Gewitter. Christa Dautel

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Название Gewitter
Автор произведения Christa Dautel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754176306



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gekauft hatte, er hätte sie nicht offen liegen lassen sollen, sie trockneten so schnell aus. Im Kühlschrank war auch noch ein Stück Bergkäse, er nahm alles mit in die Stube und begann zu essen.

      Als Thomas auf der Fahrt zu dem Makler kurz hinter dem Allgäuer Tor die ganze Bergkette der Allgäuer Alpen vor sich gesehen hatte, da war ihm das Herz aufgegangen. Es war ein herrlicher Sommertag gewesen, der Himmel blau-weiß, auf den Wiesen grasten die Kühe, alles war so, wie er es in Erinnerung gehabt hatte. Bei der nächsten Ausfahrt war er von der Autobahn heruntergefahren, er wollte die restliche Strecke gemütlich über Land fahren.

      Der Makler in Füssen war mit ihm zu dem Hof gefahren. Die Fahrt war schön, es ging immer weiter in die Berge hinein und nach dem Dorf, zu dem der Hof gehörte, ging es eine steile, sich in engen Kurven windende Straße nach oben. Als sie um die letzte Kurve gebogen waren, hatte der Makler angehalten und nach vorne gezeigt: Dort lag ein Hof, am Fuß einer kleinen Anhöhe, umrahmt von großen, alten Linden. Thomas blieb der Atem stehen. Diesen Hof muss ich haben, genau so habe ich es mir vorgestellt, dachte er und versuchte dabei seine Erregung zu unterdrücken. Der Makler hatte ihn erwartungsvoll angesehen, aber Thomas hatte nur gesagt: „Lassen Sie uns das Haus aus der Nähe ansehen, ich glaube, das Dach ist in einem schlechten Zustand. Aber Sie haben recht, die Lage ist ganz hübsch“.

      Sie waren die letzten Meter zu Fuß gegangen, Thomas hatte das so gewollt. Für ihn war es wichtig, sich dem Haus langsam zu nähern, auf sich wirken zu lassen, ohne schon all die Dinge sehen zu müssen, die repariert, verändert, neu gemacht werden mussten. Der Hof lag einsam, es gab nur wenige Nachbarn, zwei andere Höfe waren noch in der Nähe zu sehen, aber sonst gab es nichts. Diese Einsamkeit gefiel ihm besonders. Wie bei allen Allgäuer Höfen schloss sich auch bei diesem der Stalltrakt direkt an das Wohnhaus an, alles, Wohntrakt, Stall und Tenne waren unter einem einzigen großen Dach. Für ihn hatten diese großen Dächer immer etwas Beruhigendes, ihm schien es so, als ob ein guter Geist seine riesigen Hände schützend über Mensch und Tier in diesem Haus ausbreitete.

      Das Haus war in einem erbärmlichen Zustand gewesen. Dachziegel fehlten, die Fenster in der Tenne waren ohne Glas. An den Fensterrahmen war die Farbe total abgebröckelt, das Holz schon stark beschädigt. Das ganze Anwesen war von dichtem Unkraut umwuchert. Thomas hatte tief durchgeatmet, bevor hineingegangen war. Das Haus war weitgehend leer geräumt gewesen, nur in der Stube waren noch der große Ecktisch und der alte Kachelofen zurück geblieben. „Ich werde viel Zeit und Geld investieren müssen, aber ich glaube, es wird sich lohnen.“ Thomas hatte seine Gedanken laut ausgesprochen und fuhr erschrocken zusammen, als der Makler erwiderte: „Ja, die Lage ist einmalig schön, das Haus ist, wie gesagt, renovierungsbedürftig, so ist es unbewohnbar, aber die Bausubstanz ist in einem guten Zustand, die Renovierungskosten werden sich im Rahmen halten. Solche Objekte sind selten am Markt, meist werden sie unter der Hand weiter gegeben. Es gibt immer Interessenten aus der Stuttgarter und Münchner Region, die sich hier ein Feriendomizil aufbauen wollen“.

      Sie waren noch gemeinsam durch Haus, Stall und Tenne gegangen, Thomas hatte sich alles ganz genau angesehen und Notizen gemacht. Als sie den Rundgang beendet hatten, setzten sie sich auf die Bank, die vor dem Haus stand und von der aus man einen herrlichen Blick hatte. Er hatte den Makler auf alle Mängel hingewiesen, die schon auf den ersten Blick zu erkennen gewesen waren und ihm einen Kaufpreis angeboten, der weit unter dem vom Makler genannten Preis lag. Schließlich einigten sie sich in der Mitte und verabredeten auch gleich einen Termin zur Unterzeichnung des Kaufvertrages. Der Makler war froh gewesen, diesen Hof so schnell verkauft zu haben, er bedankte sich bei Thomas und bot ihm Hilfe bei der Suche nach Handwerkern an.

      Die Renovierung des Hauses wollte Thomas so weit wie möglich alleine machen, das würde ihn beschäftigen. Er konnte etwas aufbauen, etwas für sich schaffen.

      Das war eine gute Zeit gewesen und er war jeden Tag froh, dass er den großen Sprung gewagt hatte. Vom ersten Augenblick an hatte er gewusst, dass er sich hier wohl fühlen würde. Bei der Arbeit am Haus waren die grauen Gedanken, die ihn immer wieder heimsuchten, weitgehend verschwunden. Die große Schar schwarzer Raben, die mit ihren ausgebreiteten Flügeln die Sonne verdeckten und alles Schöne vertrieben, ihn total lähmten, ihn unfähig machten, irgendetwas zu unternehmen, kamen immer seltener. An solchen Tagen war er noch wortkarger und abweisender gewesen als sonst. Aber hier im Allgäu, hier hatte er wieder etwas Sinnvolles zu tun, hier ging es ihm gut.

      Thomas sammelte die Reste seiner späten Mahlzeit ein, es wurde wirklich Zeit, ins Bett zu gehen. Er räumte in der Küche alles sorgfältig weg und ging dann in das kleine Bad, das er sich damals eingebaut hatte. In dem ganzen Haus hatte es nur einen einzigen Wasserhahn mit kaltem Wasser gegeben: in der Küche an dem steinernen Spülbecken. Es war eine schwierige Aufgabe gewesen, das Haus so zu renovieren, dass es den Charakter eines einfachen Berghofes behielt, aber dennoch den Komfort bot, den er gewohnt war. Was die Bauern wohl sagen würden, wenn sie ihren Hof jetzt sehen könnten? Heizung und warmes Wasser auf Knopfdruck, davon hatten sie nur träumen können. Sie waren natürlich auch im Winter hier oben geblieben, sie hatten keine andere Möglichkeit gehabt. Ob diese Bauern mit ihrem Leben zufrieden gewesen sind, zufriedener als er, der doch alle Möglichkeiten hatte und dennoch nicht glücklich war? Aber vermutlich hatten sie gar keine Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, ihr Leben war von harter Arbeit und Pflichterfüllung geprägt gewesen.

      Thomas lag im Bett, von dem Gewitter war nichts mehr zu hören. Es regnete immer noch, es war aber nicht mehr der laute, prasselnde Gewitterregen, jetzt war es ein leiser, fast lautloser Dauerregen geworden. Morgen und auch die nächsten Tage würde das Wetter so bleiben, es würde kalt werden, vielleicht würde es sogar bald schneien. Es half alles nichts, er musste hier seine Zelte abbrechen, für den Winter zu seiner Familie fahren. Ruhelos drehte sich Thomas von einer Seite zur anderen, er konnte nicht einschlafen. Zu viele Gedanken bewegten ihn.

      Mit der Renovierung hatte er sofort begonnen, noch ehe der Kauf notariell beglaubigt war. Der Makler hatte mit den Eigentümern gesprochen und die hatten nichts dagegen gehabt.

      Zusammen mit einem Architekten hatte er genau geplant, festgelegt, was er selbst machen könnte und wozu er Handwerker brauchen würde. Er schuftete immer bis spät in die Nacht hinein und seine Frau, die einmal auf einen kurzen Besuch vorbei gekommen war, hatte es nicht fassen können, dass er hier so intensiv arbeitete. Zu Hause hatte er nicht einmal den kleinen Rasen vor ihrem Haus gemäht. An diesem Ort spürte vielleicht auch sie die Distanz zwischen ihnen noch stärker als in Berlin. Nur so konnte er sich erklären, dass sie fast nichts sagte während ihres kurzen Aufenthaltes.

      Als nach langen Monaten alles soweit fertig war, lud er seine Familie ein, sich sein Haus anzusehen. Sie kamen an einem Wochenende, alle waren tief beeindruckt, fanden es schön und waren froh, bald wieder abreisen zu können. Auch Gisela blieb nicht länger, für sie war die Einsamkeit nichts und im Grunde war er froh, hier alleine leben zu können. Er hatte hier in den Bergen sein Zuhause gefunden, den Sommer verbrachte er ausschließlich hier. Nur im Winter musste er zurück nach Berlin. Der Winter hier oben war hart, manchmal lag meterhoher Schnee und da seine Straße nicht vom Milchauto befahren wurde, war die Gemeinde nicht verpflichtet, die Straße zu räumen. Im Winter wäre er von der Außenwelt vollkommen abgeschnitten, das Leben hier oben wäre zu mühsam geworden. Aber sobald im März oder April die Temperaturen ein wenig stiegen, fuhr er wieder hier her. Anfangs hatte Gisela Einwände gehabt, dass er den ganzen Sommer über weg von zu Hause war, aber offen-sichtlich hatte sie sich damit abgefunden. Das Einzige, worum sie ihn gebeten hatte war, dass er sich zumindest einmal die Woche bei ihr meldete.

      Hier hatte er seinen Platz gefunden und es machte ihm nichts aus, oft tagelang mit niemandem zu sprechen. Die Bank vor dem Haus, da saß er am liebsten, er konnte stundenlang die Berge betrachten, in der Ferne die Bauern sehen, wie sie ihre Wiesen mähten oder die Kühe auf die Weide brachten. Er genoss es, dem Leben anderer aus der Ferne zuzusehen.

      Manchmal kamen Wanderer vorbei, nie waren es größere Gruppen, meist sogar nur einzelne Wanderer. Diese Berge hier waren wie geschaffen für Einzelgänger. Manchmal bat ein Wanderer um ein Glas Wasser, ab und zu setzte er sich dann zu ihnen vors Haus und erzählte ihnen alte Geschichten aus der Gegend. Einmal war er sogar spontan mit einem Wanderer, der seinen Hausberg