Siebenkäs. Jean Paul

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Название Siebenkäs
Автор произведения Jean Paul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175224



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ganz gut im Scherze sagen kann, und ich scherze hier – und zur Verteidigung seines Rechts kann man stets injuriieren. Siehe LeyserSp. 547. n. tr. – Ja nach Quistorps peinlichem Rechte darf man die gröbste Missetat ohne injuriandi animus vorwerfen, falls sie noch nicht untersucht und gestraft ist. – Und ist denn deine Ehrlichkeit schon untersucht und gestraft, du althaariger unehrlicher Schlag? Und hast du nicht, gleich dem Heimlicher in FreiburgDer Heimlicher in Freiburg ist drei Jahre lang unverletzbar in seinem Amte und drei Jahre nach dem Austritte daraus. Hanseatische Zeitung No. 415. 1816. , der aber ein besserer Mann sein wird, eine ganze Menge Jahre, wo man dich nicht angreifen soll... Mordelement, aber ich greif' dich heute an, Mucker! – Mordax!- Der Hund schaute nach Befehlen auf.

      »Jetzo lasse nach«, bat Siebenkäs, welchen der niedergedrückte Sünder beklemmte. –

      »Den Augenblick; aber mach mich nur nicht wild«, sagte Leibgeber, ließ die entblätterte Perücke fallen und stellte sich auf sie und zog Schere und schwarzes Papier heraus. »Sehr gelassen will ich das ausgepolsterte Gesicht dieser betenden Schlafmütze ausschneiden und als gage d'amour mitnehmen. Ich kann doch das Ecce homunculus durch die halbe Welt herumtragen und sie bitten: prügl' ihn ab, selig ist, wer den Heimlicher Blasius in Kuhschnappel abprügelt noch vor seiner Abfahrt; ich war nur damals viel zu stark dazu.«

      »Den Bericht über den Erfolg«, fuhr er fort, gegen Siebenkäs gewandt und einen guten Schattenriß zu Ende schneidend, »kann ich unserem Duck- und Kahlmäuser da nicht eher mündlich abstatten als nach einem Jahre, weil alsdann die wenigen Injurien, womit ich den Schelm etwa könnte angetastet haben, nach den Gesetzen völlig verjährt sind und wir wieder die vorigen Freunde geworden.«

      Unerwartet bat er darauf seinen Siebenkäs, bei dem Saufinder zu bleiben – er hatte ihn mit einem Fingerzeig als ein Beobachtcorps gegen den Heimlicher gestellt –, indem er auf einen Augenblick hinaus müsse. Da er nämlich in Blaisens Prunksaale für die kuhschnappelsche große und mittlere Welt die Papiertapeten und einen ungemein sinnreichen Ofen – er war zur Gestalt der Göttin Themis ausgearbeitet, welche allerdings ebensooft versengt als erwärmt – bei dem neulichen Besuche wahrgenommen: so hatt' er für den jetzigen einen Iltispinsel und ein Gläschen Dinte mitgebracht, welche aus Kobold, in Scheidewasser aufgelöset, und einigem dazu getröpfelten Salzgeiste bestand. Ungleich der schwarztuchenen Dinte, welche schon anfangs sichtbar ist und erst später unsichtbar wird, erscheint diese sympathetische anfangs gar nicht und tritt auf dem Papier erst grün hervor, sobald dasselbe erwärmt worden. Leibgeber malte jetzo mit dem Iltispinsel auf die Papiertapete, welche dem Ofen oder der Themis zunächst stand, folgende unsichtbare Wandfibel hin.

      »Die Göttin der Gerechtigkeit will sich hiermit bei allen Gästen dagegen verwahren, daß sie in effigie, in Bildnis, anstatt gehangen, sogar aufgestellt und nach Belieben erhitzt und erkältet wird durch den Injustiz-Minister und den längst dem innern heimlichen Gericht verfallenen Heimlicher Blasius.

      Von Rechts wegen, Themis.»

      Leibgeber hinterließ die stille Aussaat dieser Priestleyschen grünen Materie auf der Wand mit dem frohen Bewußtsein, daß künftig im Winter, wenn der Saal von der Göttin recht warm geworden für eine Prunkversammlung, auf einmal der ganze grüne Markt vor ihr lustig aufschießen werde.

      So kehrte er in das Betkabinett zurück und fand den Saufinder noch in der befohlenen offiziellen Anschauung und seinen Freund wieder in der Anschauung des Hunds. Er schied samt den andern äußerst höflich und bat den Heimlicher sogar, ihn nicht bis auf die Gasse zu begleiten, weil Mordaxen einiges Zerreißen dann schwer zu verwehren sein möchte.

      Auf der Gasse sagte er zu seinem Freunde: »Mache ja kein dummes Gesicht dazu – ich flieg' ohnehin immer ab und zu bei dir – begleite mich über das Tor hinaus; ich muß heute noch über eure Grenze – wir wollen laufen, damit wir vor sechs – Minuten auf fürstlichen Grund und Boden kommen.«

      Als sie über das Tor, d.h. über dessen unpalmyrische Ruinen hinaus waren: stand die kristallene widerscheinende Grotte der Augustnacht aufgeschlossen und erleuchtet auf der dunkelgrünen Erde, und die Meerstille der Natur widersprach dem Sturme der menschlichen Brust; die Nacht zog die Himmeldecke voll stiller Sonnen ohne ein Lüftchen über die Erde herauf und unter sie hinab; die gefällten Saaten lagen ohne Rauschen in Garben um, und die eintönige Grille und ein harmloser alter Mann, der Schnecken für die Schneckengrube zusammenlas, schienen allein im weiten Dunkel zu wohnen. Alles Zornfeuer war plötzlich in beiden niedergebrannt. Leibgeber sagte mit einem um zwei Oktaven herabspringenden Tone: »Gott sei Dank! das schreibt doch wieder einen friedlichen Vers um die innere Sturmglocke – mir ist, als wenn die Nacht mit ihrem schwarzen Bezug meine Lärmtrommel recht sanft zu einer Leichenmusik dämpfte; und mit Vergnügen spür' ich mich nach so langem Gekeife etwas betrübt.«

      »Wär's nur nicht meinetwegen gewesen, alter Heinrich«, versetzte Siebenkäs, »dein lustiges Ergrimmen über den abgeschabten Sünder!« – »Du hättest«, sagte Leibgeber, »ob du gleich sonst eine Satire den Leuten nicht so leicht ins Gesicht wirfst wie ich, an meiner Stelle noch ärger getobt; man kann wohl an sich, besonders wenn man sanft ist wie ich, Mißhandlungen ausstehen, aber nicht am Freunde; und leider bist du ja der Märterer meines Namens, heutiger Augen- und Blutzeuge der Sache zugleich. Sonst darf ich dir überhaupt melden, wenn mich einmal der Teufel des Zorns reitet, oder eigentlich wenn ich ihn reite: so jag' ich gern die Mähre halbtot, bis sie umfällt, damit ich sie in einem Vierteljahre nicht wieder beschreiten kann. Aber dir hab' ich eine hübsche schwarze Suppe eingebrockt und lasse dich mit dem Löffel sitzen.« Siebenkäs stand schon lange in der Angst, er werde auf die 1200 Gulden Taufgelder seines Umtaufens, gleichsam auf das Abzuggeld seines Namens, kommen; er sagte daher so heiter und leicht, als es sein von der beschleunigten nächtlichen Trennung gepreßter Busen erlaubte: »Ich und meine Frau haben in unsrer Königsteinischen Festung noch Proviant genug, und wir können darin säen und ernten. – Gott gebe nur, daß wir manchmal eine harte Nuß aufzureißen haben; nach solchen Nüssen schmeckt der Tischwein des verrauchten Lebens wieder besonders. – Morgen setz' ich meine Klagschrift auf.« Die Erweichung vor der bald ausschlagenden Abschiedstunde versteckten beide in komische Wendungen. Da die DoppeltgängerSo heißen Leute, die sich selber sehen. vor eine Säule kamen, womit die aus England kommende **sche Fürstin die Stätte ihres Zusammentreffens mit ihrer von den Alpen steigenden Schwester bezeichnen lassen; und da dieses frohe Denkmal des Wiederfindens heute zu einem ganz anderen werden sollte: so sagte Leibgeber: »Jetzo marsch, zurück! Deine Frau ängstigt sich ab, es ist über 11 Uhr. – Dort ist schon euer Weichbild, der Rabenstein, eure Grenzfestung. Ich geh' ins Baireuthische und Sächsische vorderhand und schneide meinen Roggen, nämlich fremde Gesichter und zuweilen meine eigenen närrischen dazu. – Aus Spaß seh' ich dich vielleicht nach einem Jahre und einem Tage wieder, wenn die Verbalinjurien ordentlich verjährt sind. – – Im Vorbeigehen! (setzte er schnell hinzu) gib mir dein Ehrenwort, mir nur einen schwachen Gefallen zu tun.« – Er gabs voreilig. »Schicke mir mein DepositumEs bestand meistens in Schatzgelde, in fünf Vikariatdukaten u.s.w. nicht nach – ein Kläger braucht Verlagkosten. – So lebe wohl, Teuerster!« das polterte er eilig heraus und lief nach einem geschwinden Kusse mir nichts dir nichts den kleinen Hügel hinab. Der bestürzte Verlassene sah dem Läufer nach, ohne seinen Abschied mit einem Laute zu begleiten. Im Tale hielt der Läufer an und bückte sich tief und – band seine Strumpfbänder weiter. »Hättest du das nicht«, rief Siebenkäs, »da oben tun können?« und lief hinab und sagte: »Wir bleiben bis zum Rabensteine beieinander.« Das Sandbad und das Reverberierfeuer eines edlen Zorns machte heute alle ihre weichen Empfindungen heißer, wie ein hitziges Klima Gifte und Gewürze verstärkt. Da der erste Abschied schon die Augen übergossen hatte: so konnten sie nichts mehr beherrschen als die Stimme und den Ausdruck. »Du bist doch gesund nach der Ärgernis?« sagte Siebenkäs. »Wenn der Tod der Haustiere den Tod des Hausherrn bedeutet, wie die Leute glauben«, sagte Leibgeber, »so leb' ich ewig; denn meine MenageriePlato malt bekanntlich unsere niedrigem Leidenschaften als einen im Unterleibe zappelnden Viehstand ab. von Tieren ist noch frisch und gesund.« – Endlich stockten sie vor dem Markthaufen des Marktfleckens, vor der Gerichtstätte: »Ei nur gar hinauf!« sagte Siebenkäs.

      Als sie diesen Grenzhügel so manches verunglückten Daseins erstiegen hatten –