstellung der Sinnlichkeit, aber ohne die wesentlichen Bedingungen, ohne die Wahrheit der Sinnlichkeit –, eine Vorstellung, die mit dem göttlichen Wesen als einem geistigen, d. i.
abstrakten, einfachen, einzigen Wesen in direktem Widerspruch steht; denn die Prädikate Gottes sind gerade von dieser Beschaffenheit, daß ich mit dem
einen auch
alle andern zugleich habe, weil
kein wirklicher Unterschied zwischen ihnen stattfindet. Habe ich daher in den gegenwärtigen Prädikaten nicht die zukünftigen, in dem gegenwärtigen Gott nicht den zukünftigen, so habe ich auch in dem zukünftigen Gott nicht den gegenwärtigen, sondern
zwei verschiedene Wesen. Aber diese Verschiedenheit eben widerspricht der Einzigkeit, Einheit und Einfachheit Gottes. Warum ist
dieses Prädikat ein Prädikat Gottes? weil es göttlicher Natur ist, d.h., weil es keine Schranke, keinen Mangel ausdrückt. Warum sind es andere Prädikate? weil sie, so verschieden sie an sich selber sein mögen, darin übereinstimmen, daß sie gleichfalls Vollkommenheit, Uneingeschränktheit ausdrücken. Daher kann ich mir
unzählige Prädikate Gottes vorstellen, weil sie
alle in dem abstrakten Gottheitsbegriffe übereinstimmen, das
gemein haben müssen, was
jedes einzelne Prädikat zu einem göttlichen Attribut oder Prädikat macht. So ist es bei Spinoza. Er spricht von unendlich vielen Attributen der göttlichen Substanz, aber außer Denken und Ausdehnung nennt er keine. Warum? weil es ganz gleichgültig ist, sie zu wissen, ja weil sie
an sich selber gleichgültig, überflüssig sind, weil ich mit allen diesen unzählig vielen Prädikaten doch immer
dasselbe sagen würde, was ich mit diesen
zweien, dem Denken und der Ausdehnung sage. Warum ist das Denken Attribut der Substanz? weil nach Spinoza es durch sich selbst begriffen wird, weil es etwas Unteilbares, Vollkommnes, Unendliches ausdrückt. Warum die Ausdehnung, die Materie? weil sie in Beziehung auf sich dasselbe ausdrückt. Also
kann die Substanz unbestimmt viele Prädikate haben, weil nicht die Bestimmtheit, der Unterschied, sondern die Nichtverschiedenheit, die Gleichheit sie zu Attributen der Substanz macht. Oder vielmehr: die Substanz hat
nur deswegen unzählig viele Prädikate,
weil sie – ja weil sie – wie sonderbar! – eigentlich
kein Prädikat, d.i.
kein bestimmtes, wirkliches Prädikat hat. Das
unbestimmte Eine des Gedankens ergänzt sich durch die
unbestimmte Vielheit der Phantasie. Weil das Prädikat
nicht Multum, so ist es
Multa. In Wahrheit sind die
positiven Prädikate: Denken und Ausdehnung. Mit diesen zweien ist unendlich
mehr gesagt, als mit den namenlosen unzähligen Prädikaten; denn es ist etwas
Bestimmtes ausgesagt; ich weiß damit
Etwas. Aber die Substanz ist zu
gleichgültig, zu
leidenschaftlos, als daß sie sich für
Etwas begeistern und entscheiden könnte; um nicht
Etwas zu sein, ist sie
lieber gar Nichts.
Wenn es nun aber ausgemacht ist, daß, was das Subjekt oder Wesen ist, lediglich in den Bestimmungen desselben liegt, d.h., daß das Prädikat das wahre Subjekt ist, so ist auch erwiesen, daß, wenn die göttlichen Prädikate Bestimmungen des menschlichen Wesens sind, auch das Sub-jekt derselben menschlichen Wesens ist. Die göttlichen Prädikate sind aber einerseits allgemeine, andererseits persönliche. Die allgemeinen sind die metaphysischen, aber diese dienen nur der Religion zum äußersten Anknüpfungspunkte oder zur Grundlage; sie sind nicht die charakteristi-schen Bestimmungen der Religion. Die persönlichen Prädikate allein sind es, welche das Wesen der Religion begründen, in welchen das göttliche Wesen der Religion Gegenstand ist. Solche Prädikate sind z.B., daß Gott Person, daß er der moralische Gesetzgeber, der Vater der Menschen, der Heilige, der Gerechte, der Gütige, der Barmherzige ist. Es erhellt nun aber sogleich von diesen und andern Bestimmungen oder wird wenigstens im Verlaufe erhellen, daß sie, namentlich als persönliche Bestimmungen, rein menschliche Bestimmungen sind, und daß sich folglich der Mensch in der Religion im Verhalten zu Gott zu seinem eignen Wesen verhält, denn der Religion sind diese Prädikate nicht Vorstellungen, nicht Bilder, die sich der Mensch von Gott macht, unterschieden von dem, was Gott an sich selbst ist, sondern Wahrheiten, Sachen, Realitäten. Die Religion weiß nichts von Anthropomorphismen: die Anthropomorphismen sind ihr keine Anthropomorphismen. Das Wesen der Religion ist gerade, daß ihr diese Bestimmungen das Wesen Gottes ausdrücken. Nur der über die Religion reflektierende, sie, indem er sie verteidigt, vor sich selbst verleugnende Verstand erklärt sie für Bilder. Aber der Religion ist Gott wirklicher Vater, wirkliche Liebe und Barmherzigkeit, denn er ist ihr ein wirkliches, ein lebendiges, persönliches Wesen, seine wahren Bestimmungen sind daher auch lebendige, persönliche Bestimmungen. Ja die entsprechenden Bestimmungen sind gerade die, welche dem Verstande den meisten Anstoß geben, welche er in der Reflexion über die Religion verleugnet. Die Religion ist subjektiv Affekt; notwendig ist ihr daher auch objektiv der Affekt göttlichen Wesens. Selbst der Zorn ist ihr kein Gottes unwürdiger Affekt, wofern nur diesem Zorne nichts Böses zugrunde liegt.
Es ist aber hier sogleich wesentlich zu bemerken – und diese Erscheinung ist eine höchst merkwürdige, das innerste Wesen der Religion charakterisierende –, daß, je menschlicher dem Wesen nach Gott ist, um so größer scheinbar der Unterschied zwischen ihm und dem Menschen ist, d.h. um so mehr von der Reflexion über die Religion, von der Theologie die Identität, die Einheit des göttlichen und menschlichen Wesens geleugnet, und das Menschliche, wie es als solches dem Menschen Gegenstand seines Bewußtseins ist, herabgesetzt wird. Der Grund hievon ist: weil das Positive, das Wesentliche in der Anschauung oder Bestimmung des göttlichen Wesens allein das Menschliche, so kann die Anschauung des Menschen, wie er Gegenstand des Bewußtseins ist, nur eine negative, menschenfeindliche sein. Um Gott zu bereichern, muß der Mensch arm werden; damit Gott alles sei, der Mensch nichts sein. Aber er braucht auch nichts für sich selbst zu sein, weil alles, was er sich nimmt, in Gott nicht verloren geht, sondern erhalten wird. Der Mensch hat sein Wesen in Gott, wie sollte er es also in sich und für sich haben? Warum wäre es notwendig, dasselbe zweimal zu setzen, zweimal zu haben? Was der Mensch sich entzieht, was er an sich selbst entbehrt, genießt er ja nur in um so unvergleichlich höherem und reicherem Maße in Gott.
Die Mönche gelobten die Keuschheit dem göttlichen Wesen, sie unterdrückten die Geschlechterliebe an sich, aber dafür hatten sie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild des Weibes – ein Bild der Liebe. Sie konnten um so mehr des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vorgestelltes Weib ein Gegenstand wirklicher Liebe war. Je größere Bedeutung sie auf die Vernichtung der Sinnlichkeit