Siebenkäs. Jean Paul

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Название Siebenkäs
Автор произведения Jean Paul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175224



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Modejournal machte; nur aber zu schnell auf ein älteres Modejournal zurückglitt, auf des Rubenius seines vom Putze der alten Griechen und Römer. Seine Predigten auf alle Sonntage streckte er ihr gern vor, da Advokaten als böse Christen nichts Theologisches haben. Ja als sie die entfallene Lichtschere zu seinen Füßen suchte, hielt er ihr den Leuchter tief hinunter dazu.

      Wichtig für das ganze Siebenkäsische Haus oder vielmehr Zimmer wurde der Sonntag, welcher in dasselbe einen vornehmern Mann, als bisher aufgetreten, einführte – nämlich den Venner, Hrn. Everard (Eberhard) Rosa von Meyern, einen jungen Patrizius, der in Hrn. Heimlichers von Blaise Hause täglich aus- und einging, um sich in die »Routine der Amts-Praxis einzuschießen«. Auch war der Mann der Bräutigam einer armen Nichte des Heimlichers, die außer Landes für sein Herz erzogen und ausgebildet wurde.

      Also war der Venner ein wichtiger Charakter des Marktfleckens sowohl als unsers Dornenstücks, und zwar in jeder politischen Hinsicht. Denn in körperlicher war ers wohl weniger; durch seinen blumigen Kleiderputz war sein Leib fast wie ein Span durch einen Dorf-Blumenstrauß gesteckt – unter den funkelnden Magenflügeldecken eines Westen-TierstücksAuf den damaligen Gillets waren Tiere und Blumen abgebildet. pulsierte ein steilrechter, wenn nicht eingebogener Bauch, und seine Beine hatten im Ganzen den Wadengehalt der Holzstrümpfe, womit Strumpfwirker sich an ihren Fenstern anzukündigen und zu empfehlen suchen.

      Der Venner trug dem Advokaten kalt und ziemlich grobhöflich vor, er sei bloß gekommen, ihm die Last der Verteidigung der Kindermörderin abzunehmen, da er ohnehin so viele andere Sachen auszuführen habe. Aber Siebenkäs durchsah sehr leicht den Zweck des Vorwands. Es ist nämlich bekannt, daß zwar die verteidigte Inquisitin zum Vater ihres über die Erde im Fluge gegangenen Kindes einen Musterkartenreiter adoptiert und angenommen, dessen Namen weder sie noch die Akten anzugeben wußten; daß aber der zweite Vater des Kindes, der als ein junger Schriftsteller aus Bescheidenheit nicht gern seinen Namen vor seine pièce fugitive und sein Antrittprogramm setzen wollte, niemand war als der hagere Venner Everard Rosa von Meyern selber. Gewisse Dinge will oft eine ganze Stadt zu verunkennen (zu ignorieren) scheinen; und darunter gehörte Rosas Autorschaft. Der Heimlicher von Blaise wußte also, daß sie der Defensor Firmian auch wisse, und besorgte mithin, daß sich dieser für den Raub der Erbschaft an seinem Verwandten Meyern durch eine absichtlich-schlechte Verteidigung der armen Inquisitin rächen werde, um diesem die Schande ihrer Hinrichtung zu machen. Welcher entsetzliche niedrige Argwohn! – Und doch ist oft die reinste Seele zum Argwohn eines solchen Argwohns genötigt! – Zum Glück hatte Siebenkäs den Blitzableiter der armen Mutter schon fertig geschmiedet und aufgerichtet. Als er ihn dem Kasual- oder Schein-Bräutigam der Scheinkindermörderin vorwies: gestand dieser sogleich, einen geschicktern Schutzheiligen hätte die schöne Magdalena unter allen Advokaten der Stadt nicht aufgetrieben; wenigstens keinen frömmern, setzen Schreiber und Leser hinzu, welche wissen, daß er durch die Verteidigung der Unschuld dem Himmel für den ersten Entwurf der Teufelspapiere dankbar sein wollte.

      Jetzo kam plötzlich die Frau des Advokaten aus der Nachbarstube des Buchbinders von einem fliegenden Besuche zurück. Der Venner sprang ihr bis an ihre Türschwelle mit einer Höflichkeit entgegen, die nicht weiter zu treiben war, da sie doch erst vorher aufmachen mußte, eh' er entgegen konnte. Er nahm ihre Hand, die sie ihm im ehrerbietigen Schrecken halb zulangte, und küßte solche gebückt, aber die Augen emporblickend gedreht und sagte: »Mäddämm, ich habe diese schöne Hand schon seit einigen Tagen unter der meinigen gehabt.« Jetzo kam es durch ihn heraus, daß er derselbe fleischfarbige Herr sei, welcher ihre Hand, wenn sie solche zum Fenster hinausgelegt, mit der Reißfeder unten weggestohlen, weil er um eine schöne Dolces Hand für ein Kniestück seiner abwesenden Braut verlegen gewesen, in das er aus dem Gedächtnisse einen bloßen Kopf von ihr zu zeichnen unternommen. Nun tat er seine Handschuhe, in welchen er sie nur, wie manche frühere Christen das Abendmahl, aus Ehrerbietung zu berühren gewagt, herunter von seinem Ringfeuer und Hautschnee; denn um diesen letzten in größtem Sonnenbrande zu bewahren, legte er selten die Handschuhe ab, es müßte denn im Winter gewesen sein, der wenig schwärzt. Kuhschnappler Patrizier, wenigstens junge, halten gern das Gebot, welches Christus den Jüngern gab, niemand auf der Straße zu grüßen; auch der Venner beobachtete gegen den Mann die nötige Unhöflichkeit, nur aber gar nicht gegen die Frau, sondern ließ sich unabsehlich herab. Schon von satirischer Natur hatte Siebenkäs den Fehler, gegen gemeine Leute zu höflich und vertraut zu sein, und gegen höhere zu vorlaut. Aus Mangel an Welt wußt' er die rechte krumme Linie gegen die bürgerlichen Klassiker nicht mit dem Rücken zu beschreiben; daher fuhr er lieber – gegen die Stimme seines freundlichen Herzens – stangengerade auf. Außer dem Mangel an Welt war sein Advokatenstand Ursache, dessen kriegerische Verfassung eine gewisse Kühnheit einflößt, zumal da ein Advokat stets den Vorteil hat, daß er keinen braucht, daher ers häufig, wenn es nicht Patrimonial-Gerichtherren oder auch Klienten sind, welchen beiden er mit seinen geringen Gaben zu dienen hat, keck mit den angesehensten Personen aufnimmt. Inzwischen rückte gewöhnlich in Siebenkäs Menschenliebe unvermerkt den beweglichen Steg so unter seinen hochgespannten Saiten herab, daß sie zuletzt bloß den sanften tiefern leisern Ton angaben. Nur jetzo wurd' ihm gegen den Venner, dessen Zielen auf Lenette er zu erraten genötigt war, Höflichkeit viel schwerer als Grobheit.

      Er hatte ohnehin einen angebornen Widerwillen gegen geputzte Männer – obwohl gegen geputzte Weiber grade das Gegenteil –, so daß er oft die Flügelmännchen des Putzes in den Modejournalen lange ansah, bloß um sich recht über sie abzuärgern, und daß er den Kuhschnapplern beteuerte, wie er niemand lieber als einem solchen Männchen Schabernack antäte, einen Schimpf, einen Schaden bis zum Prügeln hinauf. Auch war es ihm von jeher lieb gewesen, daß Sokrates und Kato auf dem Markte barfuß gegangen, wogegen barhaupt gehen (chapeaubas) ihm nicht halb soviel war.

      Aber eh' er sich anders als mit Gesichtzügen äußern konnte, strich die Holzknospe von Venner sich den halbwüchsigen Bart und trug sich von weitem dem Armenadvokaten als Kardinalprotektor oder Vermittler in dem bewußten Blaisischen Erbschaft-Zwiste an, um den Advokaten teils einzunehmen, teils zu demütigen. Aber dieser – aus Ekel, einen solchen Gnomen zum Hausgeist und Paraklet (Tröster) zu bekommen – fuhr auf, jedoch lateinisch: »Zuerst soll meine Frau, ich fodere es, kein Wort von dem unbedeutenden Kartoffelkriege erfahren. Auch verschmäh' ich in gerechter Sache jeden andern Freund als einen Rechtsfreund, und den letzten stell' ich selber vor. Ich bekleide meinen Posten; der Posten bekleidet freilich nicht mich in Kuhschnappel.« Dieses letzte Wortspiel drückte er mit einer so wahrhaft-seltenen Sprachfertigkeit durch ein ähnliches lateinisches aus, daß ich es fast hersetzen sollte; der Venner aber, der sich weder das Wortspiel noch das übrige so deutlich übersetzen konnte, als wir es gelesen, gab sogleich, um sich nur loszumachen und nicht bloßzugeben, in derselben Sprache zur Antwort: »imo, immo«, womit er ja sagen wollte. Deutsch fuhr nun Firmian fort: »Es ist wahr, Vormund und Mündel, Vetter und Vetter waren nahe aneinander, in jedem Sinn: hat man sich aber nicht auf den besten Konzilien, z. B. auf dem zu Ephesus im fünften Säkul, ausgeprügelt? Ja der Abt Barsumas und der Bischof von Alexandrien, Dioskorus, Männer von Rang, schlugen den guten Flavian bekanntlich da maustot.Mosheims Kirchengeschichte, 3. T S. Anmerkung von Hrn. Einem. Und ein Sonntag war es ohnehin, wo die ganze Sache vorgefallen. An Sonn- und Festtagen aber ist der Gottesfrieden, durch welchen in den dummen Zeiten die Fehden innehalten mußten, gerade in den Schenken aufgehoben (die Glocken und die Krüge läuten ihn aus), und die Menschen prügeln sich, damit die Gerichte doch ein Einsehen haben und dareinschlagen. In der Tat, wenn man sonst die Feste zum Mindern der Fehden vermehrte, so sollten Justizpersonen, Hr. v. Meyern, die wie wir von etwas leben wollen, eher um die Einziehung einiger gefriedigten Werkeltage und dafür um neue Apostel- und Marientage anhalten, damit Schlägereien und mit den Schmerzen auch die Schmerzengelder anliefen samt den Sporteln. Aber, trefflichster Venner, wer denkt an so was?«

      Er konnte ungefähr alles dies deutsch vor Lenetten sagen; sie war längst gewohnt, von ihm nur das Halbe, das Viertel, das Achtel zu verstehen und um den ganzen Venner sich gar nicht zu bekümmern. Als Meyern vornehm-kalt geschieden war: suchte Siebenkäs seine handgeküßte Frau noch mehr für den Venner zu bestechen, indem er dessen ungeteilte Liebe gegen das gesamte weibliche Geschlecht, ob er gleich ein Bräutigam sei, und besonders die frühere gegen seine in Verhaft und auf den Tod sitzende Vor-Braut nach Vermögen pries; aber er nahm sie eher wider den Venner ein. »So treu bleibe dir und