Siebenkäs. Jean Paul

Читать онлайн.
Название Siebenkäs
Автор произведения Jean Paul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175224



Скачать книгу

bat sie, ihn aufzuprobieren, und rückte selber den Aufsatz so, wie ihn die Frau v. Blaise trug. Beim Himmel! er stand noch besser, als er gedacht hatte; und er schwur, so müss' er der Heimlicherin auch lassen, da sie besonders einerlei Länge mit Madame habe. Das letzte war erlogen und diese um eine ganze halbe Nasenlänge kürzer- auch sagt' es Lenette, die jene in der Kirche gesehen. – Rosa blieb dabei und setzte Seele und Seligkeit (denn in solchen Zwisten sprach er ordentlich ruchlos) zum Pfande, die gnädige Frau sei nicht länger, er nehme das Abendmahl darauf, er habe sich 100mal mit ihr gemessen und sie sei einen halben Zoll länger als er selber. »Beim Himmel!« sagt' er plötzlich und sprang auf, »ich führe ja ihr Längenmaß wie ihr Tailleur bei mir, ich darf mich ja nur mit Ihnen messen.«

      Ich will hier kleinen Mädchen eine goldne Kriegregel, die ich selber gemacht, nicht vorenthalten – »Streite nie lange mit einem Manne, worüber es sei – die Wärme im Wortwechsel ist auch eine – man vergisset sich und greift zuletzt zu Beweisen durch syllogistische Figuren, die der Feind begehrt und dann umsetzt in poetische, ja in plastische Figuren.«

      Lenette stellte sich, im schnellen Wirbel der Begebenheiten schwindelnd, gutmütig an das Rekrutenmaß, an ihren Rekruten Rosa; er lehnte seinen Rücken an ihren: »So ists nichts«, sagt' er »ich seh' es nicht« und schnallte seine rücklingsgebognen, gerade über ihrer Herzgrube eingeknöpften Finger wieder auf. Er sprang herum, stellte sich vor sie, umfing sie locker und wiegte sich gegen sie, um durch die Nivellierwaage des Auges zu erforschen, ob beider Stirnen in einer Ebene lägen. Seine klaffte um einen ganzen Zoll über ihre hinaus; er umschnürte sie fester und sagte errötend: »Sie hatten doch recht; aber ich hatte nur Ihre Schönheit zu Ihrer Länge addieret« und drückte in solcher Nähe seinen roten Mund gar wie Siegellack auf die Urkunde der Wahrheit, auf ihren.

      Sie wurde beschämt, verlegen, weich und unwillig, hatt' aber nicht den Mut, gegen einen vornehmen Patrizium in ihre Entrüstung auszubrechen. Nun sprach sie kein Wort mehr. Er setzte sie und sich ans Fenster und sagt' ihr, er woll' ihr, hoff' er, andere Lieder vorlesen, als da unten verkäuflich herumgetragen würden. Er war nämlich einer der größten Dichter in Kuhschnappel, wiewohl er bisher mehr seine Verse bekannt gemacht, als daß diese ihn bekannt gemacht hätten. Seine Gedichte glichen wie die meisten jetzigen ganz den Musen selber, indem sie, wie die Musen, echte Kinder des Gedächtnisses waren. Jede altfränkische Stadt hat wenigstens ihren neumodischen Gecken, der die Honneurs macht; und jede kalte prosaische, reichsgerichtlichstilisierte hat doch ihr Genie, ihren Dichter und Empfinder; oft werden beide Stellen von einem Subjekte verwaltet wie hier. Der Große und der Kleine Rat hießen ihren Rosa ein Kraftgenie, von der Genie-Seuche angesteckt. Diese Seuche gleicht der Elefantiasis, welche Troll in seiner Reise durch Island im 24. Briefe richtig beschreibt und die darin besteht, daß der Patient an Haaren, Ritzen, Farbe, Beulen der Haut und allem völlig einem Elefanten ähnlich sieht, nur daß er seine Stärke nicht hat und in einem kalten Klima lebt.

      Everard zog eine rührende Elegie aus der einen oder linken Tasche, worin (ich meine in der Elegie) ein an der Liebe verfalbender Edler sich selber niedersang, und er merkte voraus an, er wolle gern solche ihr vorlesen, falls er sie anders vor Rührung durchbringe; – aber bald preßte dem Verfasser das Gedicht mehr als eine Träne und Rührung ab, und er mußte zu seiner Ehre ein neues Beispiel abgeben, daß, wie männlich und kalt auch er und Dichter seinesgleichen sich bei den größten Leiden der Menschheit zu fassen wissen, sie sich doch nicht ganz bei denen der Liebe bezwingen können, sondern weinen müssen. Sie bereuen freilich solche Tränen nicht. Rosa inzwischen, der sich wie diebische Spieler immer an einer widerspiegelnden Fläche aufhielt – und wär' es Wasser, Fensterscheibe oder polierter Stahl – um die weibliche Physiognomie im Fluge zu treffen, nahm in einem Spiegelchen des Rings der linken Hand, worin er die Elegie vorhielt, nur einige tragische Tau-Spuren in Lenettens Augen wahr, welche sein Dichten nachgelassen. Nun holte er aus der zweiten Tasche eine Ballade (sie muß längst gedruckt sein) hervor, worin eine unschuldige Kindmörderin mit einem weinenden Abschied vom Geliebten ihrem Schwert entgegengeht. Die Ballade hatte (sehr unähnlich seinen andern poetischen Kindern) wahres poetisches Verdienst, da er zum Glück – wenigstens für das Gedicht – selber einen solchen Geliebten vorstellte und mithin aus dem Herzen zu dem Herzen sprechen konnte. Schwer zu malen ist die Rührung und Zerfließung, welche in Lenettens Angesicht erschien; ihr ganzes Herz stand weinend in den blinden Augen; sie hatt' es gar nicht gewohnt, so erfaßt zu werden von Wirklichkeit und Dichtkunst zugleich. Da warf der Venner die Ballade im Feuer weg und sich an – Lenettens Hals und sagte: »Mitempfinderin, Edle, Hehre!«

      Ich kann das Erstaunen nicht malen, womit sie, die einen Übergang vom Weinen zum Küssen gar nicht begriff, ihn wegdrückte. Jetzo half es nichts – er war in der Rührung – er foderte ein Andenken dieser »hehren bezaubernden Minute«, nur einen Flock Kopfhaare von ihr. – Ihr niedriger Stand und das großgedruckte Beiwort und überhaupt ihr Unvermögen, nur zu begreifen, was er mit ihrem schwarzen Pelzwerk, und wenn sie ihm ganze Troddeln und Bettzöpfe davon zuschnitte, machen wolle, alles das setzte ihr den dummen Gedanken in den Kopf, er wolle einen Büschel Haare, um damit – zu hexen, etwan um ihr die Liebe antun zu lassen. –

      Er hätte sich jetzo auf der Stelle vor ihr erstechen, auseinandersäbeln, lebendig pfählen können – – sie hätte es kalt gesehen, sie hätt' ihn etwan mit ihrem Blute gerettet, aber mit keinem Härchen.

      Er hatte noch ein Mittel in petto – überhaupt war ihm ein solcher Vorfall noch niemals vorgekommen – er hob die Hände zum Schwur in die Höhe und beteuerte, er wolle ihr von Hrn. v. Blaise die Erbschaft ihres Mannes und die Anerkennung desselben als Vetter – weil er jenem nur die Nichte sitzen zu lassen drohen dürfe – recht leicht verschaffen, wenn sie die Schere nähme und ihm nur ein härnes Andenken, nur so viel als ein viertels Schnurrbart betrage, abschneide.

      Sie wußte vom Zwiste nichts, und er war also, zum Nachteil seines Enthusiasmus, zu einer umständlichen prosaischen Erzählung der species facti des ganzen Prozesses genötigt. Zu seinem wahren Glücke führte er das Zeitungblatt noch in der Tasche, in welchem die Erbschaftkammer sich im Drucke nach der Existenz des Advokaten erkundigt, und konnt' ihr solches hinhalten. Da fing die geplünderte Frau bitterlich an zu weinen, nicht über die Einbuße der Erbschaft, sondern über das lange Schweigen ihres Mannes und am meisten über die Zweifelhaftigkeit ihres jetzigen – Namens, da sie nicht wisse, sei sie an einen Siebenkäs oder an einen Leibgeber verheiratet; – ihre Tränen strömten stärker, und sie hätte in der Trunkenheit des Schmerzes dem Betrüger vor ihr alle ihre schönen Locken hingegeben, wenn nicht, indem er knieend nur um eine bat, ein Zufall die ganze Kette dieser Minuten zerrissen hätte.

      Wir wollen aber vorher nachschauen, wo ihr Ehemann herumläuft – anfangs zwischen den Buden; denn das vielstimmige Getümmel und die Olla Potrida von wohlfeilen Genüssen und die aufgeschlagene Musterkarte der Lumpen, aus und auf denen wir Kleidermotten unsere Trachten und Gehäuse zusammenflicken, alles dieses senkte seine Seele in humorisch-melancholische Betrachtungen über unser aus farbigen Minuten, Stäubchen, Tropfen, Dünsten und Punkten zusammengestoppeltes Musaik-Gemälde des Lebens ein. Er lachte und hörte mit einer nur wenigen Lesern begreiflichen Rührung einen Bänkelsänger an, der gellend mit seinem Rhapsoden-Stabe in der einen Hand auf das ausgespannte illuminierte große Blatt eines greulichen Mordes hindeutete, und in der andern gedruckte kleinere Blätter mitteilte, worin das Unglück und der Mörder mit keinen hellern Farben als mit poetischen den Deutschen vorgemalt waren. Siebenkäs machte eine Bestellung von zwei Exemplaren, die er einsteckte, um sie abends zu lesen.

      Das traurige Mordstück zeichnete im Hintergrunde seiner Seele die verteidigte Kindmörderin und den Rabenstein aus, auf den die warmen Tränen gefallen waren, womit sein losgespaltnes, nur einem einzigen Menschen verständliches Herz unter dem letzten Riß geblutet hatte. – Er verließ den tobenden Marktplatz und suchte die schweigende Natur und das für Freundschaft und Schuld zugleich bestimmte Isolatorium auf. Es ist ein sonderbares und liebkosendes Gefühl, auf einmal aus einem wühlenden Markte in den ruhigen Umkreis der einfarbigen Schöpfung zu treten, in ihren stummen dunkeln Dom.

      Er bestieg mit schwerer Brust die bekannte Stätte, deren harten Namen ich weglassen will, und sah sich auf dieser Ruine in der Schöpfung wie ein letztes Wesen um: weder im Blau des Himmels noch auf dem Grün der Erde